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Ganz schönes Früchtchen: Mispeln sind jetzt reif - und stellen in Spanien ein ganzes Dorf auf den Kopf

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Von: Judith Finsterbusch

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Ein Landwirt schiebt eine Schubkarre mit Kisten voller Mispeln über ein Feld.
In Spanien werden jetzt, im April, Mispeln geerntet. © David Revenga

In Spanien haben jetzt Mispeln Saison, die Ernte läuft auf Hochtouren. Hauptanbaugebiet ist das Dorf Callosa d’en Sarrià an der Costa Blanca. Dort stellt diese besondere Frucht im April und Mai den ganzen Ort auf den Kopf.

Callosa d’en Sarrià – In Callosa d’en Sarrià wird im April und Mai niemand krank, die Erstkommunion wird nicht wie überall sonst in Spanien im Mai, sondern erst ab Mitte Juni gefeiert, und es ist ein Ding der Unmöglichkeit, jetzt, im April, einen Klempner, Elektriker oder Gärtner zu finden. Kaum jemand ist im Zentrum des 7.000-Einwohner-Dorfs im Hinterland der Costa Blanca unterwegs, dafür rumpeln umso mehr furgonetas, Kastenwagen, über die Feldwege. Es ist Mispel-Ernte, und das bedeutet in Callosa Ausnahmezustand.

Mispeln aus Spanien: Die Hälfte der Früchte wird in Callosa und Umgebung angebaut

6.000 Personen sind zurzeit in Callosa und Teilen der Nachbarorte Polop und Bolulla in irgendeiner Form mit den Früchten beschäftigt, die Hälfte aller in Spanien angebauten Mispeln wachsen in diesem Tal an der Costa Blanca. 1.500 Mitglieder zählt die Kooperative Ruchey in Callosa, die allein mit dem Verkauf der auf Spanisch nísperos genannten Früchte 20 Millionen Euro umsetzt – nimmt man Orangen, Zitronen und Avocados, die in Spanien immer mehr angebaut werden, hinzu, kommt die Kooperative auf 35 Millionen Euro. „Die meisten Erzeuger sind Familienbetriebe, von den Enkeln bis zu den Großeltern helfen alle bei der Ernte mit“, sagt Esteban Soler, Agraringenieur bei Ruchey, und lenkt seinen Kastenwagen zum Feld von Juan Galiana.

Gekonnt knipst der Senior den Stiel mit dem Daumennagel an, macht dann eine Drehbewegung mit Zeige- und Mittelfinger, und schon hält er die orangefarbene Frucht in der Hand. „Ich lasse mir extra meine Fingernägel für die Ernte wachsen“, lacht Galiana und zeigt auf seinen Daumen, der jeden Flamenco-Gitarristen in Spanien vor Neid erblassen lassen würde. Die gepflückten Mispeln legt er vorsichtig in eine Kiste, die mit einer Schaumstoffmatte gepolstert ist – Mispeln sind sehr sensibel.

Mispeln sind sehr sensibel: Die Ernte in Spanien ist reine Handarbeit

„Mispelanbau ist reine Handarbeit, deswegen sind die Früchte auch so teuer“, bestätigt Esteban Soler von der Kooperative. Es gibt keine Maschinen oder Geräte, die die Bauern in Spanien unterstützen, und das kleine Früchtchen, das ursprünglich aus Asien stammt, will mit Samthandschuhen angefasst werden – jeder noch so sanfte Druck wird mit einem hässlichen, braunen Fleck auf der Schale bestraft. „Geschmacklich sind fleckige Mispeln genauso gut, aber die Kunden wollen das nun mal nicht sehen“, seufzt Soler. Übrigens sind Mispeln in der Küche vielfältig einsetzbar, es gibt sowohl Rezepte für herzhafte wie für süße Gerichte.

Nicht nur menschliche Eingriffe nimmt die Mispel übel, auch das Wetter in Spanien muss für eine gute Ernte stimmen. Wenn die Frucht im fortgeschrittenen Reifeprozess ist, darf es nicht regnen, sonst gibt es braune Flecken. Wind mögen nísperos auch nicht, Frost im Reifeprozess sowieso nicht, aber zu heiß darf es auch nicht sein. „Diese Flecken hier kommen von den zwei Tagen im Frühling, an denen es plötzlich 30 Grad heiß war“, erklärt Landwirt Galiana und zeigt auf braune Stellen.

Mispeln als rentable Frucht für kleine Betriebe - sofern das Wetter in Spanien mitspielt

Dass Petrus einmal ein uneingeschränktes Lob von den Mispelbauern bekommt, ist also praktisch ausgeschlossen, dieses Jahr ist neben den Hitze-Ausschlägen – natürlich – der ausbleibende Regen in Spanien der große Miesepeter. „Die Bäume hängen zwar voll, aber die Früchte sind nicht so groß wie in anderen Jahren“, klagt Galiana. Mit insgesamt 14.000 Tonnen Mispeln rechnet Soler dieses Jahr in der Kooperative.

