1. Costa Nachrichten
  2. Spanien
  3. Land und Leute

Geschichte der Osterprozessionen in Spanien: Blut und Licht

Erstellt:

Von: Marco Schicker

Kommentare

Bruderschaft mit Nazarener-Kapuzen zur Osterprozession in Spanien.
Spanies Osterprozessionen wirken mitunter gespenstisch, ja martialisch auf Außenstehende. Das sollen sie auch, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. © Pixabay

Es geht wieder los: Spaniens Osterprozessionen sind Glaubensbekenntnis und Straßentheater in einem. Eine virtuelle Prozession durch die Geschichte der Bruderschaften in Spanien, ihre uralten Riten zwischen Fanatismus, Traditionspflege und geselligem Beisammensein.

Sevilla - Sie gehören zu Ostern in Spanien wie anderswo der Osterhase: Mal in Büßerhemden, mal mit den Nazarener-Kapuzen, mal in weiß, purpur oder schwarz, die sie wie Henker aussehen lassen. Mit Fackeln und rasselnden Ketten bewaffnet, ziehen sie in der Passionszeit um die Kirchen, ächzen unter tonnenschweren Lafetten, tragbaren Bühnen mit Heiligenfiguren darauf, feiern stumm uralte Rituale um den Tod und die Auferstehung ihres Erlösers, sind der Mittelpunkt der Glaubensparaden voller düsterer Show-Effekte und militantem Habitus mit Trommeln, die an den Aufmarsch einer Armee erinnern. Mittendrin auch kleine Kinder. Gläubige im Sonntagsstaat säumen den Weg, denen Tränen schauriger Rührung in den Augen stehen.

Osterprozessionen in Spanien: Wer ist wer - und warum?

Osterprozession in Cartagena.
Glaubensbekenntnis und Touristenattraktion: Prozession zur Semana Santa in der Altstadt von Cartagena, Region Murcia. 2017. © Jose Albaladejo Ros/Rathaus Cartagena

Zwar stellten gläubige Christen immer schon den Leidens- auch Kreuzweg Jesu nach, zu einer geregelten Tradition der Osterprozessionen in Spanien und einem Boom katholischer Laienverbindungen kommt es erst ab ungefähr dem 12. und mehr noch ab dem Ende des 15. Jahrhunderts nach dem Triumph der sogenannten Reconquista, als die Katholische Kirche in Spanien in ihrer Geschichte den Macht-Zenit erreichte. Nirgendwo, außer noch im lange ebenfalls spanisch dominierten Süditalien, hat sich diese Tradition so inbrünstig gehalten.

Grob gliedern lassen sich die Bruderschaften in jene, die sich einst nach der Berufsgruppe orientieren (cofradías) und die teils schon bestanden, bevor die katholische Kirche Spaniens ihren regelnden Zugriff reklamierte. Die zweite Gruppe geht nach der Herkunft, zum Beispiel nach Stadtvierteln und sie sind offen für alle Gläubigen eines barrios (hermandades). Eine dritte Gruppe, sozusagen die Hardliner, waren die sogenannten Flagellanten oder Geißler, ebenfalls Laien, ein Phänomen, das vor allem im 13. und 14. Jahrhundert Zuwachs bekam, als die Kirche den Gläubigen einredete, Pestseuchen und anderes Ungemach wie Dürren und Seuchen seien Strafen Gottes für ihre Sünden, bis man auf die Idee kam, auch das den Juden in die Schuhe zu schieben.

Unter Lichtergoldbühnen gucken Träger vor: schwarzbraune Kerle, schweißberonnen, mit Säcken auf dem Kopf. Aus der Unterwelt lugen sie, in Sklavenstellung, kniend und bäuchlings.

Alfred Kerr, „O Spanien!“, 1924

Es ist daher fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet eine Epidemie, also einer der Motive für ihre Gründung der Grund war, wegen der 2020 erstmals in der Geschichte keine Prozessionen in Spanien stattfinden konnten und die Heiligenfiguren höchstens schamhaft aus den Kirchenportalen schauten. 2021 wurden sie ebenfalls abgesagt, zu unsicher noch war die Lage. Nicht einmal die Kriege schafften das zuvor, sogar während der kirchenfeindlichen Spanischen Republik und im Bürgerkrieg fanden sie statt, zum Teil entgegen ausdrücklicher Verbote, was Priester mitunter mit ihrem Leben bezahlten.

