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Arbeiten statt feiern: Hinter den Kulissen einer Dorf-Fiesta in Spanien

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Von: Susanne Eckert

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Mädchen in weißen Kleidern auf einer Bühne
Ein unvergesslicher Moment: Die Vorstellung bei den traditionellen Fiestas in Spanien. © Pedro Agulles

Für die Spanier haben ihre spektakulären Fiestas eine ganz besondere Bedeutung. Ein Blick hinter die Kulissen der traditionellen Dorffeste in Spanien.

La Xara – Der Platz am alten Johannisbrotbaum in La Xara an der Costa Blanca ist brechend voll. In den Stuhlreihen drängen sich alle Dorfbewohner vom Kind bis zum Großvater, einige suchen im Dämmerlicht noch vergeblich nach ihren Familien, setzen sich dann aber einfach zu Bekannten. Egal, hier kennen sich alle und jeder findet ein Plätzchen. Als es dunkel geworden ist, fragt der Moderator: „Sind die quintos bereit?“ Oh ja, das sind sie. Triumphale Musik erschallt, während die 18-Jährigen des Dörfchens einer nach dem anderen im Feststaat die Rampe hochschreiten – der Moderator hebt mit einem kurzen Text ihre Vorzüge hervor und für jeden gibt es ein kleines Feuerwerk. Zur presentación de los quintos – der Vorstellung der Festburschen und Festmädchen in Spanien – verirren sich nur selten auswärtige Festbesucher. Doch für die Einheimischen ist diese Tradition der Höhepunkt ihres Patronatsfests (fiestas patronales). „Wenn die ganze Woche verregnet wäre und die quintos nur diesen einen Festakt feiern könnten, wären sie schon zufrieden“, sagt der langjährige Präsident des Festkomitees, Javier Baidal. „Sie fühlen sich damit erwachsen und in die Dorfgemeinschaft aufgenommen.“

Fiesta in Spanien: Traditionen der quintos an der Costa Blanca

Dieser unvergessliche Moment muss hart erarbeitet werden. Das traditionelle System der Fiestas, das noch in vielen Dörfern in Spanien existiert, funktioniert so: Die Jugendlichen werden in dem Jahr gefeiert, in dem sie 18 werden, und ihr Festkomitee bezahlt diese Fiestas. Während sie feiern und genießen, stehen die 17-Jährigen (tatkräftig unterstützt von ihrem Komitee) bei allen Veranstaltungen hinter den Bar-Theken und erwirtschaften den Gewinn, mit dem sie dann die Fiesta im nächsten Jahr finanzieren, bei der sie die Protagonisten sind und von denen bedient werden, die dann 17 Jahre alt sind. Doch das ist nicht alles: Quintos und Komitee organisieren während des ganzen Jahres kleinere Feste im Dorf für alle Altersgruppen – von Halloween über Weihnachten und Neujahr, San Antonio, den Valentinstag, den Tag der Frau bis hin zu selbst gewählten Festen wie Oktoberfest, Ibiza-Party, Bikertreffen oder was auch immer. So herrscht im Dorf Leben und es kommt Geld für das große Patronatsfest herein.

Es ist also viel Organisation und Einsatz nötig. Warum machen die quintos in Spanien das? „Es ist Tradition“, sagt Paula Escortel. „Die Fiestas und besonders die Vorstellung sind für uns wichtig. Danach fühlt man sich anders, reifer und bereit für einen neuen Lebensabschnitt – zum Beispiel das Studium. Man hat auf diesen einmaligen, magischen Moment das ganze Leben gewartet. Es ist unser Moment, es ist unser Jahr und es ist unsere Fiesta. Wir quintos sind zusammen aufgewachsen und lieben uns – und streiten – wie Geschwister.“ Ihre Freundin Ainoha Alcalde trug mit vier Jahren das erste Fiesta-T-Shirt. „Quinta 2022“ stand auf dem Rücken des kleinen, lila Kleidungsstücks. „Es lohnt sich, für unsere Fiestas zu arbeiten“, sagt sie überzeugt. „Wir sahen jedes Jahr die quintos auf der Bühne und träumten von unserer Vorstellung, seit wir klein waren.“

