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Miguel Hernández in Moskau: Als Spanien die Ukraine vergaß

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Von: Stefan Wieczorek

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Eine bemalte Wand zeigt einen Mann und kommunistische Symbole.
In Orihuela sind Miguel Hernández‘ Verse als Wandbilder dargestellt. © Stefan Wieczorek

Als „Universalpoet“ verehrt Spanien den am 28. März 1942 gestorbenen Dichter. Von einer Reise voller Visionen und dramatischer blinder Flecken.

Orihuela – „Warum haltet ihr nicht gegen alle Schurkereien eine Sichel der Rebellion und einen Hammer des Protests bereit?“, rief Miguel Hernández 1937 im Spanischen Bürgerkrieg zum Kampf für eine gerechte Welt auf. Es sind Zeilen, die – wie so oft bei dem „Universaldichter“ – auch auf aktuelle Entwicklungen bestens anwendbar sind. 2015 trösteten übersetzte Verse des Faschismus-Gegners aus Spanien Migranten aus Afrika und Asien in Flüchtlingslagern. 2020 gab seine Kerkerpoesie Menschen im Corona-Lockdown Mut. Und heute würde Hernández dem gebeutelten Volk der Ukrainer beistehen, meint man.

Miguel Hernández‘ Reise nach Moskau: An Ukraine vorbei

Sich für die Ukraine stark machen würde sicher der idealisierte Miguel Hernández. Gerade in den vergangenen Jahren wird der Namensgeber des Flughafens Alicante-Elche zusehends als Universaldemokrat gesehen, als Vorkämpfer für alle Unterdrückten, Überfallenen, Vergessenen. Auch deshalb versinkt jedes Jahr am 28. März, dem Todestag des Poeten, sein Grab in Alicante unter einem Blumenberg. Aber Hernández, der echte, ist mit der Verklärung nicht deckungsgleich. Allen voran war der Poet nämlich kein Supermenschenrechtler, sondern ein Kind seiner politisch hochaufgeladenen Zeit.

Miguel Hernández tickte, wie man es als 27-Jähriger in Spanien halt tat, als er die zitierten Eingangsworte „gegen alle Schurkereien“ notierte. Sie stammen aus dem Theaterstück „El labrador de más aire“, in dem er das Bauernleben skizzierte und dem unterjochten spanischen Volk ein Sprachrohr verlieh. 1937 war ein Schlüsseljahr für den damals brennenden Kommunisten: In seiner Rolle als Kulturkommissar reiste Hernández nach Moskau. Ein Land der Hoffnung wollte der idealistische Weltverbesserer anschließend auf der vom Stalin-Regime in Russland organisierten Reise gesehen haben.

Bahnhöfe der Propaganda

Einen Hort der Fröhlichkeit und Brüderlichkeit, sogar mit verblüffenden Ähnlichkeiten der bäuerlichen Klänge und Farben zu denen, die Miguel Hernández von der Costa Blanca kannte, beschrieb der junge Mann nach der Russland-Reise. Visionen einer heileren Welt ließ die Visite in Moskau im jungen Mann gedeihen, dessen Heimat im Blut des Geschwisterkriegs ertrank. Doch was der reiseunerfahrene Spanier nicht wusste, war, dass ihm die Kommunisten 1937 nicht das wahre Land Osteuropas, sondern propagandistische Folklore vorgeführt hatten. Zum Thema: „Kleine Ukraine“ an der Costa Blanca

Auf seiner aufregenden Zugfahrt aus Spanien nach Russland stieg Miguel Hernández selbstredend nicht in der Ukraine aus. Also im Land, dem das Moskau-Regime so entsetzliches Leid zufügte. Seit Beginn der 1930er ließ Josef Stalin stahlharte Hand walten, um das ukrainische Volk zu demütigen, der Identität und der Bodenschätze zu berauben. Die Nation, die sich 1918 zu einer brüchigen Unabhängigkeit gemausert hatte, verlor alle Rechte, Freiheiten und mehrere Millionen Menschenleben. Vom Holodomor, dem Holocaust an den Menschen aus der Ukraine, wusste man natürlich in Europa.

Gefundenes Fressen für Faschisten

Jedoch hatte ein Land wie Spanien mit eigenen Gefechten genug zu tun. So blieben die Sowjetverbrechen nur als gefundenes Fressen für die Franco-Propaganda übrig. Was im Spanischen Bürgerkrieg und in der Diktatur der Fall war, lässt sich bis in unsere demokratischen Zeiten nachvollziehen. Noch heute zitieren Spaniens junge Linksidealisten auf Twitter Miguel Hernández’ „Sichel der Rebellion, Hammer des Protests“, welche auch in Orihuelas Wandbilder-Viertel San Isidro ihren prominenten Platz haben. Wie aber wirken solche Verse des zum „Universaldichter“ Verklärten etwa auf ein Volk wie das ukrainische?

1937 war der visionäre Jungpoet von der Costa Blanca in Teilen blind geworden. Blind für die schweren Verletzungen von Menschenrechten, für die millionenfachen Morde der Ideologie, auf die er und all die Gleichgesinnten sich beriefen. Einer Ideologie, die noch heute im Zeichen von Sichel und Hammer ganzen Völkern eine vermeintliche Gleichheit aufzwingt, die den Menschen jedoch in Wirklichkeit grundlegender Freiheitsrechte beraubt. War Spanien im Bürgerkrieg zu weit weg von diesen Untaten des Kommunismus? Miguel Hernández sollte jedenfalls noch durchblicken, wenn auch auf lyrische Art.

In einem blauen Zug sitzt am Fenster ein Kind.
Wieder Krieg und Hunger in der Ukraine: Ein Kind aus Mariupol sitzt im Zug nach Lemberg. © Evgeniy Maloletka / dpa

Traurig sind alle Kriege

Im Frühjahr 1939 wandte sich das Blatt endgültig zu Ungunsten des Miguel Hernández, als die Elite seines linken Lagers ihn am Ende des Spanischen Bürgerkrieges fallenließ, das Franco-Lager ihn fasste und die quälende Haft begann. Nun machte das Berauschtsein im wandelbaren Poeten Platz für ein tiefes Nachdenken: über die universelle Natur des Menschen und all ihre Abgründe. Und so verfasste der eingesperrte, aber von den Fesseln der Ideologie befreite Poet unter anderem seine berühmten „guerras tristes“. Zeilen, die wohl wirklich Opfer aller Schurkereien unterschreiben würden:

„Traurige Kriege, wenn nicht Liebe das Vorhaben ist. Traurige Waffen, wenn es nicht Worte sind. Traurige Menschen, wenn sie nicht aus Liebe sterben.“

Hernández-Ziele an der Costa Blanca

Orihuela: Geburtshaus (casa natal), Museumshaus (casa-museo), Wandbilderviertel (Murales de San Isidro).

Alicante: Skulptur am Todesort (Gericht, juzgados), Grab auf Ortsfriedhof (cementerio municipal).

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