Männer tragen in Spanien eine Jesus-Statue bei einer Prozession.
Osterprozession in Toledo im Jahre 1942 © Wikipedia

Prozessionen als Abgrenzung: Bruderschaften und die ökonomische Reconquista - Schinkenprobe im Ornat

Die katholische Kirche in Spanien, in ihrer Geschichte stets nach Allmacht bestrebt, förderte und ordnete das Laienwesen aus zwei Gründen: Zur Festigung des Katholizismus in den Gläubigen und zur Abgrenzung und Verdammung alles Andersgläubigen. Der Hintergrund: Mit der Reconquista wurden zwar Moslems und Juden aus Spanien vertrieben, Konvertiten durften aber - vorerst - bleiben, aus pragmatischen ökonomischen Überlegungen, nicht aus Toleranz oder Rechtsbewusstein.

Nazarener bei einer Palmsonntags-Prozession in Sevilla.
Wird im Ausland schon mal mit dem Klu-Klux-Klan verwechselt. Sie wollen aber nur spielen. Nazarener bei einer Palmsonntags-Prozession in Sevilla. © Daniel Gonzalez Acuna/EFE

Vor allem die Inquisition stellte jedoch sämtliche konvertierte Juden und Moslems unter Generalverdacht, heimlich ihren alten Ritualen nachzugehen, von Kryptojuden sprach man zum Beispiel. Doch dahinter steckte mehr, es ging mal wieder um Geld und Macht. Denn die cofradías, die sich auch gremios nannten, was man mit Gilde, Innung und Zunft übersetzen kann, waren vor allem daran interessiert, mit dem Kreuz in der Hand ihre Geschäfte in Schwung zu bringen, vor allem auch in jenen Wirtschaftszweigen, bei denen bis dato die jüdischen und maurischen Spanier das Sagen hatten.

In Málaga tragen Personen blaue spitze Kapuzen auf dem Kopf und gelbe Palmen in der Hand.
Ostern 2021: Keine Prozessionen wegen Corona. Hier eine frühere in Málaga © Epa/Javier Cebollada - dpa - Bildfunk

Mit und nach der Reconquista setzte sich in den Städten und Dörfern des früheren Al-Ándalus, in denen ja noch immer viel Arabisch gesprochen wurde, ein Verdrängungswettbewerb und Kulturkampf in Gang, der Anfang des 17. Jahrhunderts mit der Vertreibung der Morisken, die zuvor nur durch königliche Dekrete geduldet waren, ihren Höhepunkt erreichten. Die Inquisition besorgte zudem die Enteignung jener, die auch nur unter dem Verdacht standen, jüdischer Herkunft zu sein.

Berufen konnte sich die Kirche dabei auf eines der ersten Rassengesetzes Europas vom "reinen Blut". Die österlichen Prozessionen machten dieses "Wir" gegen "Die" sichtbar, sie waren im rituellen Sinne zwar ein Leidensweg, aber auch die Imitation eines Kreuzzuges, eine Manifestation der Macht. Der rechtgläubige Bekenntniswahn, ob aus Überzeugung, Pragmatik oder schierer Angst ging sogar soweit, dass man zweifelhaften Gestalten der "Schinkenprobe" unterzog. Wer sich weigerte, in den Serrano-Schinken zu beißen, musste heimlich Jude oder Moslem sein. Die Bruderschaften mit ihren Prozessionen waren sozusagen die Schinkenprobe im Ornat.

Brüder außer Kontrolle: Valencias Bruderschaften proben den Aufstand

Dabei gab es einigen Wildwuchs, den die Kirche glaubte, bald ordnen zu müssen. So erhielten die Gilden und Bruderschaften auf dem Gebiet der Krone von Aragón, also unter anderem dem heutigen Valencia, Katalonien und auf den Balearen, von den Katholischen Königen schon Ende des 15. Jahrhunderts das Recht, Waffen zu tragen, zum Schutz vor Moriskenaufständen und Piratenüberfällen.

Soldaten der Legión tragen ein Kruzifix.
Gotteskrieger? Legionäre tragen ein Jesus-Kreuz bei einer Prozession zur Semana Santa in Málaga im Jahre 2018. © EFE/Archivo

Diese germanías, wie sie auf Katalanisch heißen, nutzten dieses Privileg mitunter dazu, groß in den Sklavenhandel einzusteigen und die vom Islam konvertierten Spanier, die hier seit 800 Jahren lebten, wie Vieh zu verkaufen und auszubeuten. Die Germanías wurden reicher und so selbstbewusst, dass sie sich 1519 gegen den eigenen Adel in Valencia erhoben, um dessen Privilegien wie Steuerfreiheit und Vorzugsrechte bei Landkäufen anzugreifen. Spaniens Reichseiniger Carlos I. saß zu der Zeit noch nicht fest im Sattel und war als Kaiser Karl V. ständig im Ausland beschäftigt und so dauerte es bis 1528 bis wieder die alte Ordnung einzog, rund 800 "Brüder" wurden hingerichtet.

