Mit dem Auto bis kurz vor den zweithöchsten Gipfel der Sierra Nevada

Über die höchste Pass-Straße Europas GR-411 konnte man einst von Granada über einen in fast 3.400 Meter Höhe gelegenen Gebirgspass bis nach Capileira in den Alpujarras fahren. Seitdem die Sierra Nevada zum Nationalpark erklärt worden ist, dürfen nur noch Wanderer und Radfahrer die Straße benutzen.
- Nationalstraße GR-411 führte von Granada bis Capileira.
- Straße wurde 1935 für neues Skigebiet eröffnet.
- Seit der Erklärung der Sierra Nevada zum Nationalpark 1999 für Autos gesperrt.
Granada - Erst als die Sierra Nevada im Jahr 1999 zum Nationalpark erklärt wurde, war Schluss damit: Jahrelang konnte man mit dem Auto über die höchste Pass-Straße Europas von Granada auf direktem Weg bis in den beliebten Touristenort Capileira in den Alpujarras fahren und unterwegs wenige Meter vor dem Gipfel des Pico del Veleta anhalten, dem mit 3.396 Höhenmetern zweithöchsten Berg des Gebirgsmassivs.
Auf der Regionalstraße GR-411 fuhr man von der Provinzhauptstadt bis zu der in 2.500 Metern Höhe gelegenen Anhöhe Hoya de la Mora unweit des heutigen Wintersportorts Pradollano und von dort aus in etwa 13 Kilometer langen Serpentinen bis vor den Gipfel des Veleta. Auf etwa 3.100 Höhenmetern konnte man eine Abzweigung nehmen, von der aus sich die Straße in Form einer nicht geteerten Schotterstraße durch den in rund 3.367 Metern Höhe gelegenen Gebirgspass Puerto de la Carihuela fortsetzte. Diese führte über knapp 30 Kilometer bis Capileira, zunächst um den Veleta herum und danach am benachbarten Gipfel des Mulhacén vorbei, dem mit 3.479 Metern höchsten Berg der Sierra Nevada.
Zum Vergleich: Der zweithöchste mit dem Auto befahrbare Gebirgspass in Europa ist der Col de la Bonette in den französischen Seealpen, der sich in einer Höhe von 2.715 Metern befindet; als höchste befahrbare Gebirgsstraße gilt die Ötztaler Gletscherstraße in den Tiroler Alpen, die auf 2.829 Metern Höhe endet und somit keine Pass-Straße ist.
Zum Kaffeetrinken von Granada nach Capileira
„An den Wochenenden war auf der Straße meistens viel Betrieb“, erinnert sich Rafael Quintero, der gemeinsam mit Ansi Moslero seit 1996 für die unterhalb der alten Schotterstraße auf etwa 2.500 Höhenmetern befindliche Berghütte Refugio de Poqueira verantwortlich ist. „Das waren gewöhnlich Leute aus Granada, die am Veleta Pause zum Picknick machten, in Capileira Kaffee tranken und dann wieder zurück fuhren. Der Reiz für sie war, auf der höchsten Pass-Straße Europas zu fahren oder den hohen Gipfeln nahezukommen, ohne dass sie sich körperlich anstrengen mussten. Manche stiegen nicht einmal aus ihren Autos aus“, so der Hüttenwirt.

Heute sind fast nur noch Wanderer und Radfahrer auf den höher gelegenen Abschnitten der Bergstraße unterwegs. Im Zuge der Gründung des Nationalparks im Jahr 1999 wurden Schranken installiert, die die Weiterfahrt für Privatfahrzeuge verhindern. Diese befinden sich an der Nordseite an der erwähnten Hoya de la Mora in 2.500 Metern Höhe und an der Südseite an der rund zehn Kilometer oberhalb von Capileira gelegenen Waldlichtung Hoya del Portillo in 2.154 Metern Höhe.
