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Graubners Bronzestadt: Riópar, aus Liebe zu Metall

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Von: Stefan Wieczorek

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Ein aus Metall gegossener Gegenstand liegt in einer alten Fabrik.
Die Metall-Fabriken können in Riópar heute als Museum besucht werden. © Stefan Wieczorek

Von einem Österreicher, der auszog, um eine spanische Gemeinde vor 250 Jahren für neue Zeiten in Form zu bringen.

In Spaniens Geschichte gibt es die Gaudís oder Picassos, die durch ihr famoses Talent selbst großen Städten ihren Stempel aufdrückten. Dann gibt es Leute wie Juan Jorge Graubner. Nie von ihm gehört? Wahrscheinlich. Dabei gelang es dem Österreicher, ein spanisches Städtchen grundlegend zu wandeln – ja, es sozusagen in eine neue Form zu gießen und auf diese Weise sein Überleben zu sichern. Unser Ausflug führt nach Riópar, die kleine Bronzestadt im Hinterland der Provinz Albacete.

Spaniens Hinterland: Ausflug in die Bronzestadt Riópar

Für eine Gestalt, die in Spanien mindestens regional eine Ära prägte, ist über Juan Jorge Graubner überraschend wenig bekannt. Der Mann, der eine moderne Bronzestadt schuf, muss ein rastloser und tüchtiger Geist gewesen sein, der sein Handwerk – die Metallverarbeitung – liebte. Logisch, dass es den 1736 in Wien Geborenen in seinen Studienjahren nach Goslar verschlug, die Stadt der wertvollen Erze. Mit 22 Jahren hatte er es dort in der Tasche: das deutsche Diplom eines fertigen Metallingenieurs.

Die Ferne aber rief den begeisterten Reisenden, und der Österreicher landete in Madrid. Das nun Spanien regierende Königshaus Bourbon setzte nach Jahren der Kriege in Europa sehr auf Technik und Wissenschaft – und das reizte den jungen Auswanderer, dem das spanische Wesen irgendwie besonders lag. Tatsächlich gelang es Juan Jorge Graubner – allein dafür kann man dem späteren Begründer der spanischen Bronzestadt gratulieren –, in Spanien seinen deutschen Ingenieurstitel anerkennen zu lassen.

Kleiner Fisch im spanischen Wasser

Vielleicht kam für den Auswanderer bei der Anerkennung des deutschen Ingenieurstitels schon der Trick mit dem Namenswechsel zur Geltung: Aus (wahrscheinlich) Hans Georg machte der Wahlspanier Juan Jorge Graubner, und nahm bald die spanische Nationalität an. Keineswegs ein dicker Fisch, ging der pfiffige Österreicher in der Hauptstadt ab wie ein Fisch im Wasser. Kontaktfreudig kam er an hohe Aufträge – und verwaltete prompt die Wasserpumpen der Madrider Feuerwehr.

Lizenzen des Königlichen Rats für Handel, Münzen und Bergbau machten den eingewanderten Ingenieur zum offiziellen Gießer, dessen Produkte aus Bronze bis Messing, mechanische und hydraulische Teile und manch eigene Erfindung das Wappen des Königs von Spanien tragen durften. Privat lief es auch: Mit María Gertrudis Ópiz ging Graubner die Ehe ein. Leider starb sie früh, wonach er mit Vicenta Ortineri eine weitere Spanierin heiratete. Aber nicht die Liebe zu einer Frau brachte ihn auf das kuriose Lebensziel – Riópar.

Ein metallener Arbeiter steht vor Arbeitstisch und arbeitet.
Riópars Bronzefigur ist Graubner und Arbeiterinnen und Arbeitern der Fabriken gewidmet. © Rathaus Ríopar

Österreicher schuf Spaniens Bronzestadt: Fakten zu Riópar

Nachricht aus dem Hinterland: Glühend zum König

Von dort, dem Hinterland am Rande Albacetes zu Murcia, ging eine Nachricht ein, die das bronzene Herz Juan Jorge Graubners hochschlagen ließ: Eine Mine sei entdeckt worden. Und darin werde Galmei gefördert – eine Mineralmischung, die es so in ganz Spanien nirgendwo gab. Galmei ist kein Gold. Aber für damalige Metallprodukteure war der – etwa für die Herstellung von Messing – überaus nützliche Stoff wie Gold. Eine glühende Vision flammte in Graubners innerem Auge auf: Das Bild seiner Studienstadt Goslar erschien.

