Geschichte der Juden in Spanien: Vom Regen in die Taufe - Eine Chronologie

Schon 1492 wurden die Juden aus Spanien vertrieben. Doch keinem Volk war das Land länger Heimat als den Sepharden. Eine kleine Geschichte des Judentums in Spanien.
Um 1.200 v. u. Z.: Erste jüdische Siedler kommen mit den Phöniziern, ebenfalls Semiten, auf die Iberische Halbinsel, ältester Beleg ist ein bei Cádiz gefundener Ring aus dem 7. Jh. v.u.Z. mit frühhebräischer Inschrift. Schon im Alten Testament und im Tanach werden jüdische Handelsverbindungen mit Tarsis erwähnt, das als keltiberisches Tartessos im heutigen Andalusien, Portugal, Extremadura identifiziert wird und mit Phöniziern kooperierte (bis ca. 500 v.u.Z.). Sepharad wird im Alten Testament die untergegangene Stadt Sfard (Sardis) in Lydien (heute Südwesttürkei) benannt, der Begriff als Verheißung dem neuen Landstrich ganz im Westen Europas gegeben und bald zum Synonym für das jüdische Spanien und die Sepharden, span. sefardíes.
Juden in Spanien unter Phöniziern, Römern und Goten
Um 250 v .u. Z.: Während der Punischen Kriege und mit Einmarsch der Römer wächst die Zahl der Juden in Hispanien, viele wagen nach den römisch-jüdischen Kriegen um Jerusalem (um 70 bis 150) einen Neuanfang unter argwöhnischer Beobachtung.

Um 300 u. Z.: Nach dem Konzil von Elvira (um 330), also noch vor Erhebung des Christentums zur Staatsreligion im Römischen Reich und somit auch in Hispanien, entstehen auf Geheiß christlicher Wortführer erste Juderías als abgetrennte Judenviertel. Der Zuzug jüdischer Hispanier in die Städte rührte in der Folge auch daher, da man ihnen Landbesitz meistens verweigerte.
Ab 500: Mit dem Zerfall des Römischen Reiches übernahmen nach Einfällen verschiedenster Stämme letztlich Westgoten (später zogen Ostgoten nach) die Halbinsel, die als arianische Christen (keine Dreifaltigkeit) relativ tolerant waren, römische Vielgötterei oder restiberische heidnische Kulte lebten parallel. Nach der (bald wieder scheiternden) Konsolidierung der vielen Gotenfürstentümer unter einer Krone und dem Übertritt der wichtigsten Gotenkönige zum „Katholizismus“ wegen des byzantinischen Drucks, begannen nach dem dritten Konzil von Toeldo (589) jedoch gezielte Verfolgungen, Zwangstaufen, Kindesraub an der jüdischen Bevölkerung. Ab 638, nach einem weiteren Konzil, wurden Sabbath und Beschneidung „im Namen des Herrn“ verboten, dann den Juden das Bleiberecht endgültig entzogen, die nun vogelfrei waren. Es gab Pogrome, Vertreibungen, Versklavung, aber unter manchem lokalen Herrscher auch Duldung.
Die Mauren als Befreier und das „Goldene Zeitalter“ des Judentums in Al-Ándalus
Ab 711: Die Eroberung Hispaniens durch Araber und Berber 711 ist für die hier lebenden Juden eine Befreiung – oder Rückkehr aus dem Exil. Sie werden von den Mauren teils bewaffnet und als Verwalter eingesetzt. Ihnen wird später von den christlichen Eroberern vorgeworfen, Türöffner der Moslems und somit Verräter gewesen zu sein, ähnlich schwerwiegend wie der „Mord an Jesus“. Wie Christen, leben Juden als Dhimmi, d.h., sie müssen nicht konvertieren, dafür aber Abgaben entrichten, die für Moslems entfallen. Sie leben als Angehörige der „Buchreligionen“ relativ selbstverwaltet, können ihren Glauben (nicht öffentlich) praktizieren, auch in Kirchen und Synagogen, bleiben aber unter dem indiskutablen Primat des Islam. Gelehrte und reichere Kaufleute erhalten indes eine privilegierte Stellung.