Zu viel Sinnlichkeit: Kirche reguliert Prozessionen in Spanien

Ordnung schaffen musste die Kirche auch bei den braven Bruderschaften. Da die meisten Gläubigen nicht lesen konnten und die Messen auf Latein gelesen wurden, verstanden sie im Gottesdienst schlicht nicht, worum es ging. Selbst wer lesen konnte, hatte keine Ahnung, denn die erste Bibel auf Spanisch erschien erst 1569 – in Basel. Um die Jesus-Story unters Volk zu bringen, ließ man um die Kirchen, teils sogar in ihnen, szenische Nachstellungen zu. Die verselbständigten sich allerdings auf eine Weise, dass die Kirche bald keine lebendigen Darsteller mehr dulden wollte, die sich an der freien Interpretation der Bibel versuchten.

Eine Heiligenfigur wird in Spanien zur Osterwoche zur Prozession gebracht.
Der Allerheiligste verlässt die Kirche zur Prozession. Hier in Orihuela. © Ángel García

Um die Sache in pädagogisch-kanonisch geordnete Bahnen zu lenken, stellte man den Bruderschaften Reliquien und Heiligenfiguren auf Tragbahren zur Verfügung. So kommt es auch, dass jedes Stadtviertel seinen eigenen Patron mit Fiesta erhielt. Wo sich Passionsspiele mit lebenden Darstellern hielten, gab es auch mal Ärger. Die Inquisition verbot zum Beispiel das berühmte Passionsspiel von Elche wegen allzu lebensnaher und - Gottseibeiuns - sinnlicher Darstellungen. Erst ein päpstliches Edikt ließ es wieder zu. Bei den Prozessionen kam es der kirchlichen Ideologie sehr zupass, dass sich die Gläubigen unter den schweren Bahren bücken müssen, die auf ihnen drücken, in Büßerkappen werden sie zu einer grauen Masse.

Organisiert sind die katholischen Laienbruderschaften nach dem Kanonischen Recht, die Vorgaben kommen also direkt aus dem Vatikan und intern sind die Gruppen streng hirarschisch, militärisch aufgebaut und sie sind strukturell noch immer eine Männderdomäne. Erst im Jahr 2011 erklärte der Erzbischof von Sevilla, Juan José Asenjo, dass Frauen in allen Cofradías und Hermandades erlaubt seien und auch als kapuzierte Nazarener mitlaufen dürften. Das letzte Wort behielten aber die Bruderschaften, längst nicht alle nehmen Schwestern auf. Und auch sonst halten sich die Traditionen nicht immer an die strengen kirchlichen Vorgaben und so sehen manche Prozessionen aus wie Karnevalsumzüge, andere wie Militärparaden, wo sogar die spanische Fremdenlegion, immerhin eine offizielle Einheit der spanischen Armee, in Uniform mitmarschiert und Kreuze trägt.

Blut und Licht: Spaniens Prozessionen vom Glaubensbekenntnis zur Folklore

Die Prozessionen unterscheiden sich in solche „de sangre“ (des Blutes, von den Selbstkasteiungen mit Ketten) und jene „de luz“ (des Lichts). Solche, die sich mehr dem Opfertod Jesu widmeten und jenen, die die Auferstehung thematisierten. Ihre Varianten und Symboliken sind unzählig und undurchschaubar, auch dahinter steckt Absicht. Der Gläubige muss sich klein fühlen, damit das Große noch größer wirkt. Deutschlands Kulturpapst Alfred Kerr beschrieb bei seiner Spanien-Reise in den 1920er Jahren das „sklavische“ in der Haltung.

Ein Nazarener überreicht bei einer Prozession in Alicante einem Kind ein Geschenk.
Ein Nazarener bei der Nachwuchsarbeit. Semana Santa in Alicante, 2019. © Marco Schicker

Doch die Realität der Kirche holt auch die Prozessionen ein, von denen viele heute als Kulturerbe registriert sind. Zwar laufen den Bruderschaften im Unterschied zur Kirche die Gläubigen nicht weg, im Gegenteil, in manchen Regionen - vor allem Andalusien - bekommen sie sogar Zulauf, doch der Glaube als Motivation zum Mittragen und Mitlaufen rückt immer weiter in den Hintergrund. Der Gemeinschaftssinn, das Gruppenerlebnis aber behält seine Anziehungskraft. Die Passion wird bei vielen zur Folklore, zur Freizeitbeschäftigung wie die örtliche Fiesta-Gruppe, Blaskapelle oder der Pfadfinderverein. Das Göttliche vermenschlicht sich so wieder, wie Jesus, das Menschenskind. Ob das der Kirche nun passt oder nicht.

Zum Thema: Geschichte der Katholischen Kirche in Spanien
Zum Thema: Geschichte des Judentums in Spanien

Auch interessant

Kommentare