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Attraktiv und jung: In Spanien boomen Schönheitsoperationen und -behandlungen

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Von: Susanne Eckert

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Eine Frau formt ihren Mund zu einem Kuss.
Volle Lippen wünschen sich viele Frauen in Spanien. Schönheitsoperationen und -behandlungen boomen. © Rolf Vennenbernd/dpa

In Spanien hat sich fast die Hälfte der Bevölkerung bereits einer Schönheitsoperation oder -behandlung unterzogen. Nach Risiken fragen vor allem junge Patienten kaum.

Madrid – 40 Prozent der spanischen Bevölkerung haben sich schon einmal einer Behandlung auf dem Gebiet der Ästhetischen Medizin unterzogen. Im Jahr 2021 zählte der Berufsverband Sepe in Spanien über 870.000 Schönheitsbehandlungen. Und: In den letzten zehn Jahren ist das durchschnittliche Einstiegsalter der Patienten von 35 auf 20 gesunken. Die Schönheitsmedizin boomt, der Umsatz der 6.305 staatlich anerkannten Zentren betrug im Jahr 2021 fast 3,6 Milliarden Euro. Und der Berufsverband erwartet für die nächsten Jahre einen weiteren Anstieg um rund 25 Prozent. Woher kommt dieser Run auf ästhetische Behandlungen? „Als ich vor 15 Jahren nach Spanien kam, gab es diese Schönheitskultur noch nicht“, berichtet Dr. Diego Gaona, der in Dénia die Klinik Riga führt. „Ästhetische Behandlungen wurden erst in den letzten Jahren zu diesem Massenphänomen.“ In seinem Heimatland Kolumbien dagegen habe der Schönheitskult eine lange Tradition. „Lateinamerika ist schon immer das Reich der Schönheitsköniginnen gewesen. Die Mädchen wollten so perfekt sein wie sie. Die meisten haben irgendeine Schönheitsoperation machen lassen. Klar, das ist teuer, aber viele zahlen sie in Raten.“

Schönheitsoperationen in Spanien: Mediziner berichten von Boom ästhetischer Behandlungen

Inzwischen ist der Boom der Ästhetischen Medizin auch nach Europa und damit nach Spanien übergeschwappt. Doch die Europäer haben andere Vorlieben. „Das Schönheitsideal ist hier anders“, erklärt der Mediziner und Chirurg. „In Lateinamerika wünscht man sich üppigere Frauen mit Kurven. In Europa orientiert man sich an den Models, die groß und sehr schlank sind.“ Seine europäischen Patientinnen möchten möglichst natürlich wirken und für ihr Alter toll aussehen. „Meine lateinamerikanischen Kundinnen dagegen wollen zum Beispiel sehr große Lippen, sehr betonte Wangenknochen und jünger aussehen als sie sind.“ Führt die Massifizierung der Behandlungen dazu, dass man sich quasi schon verpflichtet fühlt, etwas machen zu lassen? Ist ‚operiert‘ auch in Europa das neue ‚normal‘? „Zunächst einmal ist eine medizinische Behandlung ja nicht einer chirurgischen Operation gleichzusetzen“, erklärt der Mediziner von der Costa Blanca. „Sie ist nur das letzte Mittel, denn inzwischen erhält man auch mit anderen Behandlungen sehr gute Resultate.“ Doch in gewissen Gesellschaftsschichten gehöre der Gang zum Ästhetik-Mediziner wirklich schon fast zur Körperpflege. „Damit gibt man zu verstehen, ich gehöre dazu, achte auf mich und kann mir das leisten.“