Festkönige und Veranstalter: Tolle Fiesta ist in Spanien Ehrensache

Die quintos sind in Spanien die Könige und Königinnen ihrer Fiestas. So werden ihre Häuser mit Blumen geschmückt und sie werden zu allen Veranstaltungen mit einem Umzug mit Musik abgeholt. Doch sie sind mit ihrem Komitee auch die Veranstalter. Dass sie ein tolles Programm bieten, ist Ehrensache. Das hat seinen Preis. Ein zehntägiges Fest kostete vor einigen Jahren noch zwischen 40.000 und 50.000 Euro. Heute ist es wegen Corona, der Energiekrise und der Inflation fast doppelt so teuer. Da müssen die quintos Gas geben, die dabei von ihrem Fiestas-Komitee unterstützt werden. Eigentlich sollten in dem die Dorfbewohner sein, die vor zehn und 20 Jahren 18 Jahre alt wurden. „Doch die haben oft andere Dinge zu tun und auch keine Lust“, bedauert Loli García, deren Sohn Marc in diesem Jahr quinto ist. „Also springen wir Eltern ein. Die quintos freuen sich sehr auf ihre Fiesta, und wir Eltern arbeiten mit, um sie ihnen zu ermöglichen.“ Das habe einerseits dazu geführt, dass die 18-Jährigen heute viel von ihrer Verantwortung an die Eltern abgeben. Aber andererseits sei die Arbeit für die Fiestas eine schöne Familienaktivität im Jahr, bevor viele der Küken ausfliegen. Loli García will auch dazu beitragen, die Tradition zu erhalten. „In anderen Orten zahlen die Eltern einen Beitrag oder das Rathaus finanziert und organisiert die Fiesta“, sagt sie. „Aber ich finde es toll, dass sich die quintos in La Xara noch ihr Fest selbst erarbeiten.“

Es sei für die Eltern hart, sich die ganze Nacht hinter der Theke um die Ohren zu schlagen, sagt Loli García. Und dann müsse ja noch aufgeräumt werden. „Wir werden oft erst nach 5 Uhr morgens fertig.“ Doch andererseits habe sie als Komitee-Mitglied Dorfbewohner kennengelernt, die sie vorher nur vom Sehen kannte. „Ich bin jetzt viel mehr in die Dorfgemeinschaft integriert.“ In La Xaras Fest-Komitees wurden Freundschaften fürs Leben geschlossen, Ehen angebahnt und Vorurteile – zum Beispiel wegen politischer Differenzen – überwunden, sagt Bürgermeisterin Maite Pérez Conejero. „Es klingt wie ein Klischee, aber die Fiestas halten das Dorf zusammen.“ Ein Extremfall ist Manuel Bastida, der wegen seiner beiden Stiefkinder in zwei Komitees war. „Nach zehn Jahren in La Xara kannte ich kaum jemanden“, sagt er. „Aber nach der Arbeit in zwei Komitees habe ich viele Bande geknüpft, und jetzt grüßen mich alle auf der Straße.“ In Spanien erkenne das ganze Dorf an, wenn jemand Zeit und Arbeit in das Dorfleben investiert – auch als Zugezogener.

Fiestas in Spanien: Ein ganzes Dorf steht Kopf

Die kleinen Feste während des ganzen Jahres strukturieren den Jahreslauf und geben den Dorfbewohnern in Spanien Gelegenheit, zu bescheidenen Preisen auszugehen. Das große Patronatsfest ist dagegen die Zeit, in der das ganze Dorf zusammenkommt. Das gilt sogar für Leute, die nicht mehr in La Xara wohnen, wie Nikolas Gil Eckert, der seit einigen Jahren in Deutschland lebt und arbeitet. „Ich komme jeden September zum Patronatsfest, um ein paar Ferientage zu verbringen und alle Welt zu treffen“, sagt der 22-Jährige. „Nächstes Jahr sind die Fiestas für mich besonders wichtig, da meine Schwester Laura quinta sein wird.“ Viele traditionelle Einwohner von La Xara sehen die Fiestas als ihre Sommerferien. Sie nehmen Urlaub und ganze Firmen schließen, damit die Mitarbeiter die zehn Tage voll auskosten können, in denen das ganze Dorf kopfsteht. Schon einige Tage vor dem Patronatsfest wird die Hauptstraße für den Verkehr gesperrt, Kinder spielen dort und Senioren stellen abends Stühle auf die Straße und plaudern. Außerdem kommen die Anwohner der paar Straßen im Dorf zusammen und schmücken sie, oft mit originellen handgemachten Dekorationen. Die Dorfbewohner, die einer peña (einem Freundeskreis) angehören, mieten ein Lokal – oft nur eine Garage –, wo sie ab sofort zusammenkommen, Essen veranstalten und vorbeikommenden Bekannten etwas ausgeben. Und zudem bereiten diese peñas Kostüme und Festwagen für einen bunten Umzug vor, bei dem die quintos als Ehrengäste elegant gekleidet auf einer großen Kutsche sitzen und den Kindern Bonbons zuwerfen.

