Allein auf Instagram folgten ihr 820.000 Menschen. „Mujer de las mil batallas“ – Frau der tausend Schlachten – heißt das Lied, das Popsänger Manuel Carrasco ihr bei vielen Konzerten widmete. Die Zeitschrift „Elle“ zeichnete sie bei den „Hope Awards“ aus. Ihr Buch „Mis ganas ganan. Nadie nos ha prometido un manaña, vive el presente“, läuft in der fünften Auflage.
Bei ihren Videos schwang stets eine Botschaft mit: „Elena hat vier Jahre gekämpft und gezeigt, wie sie ist, auch an den harten Tagen. Ich glaube, es ist sehr klar, was sie vermitteln wollte: Es ist sehr wichtig, in die Erforschung all dieser Krankheiten zu investieren, weil am Ende alles andere nichts bringt“, meinte ihre Schwester Emi Huelva, die wie Hund Nora in vielen Videobotschaften zu sehen ist.
Wer noch nie etwas vom Ewing-Sarkom gehört hat, kennt Elena Huelva nicht. Keine drei unter einer Million erwischt die seltene Krankheit in Spanien. Indem sie als Influencerin alle Welt an ihrer Krankheit teilhaben ließ, leistete Elena Huelva einen gewaltigen Beitrag für ihre Erforschung. Eine bessere Werbung für Spenden kann man sich schwer vorstellen.
Der inzwischen ebenfalls verstorbene Blogger und Athlet Pablo Ráez aus Marbella rief über seine Beiträge auch zu Knochenmarkspenden auf, die im Jahr 2016 in Spanien um 36 Prozent stiegen und in seiner Heimat Andalusien sogar um 80 Prozent. Bis heute führt seine Familie diese Einträge fort, unter dem Motto: „Du spendest nicht für Pablo Ráez. Du spendest für das Leben.“
Eine ganze Reihe von Menschen mit schweren Krankheiten gehen im Internet offen mit etwas um, was eigentlich lange in die Intimsphäre gehörte. Leid, Schmerz und Tod gab man sich vor der Ära der Sozialen Netzwerke hinter verschlossenen Türen hin, Trost fand man im Kreis der Familie. Sicherlich, schon immer stießen einige diese Türen auf und erreichten viel, vor zwölf Jahren etwa Leo Montero aus Dénia, die mit Kolumnen und mit Hilfe Sozialer Netzwerke auf die Schwierigkeiten aufmerksam machte, unter denen Menschen mit amyotropher Lateralsklerose – auf Deutsch ALS, auf Spanisch ELA – und ihre Angehörigen leiden.
Wenige wussten überhaupt etwas von dieser fiesen degenerativen Erkrankung des Nervensystems, Leo Montero half Menschen sich vorzustellen, was es heißt, wenn kein Körperteil mehr das macht, was das Gehirn sagt. Sie fand in der damaligen Prinzessin Letizia eine Botschafterin ihres Anliegens. Ähnlich erging es Ramón Sampedro, der von einer Klippe ins seichte Wasser sprang und bis zu seinem Freitod vom Hals abwärts gelähmt war. Sein Kampf für ein Sterben in Würde verfilmte der Regisseur Alejandro Amenábar in dem mit einem Oscar preisgekrönten Film „Mar adentro“ (Das Meer in mir). Auch diesem Film und Lebenswerk hat Spanien das moderne Sterbehilfegesetz zu verdanken, das es heute hat.
Leo Montero und Ramón Sampedro kann man als zwei von vielen Vorkämpfern, die auch ohne digitale Hilfsmittel als kranke und leidende Menschen die Öffentlichkeit und Medien suchten und Mitgefühl fanden. In ganz andere Dimensionen drang aber eine Elena Huelva vor, die in den Sozialen Medien ihr tägliches Leid und Leben über eine halbe Million Menschen quasi miterleben ließ.
Auch der Schriftsteller Robert Hernando schreibt nicht mehr nur in der Enge des stillen Kämmerleins, den Kampf gegen seine unheilbare Krebserkrankung führt er in der Hoffnung auf ein Unentschieden in den Weiten der Sozialen Netzwerke unter dem Motto „Krebs – Partie für Partie“. Anfangs überwog die Scheu, sein Leid zu „teilen“, heute der Wunsch und die Hoffnung, anderen Kranken zu helfen. Weder mit Fäusten noch mit den fiktiven Charakteren seiner Romane kann er den Krebs bekämpfen und besiegen, das kann sowieso nur die Wissenschaft. Das Unentschieden, um das er auch in Twitter und Instagram ringt, ist das tägliche Leben mit der Krankheit.
Hilda Siverio verliert diesen Kampf, sie hat Brustkrebs im Endstadium, und 1,3 Millionen Menschen stehen der 51-Jährigen aus Teneriffa in den Sozialen Netzwerken bei. Als Siverio vor acht Jahren ein triple-negatives Mammakarzinom diagnostiziert bekam, begann sie ihre Krankheit in den Sozialen Netzwerken zu erzählen, als ob es ein Tagebuch wäre. Treu dem Motto „entlocke dem Krebs ein Lächeln“ sieht man sie mit Glatze und tiefrot geschminkten Lippen tanzen und singen. So vermied sie, dass ihre drei Kinder unter ihrer Krankheit leiden müssen, und so vermittelt sie ihre Vorstellung vom „Leben als ein Geschenk, das man bis zum Letzten auskosten muss“. Auch sie macht sich für die Krebsforschung stark und setzt sich dafür ein, dass bestimmte Therapien schnell ihren Weg ins öffentliche Gesundheitswesen finden.
Die Liste ließe sich mit vielen ähnlichen Schicksalen fortführen, Menschen, die mit Tabus brechen und ihr Leiden mit Millionen teilen. Man kann darüber streiten, ob Soziale Netzwerke eine therapeutische Wirkung für diese Influencer und ihr Publikum haben, ob sie Wissenschaft, Forschung und Gesundheitswesen unterstützen, oder ob sie nicht doch Schmerz, Leid und Tod zu einer Art Unterhaltungsprogramm banalisieren. Dann müsste man sich auch fragen, warum Millionen sich einklicken und woher ein derart großes Bedürfnis rührt, am Leid anderer Menschen teilhaben wollen.