Ab 850 bis etwa 1030: Das Goldene Zeitalter des spanischen Judentums. Im Emirat und Kalifat von Córdoba entstehen Elite-Universitäten ähnliche Übersetzerschulen, in der das Wissen aus Orient und Okzident durch Angehörige der sogenannten „Drei Kulturen“ übersetzt und so allgemein verfügbar gemacht wird. Die griechische Philosophie, im christlichen Mittelalter verpönt, findet so den Weg als eine Quelle der Renaissance nach Italien. Religionsgelehrte, Philosophen, Reisende, Natuwissenschaftler und Dichter der Sepharden tragen zum Wissenskanon bei, einige definieren sogar jüdische Glaubensregeln mit und sind bis heute im Judentum hoch angesehen und auf den Lehrplänen der Schulen und Unis in Israel, aber auch auf jenen der aufgeklärteren Länder des Islam präsent. Jüdische Gelehrte und Verwalter verhandeln im Auftrag der Kalifen unter anderem auch mit den christlichen europäischen Reichen.
Flucht vor den Berbern: Juden suchen bei Spaniens Christen Schutz
11.-13. Jh.: Nach Zerfall des Kalifats in etliche Taifas, liegt das Schicksal der Sepharden in Händen des jeweiligen lokalen Emirs. Bei manchen steigen Juden zu Ministern, und Verwaltern, einem Fall sogar zu einem Militärführer auf, in anderen Taifas werden sie lediglich geduldet. Als dann die radikal-islamischen Berberstämme der Almoraviden und später Almohaden (neben anderen) die Schwächen dieses Flickenteppichs ausnutzten, um Al-Ándalus an sich zu reißen, fliehen viele Juden vor vernichtendem Terror in den Maghreb oder nach Kastilien.

12-14. Jh.: U.a. in den nun christlich beherrschten Städten Toledo, Segovia und Sevilla beginnt eine zweite, wenn auch kurze Blütezeit des intellektuellen Lebens und der Koexsitenz, diesmal auch unter dem Primat des Christentums. Mit dem Erstarken der Katholischen Kirche im Zuge der zum Kreuzzug überhöhten „Reconquista“ änderte sich das. Lässt König Pedro I. von Kastilien Mitte des 14. Jahrhunderts noch Grundstücke enteignen, damit Sevillaner Juden Synagogen errichten können, gehen von Sevilla 1391 bereits Pogrome aus, kirchlich und politisch organisiert, die bald auch in andere Städte getragen werden. Das Emirat Granada unter den Nasriden wird zum, diesmal letzten, Refugium vieler jüdischer Spanier, andere harren aus.
Zum Thema: Die letzten Jahre der Juden von Sevilla - Ein Rundgang durch die Altstadt.
Der Untergang: Deportation der Juden aus Spanien - Inqusition verfolgt Konvertiten
1492: Während Kolumbus gen Westen Spanien ein Weltreich erschließt und die letzten Maurenherrscher die Halbinsel verlassen müssen, unterzeichnen die Katholischen Könige das „Edikt von Granada“ - nach dem Ort seiner Unterzeichnung auch Alhambra-Edikt genannt - ein Rassengesetz „vom reinen Blut“. Die Folge ist die systematische Ausweisung und Enteignung der jüdischen und muslimischen Spanier, in Andalusien und Extremadura beginnt diese bereits 1483, 1496/98 folgt auch Portugal. Zu diesem Zeitpunkt sprechen mehr Juden auf der Welt Spanisch (bzw. Ladino, Judenspanisch) und Arabisch als Hebräisch, die Gelehrten zusätzlich Latein. Viele ziehen ins erstarkende Osmanische Reich, die Eliten werden vom Sultan sogar per Schiff abgeholt. Etliche gelangen auf den Balkan, Griechenland oder, über Portugal, nach Nordafrika und Lateinamerika. Historiker gehen von 130.000 bis 300.000 Juden in Spanien damals aus, 3-5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Ab ca. 1500: Im „Goldenen Zeitalter“ des nunmehrigen Weltreichs Spanien setzt die Verfolgung auch der (Zwangs-)Konvertiten durch die Inquisition ein. In übergangsweisen Nischen können Gelehrte jüdischer Abstammung noch existieren, sind aber permanent Zensur und Willkür der Inquisition oder Selbstverleugnung ausgesetzt. Ein prominentes und besonders kurioses Beispiel dafür ist der „Vater der spanischen Sprache“ Antonio de Nebrija. Die Kirche sorgt auch dafür, den Antisemitismus im Volk zu popularisieren, zur Kontrolle und als Feindbild. Die Juden seien Schuld an Dürren, Epidemien und Plagen, vergiften Brunnen und halten Blutrituale mit christlichen Jungfrauen ab. Katholische Bruderschaften (Osterprozessionen) dienen als Manifestation gegen alles Nichtkatholische, aber auch als territoriale und ökonomische Ab- und Ausgrenzung.
Die jüdische (wie auch die maurische) Kultur in Spanien wird getilgt, Synagogen zu Kirchen oder Profanbauten umgewandelt, Friedhöfe werden geschleift, die Juderías Teil der mittelalterlichen Altstädte, selbst sephardische Rezepte werden verteufelt, die dort beliebte Aubergine als Teufelswerk verdammt. Durch Heirat, Namenswechsel, Fälschung von Dokumenten und totale Assimilierung „überlebten“ wahrscheinlich tausende Menschen mit sephardischen Vorfahren, darunter der Legende nach sogar einige Kardinäle und Adelige.
Ab 1715: Je nach Aufgeklärtheit schwankt in der Neuzeit die Stimmung bei Spaniens Königen und Eliten zwischen Gleichgültigkeit, „gewöhnlichem“ Antisemitismus oder Gleichstellung als Bürger. Mit dem Begriff „filosefardíes“ wird versucht, das intellektuelle Erbe als „gutes Judentum“ spanischer Prägung zu würdigen. Durch kommerziellen Austausch und Öffnung im Zuge der Industrialisierung im 19. und 20. Jh. entstanden durch Zuzug wieder jüdische Gemeinden in Madrid und Barcelona, auf den Kanaren, in Marbella und Torremolinos sowie Alicante.

