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Fußball-WM ´82 in Spanien: Anti-Katar vor 40 Jahren? - Vorlage aus dem Abseits

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Von: Stefan Wieczorek

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Fotos von Fußball spielenden Männern und ein Ball aus der Nähe.
Die Weltmeisterschaft 1982 war Spaniens große Fußball-Fiesta: Vergeben wurde sie 16 Jahre zuvor an die Diktatur. © dpa/Wikimedia Commons/Ángel García Alonso

40 Jahre vor Katar zelebrierte Spaniens Naranjito eine fröhliche WM-Fiesta. Aber nicht wenige dunkle Schatten der Vergangenheit kickten mit.

An Protest-Symbole oder gar einen Boykott dachte niemand, am Vorabend des 13. Juni 1982, der die Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien im Stadion Camp Nou von Barcelona eröffnen sollte. 40 Jahre vor der WM in Katar wirkt das Turnier mit der grinsenden Orange – Naranjito hieß das Maskottchen – wie ein absoluter Kontrast zur am 20. November startenden Fifa-Fußballshow in der arabischen Wüste. Profitgesteuert und menschenrechtsverachtend sei die Veranstaltung im islamischen Emirat, das – so Kritiker – durch die internationale Aufmerksamkeit mit einem „sportwashing“ belohnt werde. Der Sport als Instrument, um sein Image aufzupolieren. Wenn man fair ist, war auch die vermeintliche Anti-Katar-WM 1982 nicht aus sportlichen Gründen Spaniens Triumph.

Spaniens Fußball-Weltmeisterschaft: Die Anti-Katar-WM? Rückblick auf 1982

Weder zelebrierte die spanische Nationalmannschaft auf dem Platz Herausragendes – Spanien flog schon in der Zwischenrunde, unter anderem durch ein 1:2 gegen Deutschland, raus (Tore Littbarski, Fischer, Zamora). Auch sonst war die WM voller quälender Partien (Stichwort „Schande von Gijón“, dazu später mehr) nicht gerade eine fußballerische Paella. Was Spanien jedoch gelang, war die Veranstaltung eines fröhlichen, sicheren und friedlichen Events auf Weltniveau. Und das war nicht selbstverständlich. Gerade war die Transición halbwegs vollzogen, also der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie. Aber sie kickte auf wackeligen Beinen.

Ein Jahr vor der WM hatte der Militär-Putsch fast das faschistische Gespenst wieder ins Spiel gebracht. Der ETA-Terror erschütterte ferner das Land. Spanien jedoch meisterte die Prüfung mit Bravour und trotzte allen Risiken. Eine glänzend aufgestellte Polizei und eine kluge Organisation ließen dem Volksfest um die tollen Stadien von Alicante über Málaga bis Vigo freien Lauf. Wie selbstverständlich wirkt die Wahl Spaniens als Gastgeber heute. Ein Land im Begriff, sich zu öffnen und die Jahre im faschistischen Abseits für immer abzuschütteln.

Dank des fröhlichen Naranjito durfte auch die Fifa durchatmen, nachdem sie die vorherige WM in Argentinien trotz mordenden und folternden Militärregimes hatte steigen lassen. Aber zum weltoffenen Land der Orangen war Spanien auch erst in den 80ern herangereift.

Francos lange Flanke: Picassos Taube im Camp Nou

1966 schon hatte der Weltfußballverband Spanien als Gastgeber erkoren. 16 Jahre vorm Turnier. Eine so frühe Nominierung gab es nie zuvor, nie danach. Erst 21 Jahre her war 1966 der Zweite Weltkrieg mit seinen Massakern. Und ein Franco, den die deutschen und italienischen Faschisten im Bürgerkrieg zum Sieg gebombt hatten, schlug die Flanke für eine WM in Spanien. Ausgerechnet das wichtigste Fußballturnier der Welt ging an einen autoritären Staat mit reaktionärerer Weltanschauung, der vielleicht nicht mehr auf Konzentrationslager und Massenexekutionen zurückgriff wie nach dem Bürgerkrieg, aber dennoch zehntausende Menschenleben auf dem Gewissen hatte und jede politische Meinung unterdrückte, die von der eigenen abwich.

Weit weg war dieser Franco am 13. Juni 1982. Stattdessen flatterte bei der WM-Eröffnung der Geist eines Pablo Picasso ins Camp Nou von Barcelona, in Form der riesengroßen Friedenstaube, dargestellt von Menschen aus aller Welt mit ihren Flaggen. Zwei Wochen war es her, dass Spanien in die Nato eingetreten war. Der Eintritt in die Europäische Gemeinschaft (1986) war nur eine Frage der Zeit. Wieviel davon war anno 1966 abzusehen, als das Franco-Spanien die Gastgeberschaft für das Fußballfest erhielt? Eigentlich wenig. Der Diktator hätte durchaus noch 1982 leben können (dann 89 Jahre alt) oder eine radikale Nachfolge bestimmen können. Juan Carlos I. wurde erst 1969 gekürt, und damals wusste niemand, was er anstellen würde.