Gilt das auch für Männer? „30 Prozent meiner Patienten sind inzwischen Männer“, berichtet der Mediziner. „Die sind noch diskreter als die europäischen Frauen: Sie möchten gut aussehen, ohne dass man merkt, dass sie sich einer Behandlung unterzogen haben, denn das würde ihrer Männlichkeit schaden.“ Doch auch bei Männern verbinde man gutes Aussehen inzwischen mit gesellschaftlichem Status, Erfolg und Gesundheit. Rund 70 Prozent der Behandlungen werden laut dem Berufsverband Sepe im Gesicht vorgenommen. Männer lassen sich oft Augenringe entfernen. Generell liegen Botoxbehandlungen gegen Spannungsfalten, Hyaluronsäurebehandlungen zum Auffüllen sowie Laser-, Plasma- oder Kollagenbehandlungen für frische Haut an der Beliebtheitsspitze. Und Behandlungen zur Fettreduzierung bis hin zur Liposuktion. Bei chirurgischen Schönheitsoperationen liegen bei Frauen Brustveränderungen vorne, Männer lassen sich den Bauch reduzieren.

Ästhetische Behandlungen in Spanien: Kaum einer fragt nach Risiken

Fragen die Patienten heutzutage noch nach den Risiken? „Die Sozialen Netzwerke haben dafür gesorgt, dass Schönheitsbehandlungen heute als normal und unbedenklich gelten“, sagt Dr. Gaona. „Ein Influencer unterzieht sich einer Schönheitsoperation. Aber er erzählt nicht, dass das ein chirurgischer Eingriff mit gewissen Risiken ist. Die Vorbereitung, die Anästhesie, die Arbeit im Operationssaal und die Erholungszeit werden übersprungen. Seine Follower sehen nur das Vorher und das Nachher. So werden falsche Erwartungen geweckt.“ Zudem zeigten die Influencer nur das Ergebnis von Operationen, die gut verlaufen sind. „Gibt es Probleme, so tauchen sie nur in den Medien auf, wenn sie ganz extrem sind und etwa zum Tod eines Patienten geführt haben.“ Heutzutage sind chirurgische und andere Behandlungen in Spanien ziemlich sicher. Doch das Geschäft mit der Schönheit ist ein fetter Heuballen für schwarze Schafe. Dr. Diego Gaona rät deshalb allen, sich in die Hände von Fachleuten zu begeben. „Manchmal lese ich Anzeigen für Botox-Behandlungen, die billiger sind als meine Materialkosten. Dann frage ich mich, was spritzen die denn den Patienten?“

Von den Sozialen Netzwerken lassen sich vor allem sehr junge Menschen beeinflussen. Laut Statistik machen sie in Spanien bereits 20 Prozent der Patienten in den Praxen der Ästhetischen Medizin aus. „Bei mir ist das nicht der Fall, in meine Praxis kommen weiterhin meistens Menschen zwischen 30 und 60 Jahren und einige Senioren bis zu 70 Jahren“, berichtet der Mediziner. „Die wenigen ganz jungen Patienten bringen mir oft Fotos von Menschen mit perfekter Haut. Ich muss sie dann darüber aufklären, dass die nur das Ergebnis von Schminke und Filtern ist. In der Realität sieht keiner so aus.“ Ein Extremfall sei ein 16-jähriger Influencer gewesen. „Er wollte unter anderem die Lippen und die Wangen aufspritzen und eine perfekt ebenmäßige Haut. Und als ich ihm sagte, das mache schon sein Bart unmöglich, verlangte er, dass ich ihm den Bart entferne.“ Diego Gaona schickte den Teenager nach Hause. Nicht nur wegen ethischer Bedenken. „Meine Patienten sind mein Aushängeschild“, sagt er. „Wenn ich auf solche Verrücktheiten eingehe, schade ich meinem Ruf.“

Schönheitsoperationen in Spanien: Aussehen wie mit dem Lieblingsfilter aufgenommen

Ein Vorbild der älteren Frauen in Spanien ist seit Jahren Isabel Preysler. Und viele Frauen in den mittleren Jahren orientieren sich an Königin Letizia. „Ich habe eine Patientin, eine über 40-jährige Anwältin aus Madrid, die mir Fotos der Königin bringt und fragt, was sie gemacht hat, um so frisch auszusehen. Die gleiche Behandlung will sie dann auch.“ Leute, die sich an Prominenten orientieren, gab es schon immer. Ein neues Phänomen sind Menschen, die aussehen möchten, wie sie selbst – aber mit ihrem Lieblingsfilter aufgenommen. Seit der Pandemie beobachten Psychologen das nicht nur bei jungen Menschen, die intensiv Soziale Netzwerke nutzen, sondern auch bei reiferen.