Aber anders, neu, in Spanien verortet. Graubner zuckte: Könnte nicht hier, in seiner Wahlheimat, eine zweite europäische Metallhauptstadt erwachsen? Ja, genau das würde er tun – eine Fabrik bauen, in Riópar, in der Nachbarschaft der einzigartigen Galmei-Mine. Dem ganzen Land würde das Werk zugute kommen. Und es würde den Titel einer „Fábrica Real“ (königliche Fabrik) tragen. Frech brachte Graubner anno 1771 seine Vision nicht irgendjemandem vor, sondern dem spanischen König.

Unglaubliches Privileg vor 250 Jahren

Und Spaniens Nationalflaggen-König Carlos III. sagte zumindest nicht „no“, sondern gab etwas später sogar grünes Licht. Am 19. Februar 1773 war es soweit – 250 Jahre sind nun exakt vergangen –, als Graubner die königliche Urkunde in den Händen hielt, die dem Unternehmer ein unglaubliches Privileg zuteilte. Am Bach Gollizo fand der Ingenieur einen guten Standort und ließ die im heutigen Riópar als Reales Fábricas de Bronce y Latón (Königliche Fabriken für Bronze und Messing) bekannte Anlage erwachsen.

Ein älteres Gebäude steht vor einer Allee mit Bäumen und Autos.
Graubners Bronze- und Messingstadt muss sich im 21. Jahrhundert neu ausrichten. © Stefan Wieczorek

Man darf sie sich nicht als abgesonderte Fabrikhalle irgendwo im Industriegebiet vorstellen. Es war eine andere Zeit, ein Vierteljahrtausend vor der mobilen, digitalen Normalität. Arbeiter mussten vor Ort leben, ein Zuhause haben. Ein solches entwarf Graubner, indem er eine Siedlung rund um die Produktionsstätte im Tal unterhalb des eigentlichen Riópar entwarf. Dieses, ein Dorf auf dem Berggipfel fern vom Schuss, war bereits in der Bronze-Ära errichtet worden und fortan kontinuierlich bewohnt.

Nach Riópar wie gerufen: Erste Differenzen

Es ergab sich aber just in Graubners bewegten Zeiten, dass der historische Gemeindeverband Cinco Villas, zu dem das alte Riópar gehörte, sein Ende erlebte. Bewohner verloren ihre Rechte und fürchteten um ihre Existenz. Wie gerufen kam da jener Einwanderer aus dem Norden mit seiner Fabrik im Tal, über die jeder im Umkreis sprach. Immer mehr große Ideen auch in Sachen Gemeindeentwicklung kamen dem Unternehmer, der für seine Projekte jedoch mehr Geld brauchte.

Als ihm ein staatlicher Kredit versagt blieb, ging er mit der Stadt Alcaraz einen Pakt ein und wandelte das bisherige Privat- in ein Gemeinschaftsunternehmen. Graubner gab damit Kontrolle ab, blieb aber Generaldirektor. Bald jedoch stellten sich die Nachteile des riskanten Schritts ein. Mit Alcaraz gab es Differenzen. Ein geplantes, für die Arbeiterausbildung gedachtes Nebenwerk wurde nie gebaut. Allerdings wuchs – auch durch eine Förderinitiative der Regierung – Graubners Werk stetig.

Wie Fluss durch Felsenquelle: Champions League der Metallindustrie

Zur Niederlassung San Juan mit vier unterirdischen Öfen im heutigen Riópar gesellte sich die zweite nahe der Mine am heutigen Naturpark-Gebirge Los Calares del Mundo. 1785 kam es auf Betreiben des Grafen von Campomanes zur Verstaatlichung der Fabriken. Dies jedoch etablierte sie endgültig, und ihre Produktivität zog an. Graubner, noch als Direktor für die technische Seite am Steuer, sah, wie sein Unternehmen nun richtig durchbrach, wie der Río Mundo, Ríopars Bergfluss, durch seine spektakuläre Felsenquelle.