Eine volle Bartheke, hinter der hektisch gearbeitet wird.
Fiesta in Spanien: Hinter der Theke geht es sehr hektisch zu. © Susanne Eckert

Der Aufbau des Fiestaprogramms ist jedes Jahr gleich und das jeweilige Komitee füllt es aus. Am ersten Tag eröffnen die quintos die Fiesta mit humorvollen Reden und lassen alle hochleben. Man stößt an und singt Volksfest-Lieder mit. Der zweite Tag ist feierlicher. Mittags wird den „Autoritäten“ aufgetischt und abends findet die Vorstellung der Festburschen und -mädchen statt.
Obwohl die religiösen Akte auch in Spanien schon lange nicht mehr im Mittelpunkt der Fiesta stehen, ist die Kirche während der beiden Fest-Messen voll und viele Dorfbewohner nehmen an den zwei Prozessionen teil, die jeweils mit einem Böller-Konzert enden. Der Rest der Woche ist Party-Stimmung und es ist für jeden was dabei. Es gibt einen Kinder-Tag, einen Senioren-Tag, und mehrere große Abendessen, bei denen die quintos das Dorf zu etwas einladen – zum Beispiel zu Bier, dem ortstypischen Coca-Gebäck oder zu einem Nachtisch. Und dann gibt es den día de los quintos, und der dreht sich ausnahmsweise mal nicht um die diesjährigen Festburschen und -mädchen: Alle Einwohner treffen sich mit ihren quintos – also mit ihren Altersgenossen –, ziehen ihre alten Festblusen an (auch wenn sie manchmal nicht mehr ganz zugehen). Sie essen zusammen, tanzen und erinnern sich an alte Zeiten. Es gibt zwei Band-Abende, zwei Disko-Nächte und natürlich die an der Costa Blanca so typischen Stiertreiben. In La Xara waren es dieses Jahr elf. Sie werden aber von einem anderen Komitee veranstaltet, den Amics dels Bous (Stierfreunden).

Fiesta in Spanien: Rudimentärer Gastronomiebetrieb

Trotzdem bleibt den Fest-Komitees in Spanien viel Arbeit. Da es jedes Jahr ein anderes gibt, muss es das Rad jedes Mal neu erfinden. Und zudem hat es nur sehr rudimentäre Installationen für einen „Gastronomiebetrieb“. „Es sind 14 Monate mit sehr viel Arbeit und sie ist für uns neu, wir sind ja keine Gastronomen“, sagt die Vorsitzende der diesjährigen Kommission, Isabel Roselló. „Wir müssen bei den Fiestas für hunderte Leute Getränke und Lebensmittel einkaufen und sie dann zubereiten. Wir wissen nie, wie viele Gäste kommen werden, und unsere Ausstattung ist extrem schlicht.“

Natürlich ist auch das Rathaus an den Fiestas in Spanien beteiligt und unterstützt das Komitee mit Rat und Tat. „Wir machen, was man kaum sieht und was viel Papierkrieg verursacht“, sagt Bürgermeisterin Maite Pérez Conejero. „Die Festbeleuchtung, die Bühnen, die Miete der Tische und Stühle, die Toiletten und die vielen Studien, die man machen muss, um die Genehmigung für die verschiedenen Veranstaltungen zu bekommen.“ Einschließlich der Subventionen zu den kulturellen Veranstaltungen habe das Rathaus dieses Jahr rund 25.000 Euro ausgegeben. Ein Klacks verglichen mit dem Gesamtpreis. Kostet doch eine einzige große Band wie La Pato schon 12.000 Euro. Gebe es keine quintos und Komitees, könnten sich die kleinen Dörfer ihre Fiestas nie leisten. Und auch während des Jahres gäbe es dann nur wenig Leben dort. Doch dank des Fest-Komitees steht fast jeden Monat eine kleine Fiesta im Programm. So ist für den Montag, 31. Oktober, ab 17 Uhr eine Halloween-Kinderparty auf dem Dorfplatz geplant. Und abends gibt es dort ein Essen (Reservierungen unter WhatsUp 680 513 218) und Livemusik für die Erwachsenen. Am Wochenende vom 11. bis 13. November findet auf diesem Dorfplatz dann ein Novemberfest statt, La Xaras Version des Oktoberfestes, mit frischen Bratwürsten und anderen deutschen Spezialitäten sowie deutschem Fassbier. Am Freitag und Samstag kann man abends kommen und Livemusik genießen, am Sonntag gibt es einen Frühschoppen und Mittagessen (Info unter WhatsUp 680 513 218) .

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