Ein Mann im schwarzen Ärztekittel
Dr. Diego Gaona bietet in Spanien ästhetische Behandlungen an. © Diego Gaona

Das hat laut Fachleuten zwei Ursachen: Seit dem Beginn der Pandemie werden viele Videokonferenzen abgehalten. Die Kameras und die Beleuchtung sind dabei aber nicht optimal. Die Nutzer sehen sich deshalb auf dem Bildschirm „hässlicher“ als normal und bekommen mit der Zeit den Eindruck, sie müssten etwas unternehmen, um besser auszusehen. Sie nutzen also einen Filter, der in der Regel die Nase verschmälert, die Lippen verbreitert und die Wangenknochen anhebt. Jetzt gewöhnen sie sich an diesen Anblick und finden bald ihr Spiegelbild im Badezimmer befremdlich. Die spanische Psychologin und Internetexpertin Olga Godinez warnte kürzlich in einem Interview mit „Plazaradio“, dass dieser Effekt sehr schnell eintritt und man Filter deshalb besser ganz vermeiden sollte. Und man müsse auch die Inhalte der Sozialen Netzwerke kritisch betrachten. „Influencer geben vor, dass sie die Realität zeigen, das ist zu 95 Prozent aber nicht der Fall“, sagte die Psychologin. Sie würden ja von Firmen gesponsort, damit sie Wünsche in ihren Followern wecken – auch den nach Schönheit.

Attraktives Erscheinungsbild macht in Spanien das Leben leichter

Aber hat der Schönheitswahn in der heutigen Gesellschaft nicht seine Berechtigung? Studien belegen schließlich, dass attraktive Menschen zum Beispiel - auch in Spanien - leichter eine Anstellung finden. Diana Neira aus Barcelona bringt ihren Kunden seit Jahrzehnten ein gutes Auftreten bei. Ihr Kundenkreis reicht von Diplomaten über den Banken-, Versicherungs- und Mediensektor bis zu Kindern. „Natürlich ist Attraktivität wichtig“, sagt sie. „Oft kommen Kunden vor ihrem ersten TV-Interview zu mir und ich sage ihnen: Beim ersten Eindruck zählt nur zu fünf Prozent, was man sagt. Wichtig sind die Körperhaltung, wie man läuft, grüßt und dasitzt.“ Diana Neira ist nicht generell gegen Schönheitsoperationen, besonders wenn sie die Spuren der Zeit reduzieren. „Doch Attraktivität liegt nicht in der physischen Schönheit“, sagt sie. „Es gibt nichts Attraktiveres als einen selbstsicheren Menschen, der in sich ruht.“ Viele legten sich unters Messer, weil sie mit sich unzufrieden sind, selbstbewusster werden wollen, einen besseren Job oder einen Partner suchen. „Das ist nicht der richtige Weg“, sagt sie. „Das führt nur dazu, dass sie eine Behandlung nach der anderen machen. Sie müssen an ihrer Persönlichkeit und dem Auftreten arbeiten.“ In Barcelona gebe es eine Gegenbewegung zum OP-Wahn, berichtet sie. Bekannte Frauen, die natürlich altern. „Das sind beeindruckende Persönlichkeiten.“