Passieren dürfen diese Schranken lediglich die örtlichen Forstarbeiter, die Arbeiter der Skilift-Stationen sowie Wissenschaftler zu Forschungszwecken mit einer entsprechenden Genehmigung der Nationalpark-Verwaltung. Eine weitere Ausnahme gilt für die Kleinbusse der andalusischen Landesregierung, mit denen sich Ausflügler vom Parkplatz der Hoya de la Mora bis auf eine Höhe von 3.100 Metern und von Capileira aus zu dem in 2.740 Metern gelegenen Mirador de Trevélez fahren lassen können. Der Aussichtspunkt ist außerdem auch unter dem Namen Alto del Chorillo bekannt.
Straße bleibt mittlerweile ihrem Schicksal überlassen
Von der Schotterpiste ist der obere Teil ohnehin seit Jahren nicht mehr mit dem Auto passierbar. An etlichen Stellen liegen große Felsbrocken mitten auf der Straße, teilweise sind auch Steine quer über den Weg gelegt worden. Und von der Serpentinenstraße an der Nordseite ist auf den letzten Kilometern vor dem Gipfel des Veleta sogar der Asphalt abgetragen worden.
Die Nationalpark-Verwaltung wollte, dass sich die Natur wieder regenerieren konnte, indem sie den oberen Teil der Straße ihrem Schicksal überließ. Denn in den Jahren, als die Pass-Straße für Privatfahrzeuge geöffnet war, wurde mit der Umwelt nicht gerade zimperlich umgegangen. Die Ausflügler erzeugten mit ihren Autos nicht nur Abgase und Lärm, sondern ließen auch noch ihren Müll am Straßenrand und am Gipfel des Veleta zurück. „Damals gab es noch nicht das Umweltbewusstsein, das es heute gibt“, sagt Rafael Quintero vom Refugio de Poqueira. „In der Laguna de la Caldera (kleiner Gebirgssee auf 3.026 Metern Höhe an der Südseite – Anm. d. Red.) haben die Leute sogar mit Putzmitteln ihre Autos gewaschen.“
Straße für neues Skigebiet angelegt
Verantwortlich für den Bau der Straße war der 1880 in Madrid geborene Ingenieur Juan José Santa Cruz, der auch das berühmte Hotel Alhambra Palace und die im Jahr 1974 stillgelegte Straßenbahn der Sierra Nevada hatte bauen lassen. Diese führte vom Zentrum von Granada über rund 18 Kilometer bis hinter Güéjar Sierra unterhalb des heutigen Touristeninformationszentrums El Dornajo an der Straße zur Skistation.
Der in Intellektuellen-Kreisen verkehrende und mit dem Dichter Federico García Lorca befreundete Santa Cruz, der nach wenigen Jahren in Granada für alle öffentlichen Bauprojekte zuständig war und später im Jahr 1931 bei der Gründung der Zweiten Spanischen Republik (1931-39) zum Parlamentsabgeordneten gewählt wurde, hatte die Notwendigkeit gesehen, die Verkehrswege in der Sierra Nevada zu verbessern. Die Eliten Granadas hatten bereits mit dem Skisport in der Sierra Nevada begonnen, es gab auch schon einen ersten Skiclub und zwei Herbergen, von denen die eine auf der Hoya de la Mora noch erhalten ist. Allerdings waren letztere und die höher gelegenen Zonen nur über schmale Maultierpfade zu erreichen.

Baubeginn im Jahr 1920
Im Jahr 1920 begann Juan José Santa Cruz mit dem Bau der Carretera Comarcal GR-411, die von Granada auf einer Länge von 51 Kilometern bis vor den Gipfel des Pico del Veleta führen sollte. Aufgrund des unwegsamen Terrains zogen sich die Arbeiten ganze 15 Jahre hin, bis die Straße am 15. September 1935 schließlich offiziell eröffnet werden konnte.
Die Fortsetzung der Straße bis Capileira erlebte der Straßenbaupionier nicht mehr. Am 2. August 1936, nur rund sechs Wochen nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs (1936-39), wurde Juan José de Santa Cruz in Granada, das bereits von den faschistischen Truppen eingenommen war, vor ein Erschießungskommando gestellt wie so viele, die in der Republik ein politisches Amt bekleidet hatten. Die Anklage war ein offensichtlicher Vorwand und lautete, er habe einen ebenfalls von ihm begonnenen und später nie fertiggestellten Tunnel unterhalb des Gipfels des Veleta vor dem Anrücken des Feindes in die Luft sprengen wollen.