Ganz Spanien wollte glänzende Metallprodukte der Reales Fábricas, und alsbald regte sich auch internationales Interesse. Bald war die wieder privatisierte Firma in der Lage, im Ausland moderne Technik zu beschaffen, dank der man sogar Medaillengewinne auf globalen Fachmessen feierte: Madrid (1850), London (1862), Philadelphia (1876), Paris (1878, 1889), Barcelona (1888) – Riópar spielte in der Champions League der Metallindustrie.

Eine glühende Flüssigkeit bewegt sich in einem Gefäss.
Bronze-Guss in Deutschland heute: Herstellung in Ziesendorf. © Jens Büttner/dpa

Klinken und Patronen Made in Riópar

Kirchen hüllten ihre Kerzen in Metall aus der Bronzestadt. Klinken aus Riópar gab man sich im edlen Spanien in die Hand. Ein unvermeidlicher Kunde klopfte auch an, die Waffenindustrie, und deckte sich seit 1869 mit Patronen Made in Riópar ein. Als Spaniens Regentin Maria Christina von Österreich als Aktionärin einstieg, war ihr Landsmann, der die Fabriken begründet hatte, längst Geschichte. 1801 starb Graubner in Spanien und erlebte auch nicht mehr, wie sich mitten im Boom der Metallfabrik schon ihr Niedergang abzeichnete.

Die Bergbaukrise, der Aufstieg der Zinkindustrie im Norden und der immer stärker als ungünstig wahrgenommene Standort im Albacete-Nirgendwo setzte den Reales Fábricas zu, die im Bürgerkrieg nochmals intensiv den spanischen Tötungswahn bedienten. Ein Hoch noch erlebte das Werk in Francos Nachkriegsspanien, als es für die Herstellung von Utensilien aus Bronze, Silber und Neusilber 400 Arbeiter unter Vertrag nahm.

Letztes Mal „El Dorado“: Aus Material der Bronzestadt

Rekordhafte 3.000 Bewohner zählte das Fabrikdorf, das man zum letzten Mal als „El Dorado“ feierte, bevor die neuen liberalen Zeiten dem alten Metallwerk die endgültige Krise brachten. In den 80ern noch als Arbeitergesellschaft gerettet, machte die Real Fábrica 1996 das Licht aus. Aber ausgerechnet da vervollständigte sich das Vermächtnis des Juan Jorge Graubner. Denn Spaniens Regierung erfüllte 1997 einen Wunsch der Ortschaft.

Die längst zum hübschen Lebensmittelpunkt der Gegend gewordene Arbeitersiedlung im Tal erhielt einen neuen Namen, und der lautete – übernommen vom abgelegenen überholten Dorf – Riópar. Auf diese Weise wurde der Österreicher – 225 Jahre nach der Fabrikgründung – zum Garanten für das Überleben der Gemeinde auch im 21. Jahrhundert. Nun steht Neu-Riópar vor der Aufgabe, für die teils ruinösen, teils hübsch hergestellten Hallen der Reales Fábricas neue Zwecke zu finden.

Kunstgegenstände aus Metall stehen nebeneinander.
Bronze- und Messing-Souvenirs produzieren in Riópar heute noch zwei private Fabriken. © Stefan Wieczorek

Von Kultur über Gastronomie bis Tourismus gibt es so manche glühende Visionen, aber auch noch viel Arbeit. Ein Mutmacher schaut auf dem Rathausplatz freundlich drein: Die Figur des Metallverarbeiters. Die Widmung lautet: „Für Juan Jorge Graubner und alle Männern und Frauen, die in den Reales Fábricas de Bronce arbeiteten“. Auch wenn die Figur ihn nicht direkt darstellt, passt die Würdigung zu Riópars Österreicher: Kein goldener Pokal für die eigene Ehre, sondern eine kollektive Huldigung aus dem Material der Bronzestadt.

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