Dennoch: Die anspruchsvolle Mispel lohnt sich nach wie vor für die Landwirte an der Costa Blanca. „Wir haben das Glück, dass Mispeln das erste reife heimische Obst sind. Dieses Jahr haben wir dank des milden Winters zwei Wochen eher mit der Ernte angefangen“, sagt Soler. Je später die Mispel auf dem Markt ist, desto größer die Konkurrenz durch andere Früchte – und dann sinken die Preise. Dazu kommt, dass sich die großen Agrarbetriebe nicht für den Mispelanbau interessieren, eben weil er nur mit reiner Handarbeit und permanenter Pflege seine Früchte trägt.

Das ganze Jahr Arbeit für die Bauern: Wer in Spanien Mispeln anbaut, hat ständig etwas zu tun

Während der Blüte will der Baum ausgedünnt werden, dann nochmal, wenn die Früchte wachsen – und zwar jeweils zwei Mal. Und selbst bei der Ernte machen es die Mispeln den Bauern schwer – sie weigern sich, gleichzeitig zu reifen. Viermal während der etwa vierwöchigen Erntezeit müssen Juan Galiana und seine Erntehelfer an jedem Baum die reifen nísperos pflücken. Dazu kommt düngen, bewässern, Bäume stutzen. Übrigens, ein Tipp vom Profi für Mispelbaum-Besitzer in Spanien: „Direkt nach dem Pflücken sind die Früchte sehr sauer. Wenn man sie eine Woche liegen lässt, werden sie wunderbar süß“, weiß Galiana.

In einer großen Industriehalle stehen viele Kisten voller Mispeln.
In der Kooperative an der Costa Blanca werden täglich 400 Tonnen Mispeln verarbeitet. © David Revenga

Während der Senior auf dem Feld Frucht für Frucht in die gepolsterte Kiste legt, nimmt Schwiegersohn Pedro Valero in der Garage des Familienhauses die gepflückten Mispeln in Empfang. Den verbliebenen Zweig-Rest, den Juan Galiana nicht mit seinem Daumennagel abgeknipst hat, entfernt Valero mit einer Zange, dann sortiert er die Früchte nach Anzahl der Flecken und Größe und legt sie in vorbereitete Plastikschalen, in denen die Mispeln später im Supermarkt stehen werden. Jeden Mittag kommt der Lkw, holt die sortierten Mispeln ab und bringt sie zur Kooperative.

Qualität muss stimmen: Wie Mispeln in der spanischen Kooperative geprüft und verpackt werden

Hier landet die Ware bei Salvador Más. „Wir öffnen stichprobenartig die Kisten und überprüfen, ob das, was draufsteht, auch drin ist“, erklärt der Qualitätsprüfer. Manche Bauern schummeln bei der Größe, andere bei der Kategorie, die vor allem an der Anzahl der Flecken bemessen wird: Je größer und einfarbiger die Mispeln, desto teurer sind sie. Doch den geübten Augen von Más und seinen Arbeitern entgeht nichts, wer nicht das liefert, was auf dem Etikett steht, bekommt weniger Geld.

Nach der Qualitätsprüfung geht es zur endgültigen Verpackung – entweder in Plastikschachteln oder in verschiedenen Holzkisten – und von dort aus zu den Supermärkten und Obstläden in ganz Spanien. 70 Prozent der Mispeln werden exportiert, hauptsächlich in Mittelmeerländer. „Nísperos werden von Latinos gegessen. Teure Marketing-Kampagnen in Deutschland haben kaum etwas gebracht haben. Dort kaufen nur die Türken Mispeln, weil sie sie aus ihrer Heimat kennen“, meint Soler.

Mispeln als Rettung: Callosa hat der besonderen Frucht viel zu verdanken

Durch die vorsichtigen Hände von knapp 300 Mitarbeitern gehen zur Hochsaison 400 Tonnen Mispeln täglich in der über 65 Jahre alten Kooperative in Callosa. Bis zu deren Gründung verkauften die Bauern ihre Ware auf dem Markt – aber über findige Zwischenhändler, die den Landwirten schon damals das Leben schwermachten und die Preise untereinander absprachen.

In Plastikschalen liegen Mispeln
Mispeln sind eine ganz besondere Frucht: Sie verlangen nicht nur viel Pflege von den Bauern in Spanien, sondern auch gutes Wetter. © David Revenga

In Callosa drehten die Bauern den Spieß schließlich um, taten sich mit der Kooperative zusammen und legten ihrerseits die Preise fest. „Die Kooperative hat uns gerettet“, meint Landwirt Galiana, dessen Vater einst zu den Gründungsmitgliedern gehörte. Und die Mispel, trotz all ihrer Macken, Callosa. Die eigenwillige Frucht bringt Wohlstand ins Dorf – und eine gesellschaftliche Identität. „Ohne die Mispel wäre das hier nur ein weiterer Ort an der Costa Blanca, der im Boom auf unkontrolliertes Wachstum gesetzt hätte“, ist Soler überzeugt.

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