Während des Bürgerkriegs und der unmittelbaren Nachkriegsjahre langen alle Projekte zur Fortsetzung der Straße auf Eis. Anfang der 60er Jahre wurden sie jedoch wieder aufgenommen, als die ersten Hotels und Lifte des Wintersportorts Pradollano im Entstehen waren, der in seinen Anfangsjahren noch den Namen „Solynieve“ (dt.: Sonne und Schnee) trug. Zunächst wurde ein bereits bestehender, über Capileira hinausführender Weg auf Straßenbreite ausgebaut und bis zur erwähnten Laguna de la Caldera unterhalb des Gipfels des Mulhacén verlängert und anschließend das Reststück bis zur Serpentinenstraße auf der Nordseite des Bergmassivs gebaut.
1966 vollständig befahrbar
Im Jahr 1966 waren die Arbeiten abgeschlossen, so dass die Pass-Straße auf ihrer gesamten Länge befahrbar war. Damit setzte ein regelrechter Ansturm auf die Straße ein. Neben den zahlreichen Ausflüglern, die am Veleta und Mulhacén vorbei nach Capileira fuhren, nutzten auch etliche Automobilhersteller die Serpentinenstraße an der Nordseite als Teststrecke für ihre neuen Modelle und einmal wurde in der sich heute nur noch als kleiner Tümpel präsentierenden Laguna de la Caldera an der Südseite sogar eine Segelregatta veranstaltet, da diese nun mit dem Auto zu erreichen war.
„Es gab auch viele Probleme, weil die Straße im Winter nicht geräumt wurde“, sagt Rafael Quintero vom Refugio de Poqeira. „Da fuhren die Leute von Capileira aus hoch und mussten dann wieder umkehren, weil die Straße zugeschneit war.“
Der Hüttenwirt vermisst die Zeit nicht, in der die höchste Pass-Straße Europas noch geöffnet war. „Wir brauchen keine Straßen, die uns überall hinbringen, denn die Natur im Hochgebirge ist sehr sensibel“, meint er. „Wer es zu Fuß so weit nicht hochschafft, der soll ganz einfach unten bleiben.“
Mit dem Bus die alte Pass-Straße hinauf
Die andalusische Landesregierung bietet seit etlichen Jahren mit dem sogenannten Servicio de Interpretación de Altas Cumbres (dt.: Interpretationsservice der hohen Gipfel) einen Shuttle-Service mit Kleinbussen an. Dieser fährt die Ausflügler auf der für Privatfahrzeuge gesperrten alten Pass-Straße von dem Parkplatz der Hoya de la Mora bis zu dem im 3.100 Metern Höhe gelegenen ehemaligen Bürgerkriegs-Gefechtsstand Posiciones del Veleta und von Capileira bis zum in 2.740 Metern Höhe gelegenen Mirador de Trevélez. Im ersten Fall sind es zu Fuß noch etwa 45 Minuten zum Gipfel des Veleta, im zweiten Fall benötigen die Wanderer noch ungefähr zwei bis zweieinhalb Stunden zum Gipfel des Mulhacén. Wem das immer noch zu anstrengend ist, macht ganz einfach einen kleineren Spaziergang, um die Aussicht zu genießen, und wartet auf den nächste Bus, mit dem er wieder zum Ausgangspunkt fahren kann.
Die Fahrt auf der höchsten Pass-Straße Europas ist ein abenteuerliches Erlebnis, außerdem bekommen die Ausflügler währenddessen Wissenswertes über den Nationalpark und seine Flora und Fauna sowie über die Geschichte der Region erzählt. Reservierungen können für die Fahrt ab Hoya de la Mora unter 0034 671 564 407 und für die Fahrt ab Capileira unter 0034 671 564 406 vorgenommen werden. Der Preis für eine Fahrt beträgt sechs Euro, für Hin- und Rückfahrt zehn Euro.
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie ist die Berghütte Refugio de Poqueira derzeit für Besucher geschlossen. Auch der Busservice ist momentan nicht in Betrieb. Wann beides wieder wie normal funktioniert, wird auf der (spanischen Webseite des Refugio de Poqueira angekündigt.