Bastion im Kalten Krieg: Ballettweißer Imagewandel

Vielleicht waren es bei der Fifa große Visionäre, die mit ihrer Wahl des Gastgeberlandes einen taktischen Meisterkniff landeten, der Spaniens Demokratisierung vorantrieb. Viel eher aber hatte das Land für die westlichen Entscheidungsträger seine Abseitsstellung verlassen – und zwar schon längst. Der Kalte Krieg veränderte die Wahrnehmung Spaniens im Weltgeschehen völlig. Der Machtkampf von West und Ost ließ das Franco-regierte Land als Bastion gegen den Kommunismus dastehen, garantierte zudem Stabilität und eine hervorragende geostrategische Lage. Schon in den 40ern zogen die USA ihre Rote Karte zurück und spielten Spanien erste Bälle zu.

1953 war man schon ein Team: Franco ließ US-Streitkräfte in seinem Land Stützpunkte errichten und erhielt dafür Gegenleistungen finanzieller und militärischer Art. Die Diktatur nutzte die Gunst der Stunde, auch in Europa ihr Image reinzuwaschen und griff dabei nicht zuletzt auf ein sehr effektives Mittel zurück: den Fußball.

Der erregte ja mit großen Ballkünstlern und Spektakeln wie der WM 1954 gerade große Emotionen. Mittendrin verzauberte das „weiße Ballett“ von Real Madrid mit fünf Europapokalen am Stück. Das Weiß der Hemden der Königlichen strahlte auch auf Spaniens Regime ab – das wusste Franco genau. Deshalb wurden auch Real-Stars wie Ferenc Puskás (Ungarn) und Alfredo di Stéfano (Argentinien) keine großen Steine bei der Einbürgerung gelegt: Diese war notwendig, denn bis 1973 blieben Ausländer in der Liga verboten. Als Spaniens Nationalmannschaft 1964 im EM-Finale die Sowjetunion schlug, war es auch Francos Triumph für den kapitalistischen Westen.

Fotografen drängeln sich am Spielfeldrand im Stadion Rico Pérez in Alicante bei der Fußball-WM 1982.
Rivalen am Spielrand: Canon und Nikon schickten zahlreiche Japaner zur WM, um Maradona abzulichten und ihre Kameras zu bewerben. © Ángel García Alonso

Zum Thema: Maradona in Alicante - geniales Spiel und Skandale

Sternstunden und Drangsal: Kein Waffenstillstand auf dem Rasen

Die WM-Vorarbeit der Diktatur sollte aber erst ein völlig verändertes Spanien nutzen. Unvergessliche Akzente setzte Naranjitos Fußballfest 1982, auch wenn in sportlicher Hinsicht andere die Gewinner waren. Allen voran die Italiener um Torjäger Rossi, die sich den Frust über die lange Erfolgslosigkeit und auch die schweren Folgen der Ölkrise von der Azzurri-Seele schossen. Eine absolute Ikone betrat ferner in Spanien die Bühne: Diego Maradona schoss in Alicante seine ersten WM-Tore – für das durch die Videla-Diktatur und den Falklandkrieg schwer zerrüttete Argentinien. Ein schrecklicher Bürgerkrieg tobte indes in El Salvador, das in die Fußballhistorie wegen des (bis heute) höchsten WM-Ergebnisses einging: 10:1 siegte Ungarn am 15. Juni in Elche, aber die von blutigen Bildern traumatisierten Zentralamerikaner feierten ihr erstes WM-Tor aller Zeiten wie den Cup-Sieg.

Ein heimlicher Weltmeister war Polen, das in Barcelona den dritten Platz eroberte. Beflügelt von Solidarność, drangsaliert durch das kommunistische Kriegsrecht, gelangen Boniek und Co. Sternstunden, von denen auch Lewandowski nur träumen kann. Nicht so glücklich in Spanien ‘82 wurde – trotz Finalteilnahme in Madrid – Deutschland. Vom Halbfinal-Spektakel gegen Frankreich in Sevilla blieb irgendwie nur Schumachers fieser Crash mit Battiston hängen. Und das Image verspielt hatten Deutsche und Österreicher schon in der Vorrunde mit ihrem Nichtangriffspakt. Dieser „Schande von Gijón“ ist es zu verdanken, dass die letzten WM-Gruppenspiele immer zeitgleich gespielt werden, um Absprachen zu verhindern. Bis heute. Auch in Katar 2022 ist die Schmach eines Waffenstillstands auf dem Rasen also nicht zu befürchten.

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