Die Dominanz des Meeres sieht man im Stadtbild. Wo andere Orte eine gewachsene Struktur aus Plätzen, Gebäuden, Straßenzügen aufweisen, liegen die Häuser hier ein bisschen herum wie ein Häuflein gebrauchter Wäsche, das der Wind durcheinandergeweht hat, fast so zufällig arrangiert wie die Felsen vor der Küste. Weiß getünchte, angegilbte Fischersiedlungen gehen über in Wohnblöcke und Urbanisationen, deren „Stil“ spätere Archäologen einmal als „Neue Barbarei“ taufen werden müssen. Krone der Schöpfung: Plastikgewächshäuser, nicht für Obst und Gemüse, sondern für Schnittblumen, vor allem Nelken.
Dazwischen immer wieder liebliche historische Einsprengsel, Kapellen und Kirchen natürlich, eine „Burg“ direkt an der Küstenlinie, die zwar seit dem 13. Jahrhundert Burg heißt, aber nie eine war. Die Burgherren, die Señoritos de Guzmán, wurden aus Mitleid für diese armselige Feste nicht von fremden Heeren angegriffen, aber auch, da sie nie Zuhause waren. Die Architekten erledigten in acht Jahrhunderten, was kein Feind zustande brachte, die weitgehende Zerstörung. Die lezten fast 200 Jahre war das Castillo Hotel, davor ein Knast, in den 20er Jahren lebte hier für fünf Jahre ein Bourbonisches Prinzenpaar wie in der Verbannung, aber mit Privatstrand.
Irgendwann ließen die Besitzer die Villa mit Zinnen gänzlich verfallen, bis die Stadt das Castillo enteignete, irgendwie restaurieren ließ und darin 2009 das Museum „Cádiz und die Neue Welt“ einrichtete, um auch etwas abzubekommen vom weltmännischen Nachbarn. Wenige Originalstücke, dafür informative Schaukästen, erzählen Geschichten von Entdeckungsfahrten, Eroberungen und Bewirtschaftung der Kolonien.
Durch das Meer trumpft Chipiona auf, im Sommer füllen sich die fünf Strände beachtlich, die aber, im Unterschied zu den Sardinen-Regalen am Mittelmeer, nie so ganz überfüllt sind. Das Wasser des Atlantik ist natürlich deutlich kühler. Bis kürzlich war das ein Standortnachteil, der sich im Klimawandel umkehrt, immer mehr Urlauber wollen nicht mehr in einer Brühe baden, die schon im Juni an die 30 Grad warm wird. Der Wind ist mitunter lästig, dafür kühlt er wenigstens die Nächte. Geheimtipp ist Chipionas Küste auch für Surfer und alle jene, die es lieben, zwischen Felsbrocken und Dünen zu wandern und zu baden, die nicht alle 200 Meter ein Lokal und einen Parkplatz brauchen. Chipiona hat daher Zukunft, keine schöne, wenn man sieht was die Baukräne im Ortsteil Costa Ballena zusammenzimmern, aber wie können jederzeit den Kopf in Richtung Meer drehen und sind versöhnt.
Der Faro, der Leuchtturm, kann besucht und gegen Voranmeldung bestiegen werden, am 1. November dreht eine Jesusstatue eine Runde durch Ort und um den Turm, das macht sie seit 1755, seit das Erdbeben von Lissabon einen Tsunami anspülte, der die Stadt verwüstete und sogar noch hier einige Fischer tötete. Im Winter ist Chipiona sehr still, abgesehen von den Lauten aus den Bars, in denen der Flamenco und die Copla im Wechselgesang mit den Gezeiten erklingen. Sie bauen Moscatel an in der Gegend, brauen daraus auch Manzanilla-Sherry, vor allem aber einen „Rosinen-Wein“, klebrig süß wie die Coplas und Filmchen der berühmten Rocío Jurado, die hier 1944 geboren und in Spanien Kult wurde. Ihr Mausoleum ist ein Pilgerort.
Ist Chipiona im Sommer eine simple, durch Weite und Natur punktende Alternative zu den Mittelmeerstränden, ist es im Winter vor allem ein Tipp für Wanderfreunde, die ein bisschen Sturm im Gesicht vertragen. Sonst ist hier nicht viel los bis Ostern, auch wenn die Landesregierung mit 2,6 Millionen versucht hat, den Hafen aufzumöbeln. Eine „Gourmet-Mole“ wurde dieser Tage dort eröffnet, die ganz in der architektonischen Tradition Chipionas zu stehen scheint, denn die Anlage sieht so einladend aus, als hätte eine Firma für Messebau ihr Inventar vergessen. Der Hafen solle näher an die Stadt rücken und nicht nur ein Parkplatz für Sportboote und der Umschlagplatz der Fischer sein, wünschte sich ein Minister aus Sevilla, der sich das erste Bier zapfen lässt. Die Fischer schlagen sich derweil mit EU-Quoten, Schonzeiten, einer Krabben-Plage und einem versuchten Verbot der Schleppnetzfischerei herum. Amerikanische Fischerei-Touristen sind das neueste Seepferdchen, auf das die Strategen im fernen Sevilla hier nun setzen lassen wollen. Dann sollten sie recht bald einen McDonalds in den Hafen bauen.
Das Informelle, das Zufällige, das ein bisschen Nachlässige, das Chipiona ausmacht, es liegt den Gaditanos insgesamt im Blut. Sie brauchen keine großartigen Kulissen bauen, sie haben die großartigste vor der Haustür, das Meer, den Atlantik. Der hatte schon Homer und Platon inspiriert, da wird er wohl uns postmodernen Pauschalerdlingen genügen. Die Menschen in Cádiz, die Chipioneros zählen sich zu den Gaditanos, verleihem allem Stil und Swing durch Geselligkeit, die fatalistische Fröhlichkeit, die sie durch schwere Zeiten navigierte, die, wie die Wellen des Meeres, nie enden wollen, so, wie ihr Leuchtturm seit zwei Millenien etliche Schiffe vor dem Schiffbruch bewahrte. Und dem Gourmet, den es hier anspült, sind die misslungenen Installationen herzlich egal, er hat nur Augen für die Garnelen de Sanlúcar, den Manzanilla-Sherry und das Meer, - die Dreifaltigkeit des Glücks an Spaniens Atlantikküste.
Informationen zum Tourismus in Chipiona.
Zu Thema: Cádiz - Bunte, wilde Schönheit, Tipps für einen Besuch.