Die Ästhetische Chirurgie ist der Zweig der Plastischen Chirurgie, in der sich Menschen aus rein ästhetischen Gründen unters Messer legen. Dem anderen Zweig, der Rekonstruktiven Chirurgie, widmet sich in Spanien zum Beispiel der bekannte Pedro Cavadas, der Unfall- oder Krankheitsopfer wieder herstellt. Aber oft ist die Linie zwischen Wunsch und Notwendigkeit sehr fein. Etwa bei der Straffung extremer Schlupflider oder wenn sehr junge Frauen schon extreme Hängebusen haben. Und notwendig oder nicht, bei allen Operationen kann etwas schief gehen. „Ich sehe aus wie Frankensteins Monster“, scherzt Julia Ferrer (Name von der Redaktion geändert) aus Dénia mit traurigem Lächeln. Nach einer missglückten Brustoperation und einem zweiten Eingriff zur Korrektur durchziehen dicke Narben ihren Busen und zeichnen im Zickzackmuster die Warzenhöfe nach. Die Silhouette dagegen ist wohlgeformt. Weitere Eingriffe will sie keinesfalls machen lassen. „Denn eine Operationsschwester hat mir nach der zweiten Operation gestanden, dass ich auf dem Tisch starke Blutungen hatte. Ich hätte allen einen Schrecken eingejagt.“ Dabei war die Geschäftsfrau bei ihrer Schönheitsoperation auf Nummer sicher gegangen und hatte alle Empfehlungen der Fachverbände für plastische Chirurgie befolgt: Sie hatte sich im Vorfeld gründlich informiert – auch über die Risiken. Sie wählte für die Operation einen erfahrenen Facharzt, der die Vor- und Nachbehandlung persönlich übernahm. Und sie sah nicht auf das Geld.

Missglückte Schönheitsoperation: Zweiter Eingriff notwendig

Julia Ferrer nahm ihre Operation sehr ernst und hatte ihre Gründe: Schon mit knapp über 30 hingen ihre Brüste wie leere Säckchen herunter. „Ich hatte immer einen festen Busen, doch nach dem Stillen zweier Kinder verlor er sehr an Fülle und Form“, berichtet sie. Als sie sich nach Operationsmöglichkeiten erkundigte, klärte man die Spanierin auf, dass der Eingriff nicht einfach sein würde. Es ginge nicht nur darum, eine Silikonprothese einzuschieben. Die Brust müsse neu aufgebaut werden. Diese Aussicht entmutigte Ferrer. „Erst nach Jahren entschloss ich mich schließlich doch. Und ich informierte mich sehr gründlich.“ Drei Kliniken besuchte die Valencianerin, sprach mit in Frage kommenden Ärzten – und wählte schließlich den teuersten. „Ich kannte mehrere Frauen, die mit ihm gute Erfahrungen gemacht hatten, deshalb fühlte ich mich bei dieser Entscheidung am sichersten“, berichtet sie. Eine deutsche Bekannte, der dieser Chirurg ebenfalls den Busen rekonstruiert hatte, habe ihr das Ergebnis sogar gezeigt. Es war wirklich perfekt. Trotzdem war Julia Ferrer am Tag der Operation sehr nervös. Zumal der Chirurg auf sich warten ließ. Statt wie angekündigt um 9 begann die Operation um 13 Uhr. „Bis dahin war ich halbtot vor Angst.“

Doch der Eingriff verlief ohne Komplikationen. Aber zwei Monate später stellte sie entsetzt fest, dass ihr neuer Busen abrutschte, und ging sofort zum Arzt. „Der bot mir an, mich gratis nachzubehandeln“, berichtet Ferrer. So zahlte es sich wenigstens etwas aus, dass sie einen seriösen Chirurgen gewählt hatte. Sie habe inzwischen Frauen getroffen, die man in der gleichen Situation im Regen stehen ließ. „Eigentlich wissen wir ja alle, dass etwas schief gehen kann. Aber man glaubt immer, es werde einen nicht treffen“, meint Julia Ferrer. Inzwischen habe sich sogar eine Schwägerin, die ihre Probleme hautnah miterlebt hat, operieren lassen – beim gleichen Chirurgen.

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