Sepharden unter Franco: „Guter Jude, schlechter Jude“
1939-1978: Die faschistische Falange-Partei begrüßt die deutsche Judenverfolgung als Fortsetzung des Edikts von Granada, die Deutschen würden „ein Problem lösen, das wir Spanier schon vor Jahrhunderten gelöst“ haben. Franco lässt Synagogen schließen und Gemeindearbeit verbieten. Während der Judenverfolgung Deutschlands repatriiert Franco sephardische Juden als „Spanier“ und rettet sie damit vor dem Holocaust, auch als Versicherung gegenüber den Alliierten. Gleichzeitig lässt er deutsche und osteuropäische Juden deportieren, führt sie so in die Vernichtung. Die División Azul ist in der Sowjetunion aktiv an Massaskern auch an der jüdischen Bevölkerung beteiligt. Ab Ende der 1960er Jahre setzen in Spanien Lockerungen bei der Religionsausbüng ein, mit dem Kalkül, die internationale Isolation der Diktatur zu mildern.
Jüdisches Spanien heute: Nur eine Erinnerung?
Ab 1978: Mit der Transición Spaniens zur Demokratie ab 1978 und der neuen spanischen Verfassung 1979 endet die staatliche Diskriminierung auch der jüdischen Spanier. In der Populärkultur halten sich indes antisemitische „Traditionen“ bis in unsere Tage, darunter die symbolische Verbrennung von „Judas“-Puppen um die Semana Santa herum, in über einem Dutzend Dörfer quer durch Spanien, die durch teils offen antijüdische Verse begleitet werden.
2014-2019 startet Spanien einen Wiedergutmachungsversuch durch die erleichterte Staatsbürgerschaft für Nachfahren der Sepharden, – aber nicht der vertriebenen Mauren. Es gehen bis 2019 über 140.000 Anträge ein, vor allem aus Lateinamerika, dem Maghreb, der Türkei und Osteuropa. An der „rassischen“ Nachweisführung wird von Akademikern und linken Politikern Kritik geübt, auch an der Echtheit so mancher Urkunde ist zu zweifeln. Doch auch der Ausschluss der Nachfahren der maurischen Spanier aus dem Angebot, die schließlich das gleiche Schicksal ereilte, ist als selektiv zu betrachten und hält in Teilen das offen rassistische „Edikt von Granada“ aufrecht.

Heute: In Spanien werden Synagogen in Stand gesetzt, die alten Juderías, aber auch geistiges und gastronomisches Erbe sind Teil eines aktiven Sefarad-Kulturtourismus, wenn auch als Nischenangebot, zumal die Baudenkmäler des jüdischen Spaniens nicht annähernd an die Pracht der machthabenden Mauren heranreichen können. Im ultrarechten politischen Spektrum werden antisemitische Klischees von „Weltverschwörung“ etc. bedient, im Klerus gibt es auch immer wieder „Ausrutscher“, die sich indes kaum von jenen in anderen Ländern Europas unterscheiden. Die rechtsextreme Partei Vox beschwört einerseits das „christlich-jüdische Abendland“ als Grundlage der europäischen Kultur, lädt aber andererseits international bekannte Antisemiten zu Kongressen ein.
Das jüdische Erbe ist vielen Spaniern heute nur ein fernes und exotisches geblieben. Die Zahl der gläubigen Juden in Spanien wird 2022 von den organisierten Gemeinden mit rund 40.000 - 45.000 Menschen (Gemeindemitglieder) angegeben, wie viele Menschen sich aufgrund von Herkunft oder Bekenntnis als jüdisch in Spanien definieren, ist nicht zuverlässig zu beziffern.