Früher, als die Menschen noch eine engere Beziehung zu ihrer Umgebung hatten, war die Anwesenheit von Haien an den spanischen Küsten ganz normal. „Heute sind Haie aus unserer Kultur verschwunden, wir kennen sie nur noch aus Filmen“, sagt Torres. Dass das einmal anders war, belegt auch die Tatsache, dass viele Haie auf den Balearen im Volksmund eigene Namen hatten. Den Hammerhai etwa nannten die Inselbewohner llunada, wegen seines halbmondförmigen Kopfes. Und den Fuchshai kante man auf Mallorca als cinturó, Gürtel, weil er seine Beute mit seiner mächtigen Schwanzflosse erschlägt – ähnlich einem Schlag mit dem Gürtel.
„In den 50er und 60er Jahren, als es auf den Balearen bereits Tourismus gab, wurden vor den Küsten über 30 Weiße Haie gefangen. Es gab keine Angriffe, Probleme oder Unfälle“, sagt Torres. Damals fischte man in Küstennähe, nur etwa sechs Meter vom Ufer entfernt, nach Rotem Thun. Der Weiße Hai zog seiner Beute hinterher und geriet dabei selbst oft in die Falle. Für Aufsehen sorgte das aber nicht. Was ist nun also dran an den Geschichten über Haie als blutrünstige Monster der Meere? „Gar nichts“, sagt Torres.
Menschenfleisch steht nicht auf dem Speiseplan von Haien. Warum das so ist, erklärt der Experte: Die meisten anderen Raubfische im Meer, zum Beispiel Orcas, die in Spanien zuletzt wegen Angriffen auf Segelboote für Aufsehen sorgten, lernen als Junges von ihren Verwandten, was sie fressen können und wo sie die Beute wie fangen können. „Haie dagegen sind Kannibalen, direkt nach der Geburt sucht der Nachwuchs das Weite und entfernt sich so weit wie möglich von den älteren, größeren Tieren, um nicht gefressen zu werden“, sagt Torres. So lernt ein Haijunges selbst, was es verträgt und wie die Jagd abläuft. Der Nachwuchs probiert aus, mit fortschreitendem Wachstum ändert sich die bevorzugte Beute. „Von Menschen gibt es gar nicht genügend in der natürlichen Umgebung von Haien, als dass ein Hai Gefallen an Menschenfleisch finden könnte. Und dass ein junger Hai in seiner Ausprobier-Phase zufällig einen Mensch angreif, frisst und Gefallen daran findet, ist äußerst unwahrscheinlich“, erklärt Torres.
Acht bis zehn tödliche Hai-Angriffe pro Jahr gebe es auf der ganzen Welt. „Das ist deutlich weniger als etwa durch Nilpferde – oder auch durch Hunde. Statistisch gesehen sind Hunde gefährlicher als Haie“, sagt der Spanier. Und das, obwohl sich immer mehr Menschen im Meer tummeln, sei es zum Schwimmen, Surfen, Tauchen, Bootfahren. Kommt es doch zu einer „Hai-Attacke“, wie es dann gerne heißt, handelt es sich tatsächlich meist um Unfälle. „Wenn ein Hai ein Tier angreift, um es zu fressen, beißt er gezielt zu und reißt sofort Fleisch heraus. Hai-Angriffe auf Menschen dagegen waren stets viel zögerlicher, der Hai beißt zu und lässt sofort wieder los“, so Torres.
Wahrscheinlich handle es sich weniger um Angriffe als vielmehr um Warn- oder Probe-Bisse, etwa, weil der Mensch ins Jagdgebiet eingedrungen ist. „Nur haben die meisten Haie nun einmal scharfe Zähne und einen großen, starken Kiefer. Das endet dann schon einmal tödlich.“ Zu den Forderungen von Shark Med gehört auch, nach solchen Unfällen nicht gleich jeden Hai zu töten, den der Mensch finden kann. „Man müsste das eine Exemplar ausfindig machen und im Zweifelsfall töten, so wie man es auch tut, wenn Bären oder Wölfe aggressiv gegenüber Menschen werden“, sagt Torres.
Und was würde nun tatsächlich passieren, wenn ein Tourist im Mittelmeer vor Spanien von seiner Jacht hüpft und ausgerechnet zwischen Haien im Wasser landet? „Wer Filme wie ,Der weiße Hai‘ im Kopf hat, würde sofort seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt sehen: Er wird wahrscheinlich augenblicklich von den Haien eingekreist“, so Torres. Er selbst ist schon etliche Male mit Haien getaucht, zuletzt mit Großaugen-Fuchshaien vor den Fidschi-Inseln. Kaum im Wasser, schwammen bis zu 30 Haie um ihn herum. „Haie sind äußerst neugierig, sie nähern sich, umkreisen das sonderbare Wesen und werden Körperkontakt suchen, ähnlich wie Katzen, die um die Beine streichen. Haie nehmen sehr viel über die Haut wahr“, sagt Torres.
Sie wollen eben nur spielen, und wer das weiß, genießt den Tauchgang mit den besonderen Meeresbewohnern: „Haie vermitteln in ihrer natürlichen Umgebung eine unheimliche Ruhe, Schönheit und Frieden“, meint Torres. Sind die Haie doch einmal gestresst oder fühlen sie sich bedroht, lässt sich das an ihrer Körpersprache erkennen. Ähnlich wie Hunde, die das Rückenfell aufstellen und die Zähne fletschen, legen Haie laut Torres die Flossen an und schwimmen im Zick-Zack, um möglichst einen 360-Grad-Blick auf die vermeintliche Gefahr zu haben.
Immerhin: Im Bewusstsein der Spanier scheint sich seit Spielbergs „Der weiße Hai“ aus den 70er Jahren etwas verändert zu haben, zuletzt gab es gar spontane Rettungsversuche an Stränden in Spanien, an denen Blauhaie aufgetaucht waren. Zumal die jetzt junge Generation Filme wie Spielbergs Blockbuster gar nicht gesehen haben dürfte. Dennoch: Seit 1970 ist der weltweite Hai-Bestand um 70 Prozent zurückgegangen, insgesamt sind 70 Prozent aller Haiarten vom Aussterben bedroht. Shark Med kämpft von Mallorca aus dagegen an, versucht weiterhin, seinen Aufschrei mit Daten zu untermauern.
Neben dem Langzeitprojekt mit der wissenschaftlichen Station arbeitet der Verein noch an einem zweiten: Zu verschiedenen Jahreszeiten haben Torres und seine Mitstreiter an 50 verschiedenen Punkten rund um die Balearen Wasserproben entnommen. „Wir hoffen, darin DNA-Proben zu finden, die Rückschlüsse auf den Hai-Bestand im Mittelmeer zulassen.“ In drei Wochen will Shark Med das Analysematerial dafür entnommen haben. Unterdessen funkt der Verein weiter SOS für die Haie.