Am 17. Oktober 1988 holte der damals 20-jährige Thronfolger Prinz Felipe die Monarchin und ihren Gatten in Madrid Barajas vom Flughafen ab, im Palacio El Pardo gab es einen kleinen Empfang, im Palacio de la Zarzuela ein Mittagessen im kleinen Rahmen mit Juan Carlos und Sofía, am Abend dann ein großes Gala-Dinner im Palacio Real von Madrid, mit der ganzen Hof-Schickeria von dies- und jenseits des Ärmelkanals. Die spanische Klatschpresse war damals voll mit Berichten über jedes Lächeln, jedes Kleid und jedes Schmuckstück, die jeweils Bezüge zu gemeinsamen Verwandten hatten.
Anwesend war beim Gala-Dinner auch ein historisches Kuriosum, nämlich Juan de Borbón y Battenberg, ein Onkel der Queen, der gleichzeitig Sohn (von König Alfons XIII) und Vater (von Juan Carlos I) eines Königs, aber nie selbst König war. Von 1941 bis 1977 war er zwar Chef des Hauses Bourbon, doch Franco verhinderte ihn auf dem Thron, nahm ihm den Sohn Juan Carlos ab, um ihn nach seinem Bilde zu formen. Hätte Juan de Borbón diesen Deal damals abgelehnt, wäre Spanien heute womöglich eine Republik.
Juan de Borbón y Battenberg empfing seine Cousine Queen Elizabeth später nochmals privat in Barcelona in seinem Schlösschen Puerta de Hierro auf einen Tee oder einen Gin. Die Queen soll sich außerdem für das damals schon fertige Olympia-Maskottchen für 1992 Cobi begeistert haben und ließ T-Shirts und anderen Nippes für ihre Enkel in London besorgen. Dann gab es ein Treffen mit Spaniens sozialistischem Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero. In Sevilla machte die Queen einen kleinen Stadtrundgang und genoss einen militärischen Empfang am ältesten, durchgehend von einem Monarchen benutzten Königsschloss Europas, den Real Alcázares und damit einen historischen Anknüpfungspunkt an Zeiten, als Kastilien und die Tudors noch gemeinsame Bande schmiedeten, bevor Spanier und Briten in wilden Kriegen übereinander herfielen. Diplomatische Symbolik - in royalem Understatement allenthalben.
Die verwandschaftlichen Querverbindungen allein der britischen und spanischen Königshäuser Windsor und Borbón vollständig darzustellen, würde Bücher füllen. Daher hier nur die wichtigsten dynastischen Verbindungen: Sowohl Spaniens Ex-König Juan Carlos I. als auch seine Ehefrau Doña Sofía haben Königin Victoria von England (1819-1901) als gemeinsame Vorfahrin. Juan Carlos' Großmutter, Victoria Eugenia de Battenberg (daraus wurde in England dann Mountbatten, die Kinder von Philipp und Elizabeth sind Mountbatten-Windsor), ist die Enkelin von Königin Victoria und heiratete Alfonso XIII. von Bourbon, also Juan Carlos' Großvater.
Spaniens Ex-Köngin Sofía von Griechenland wiederum ist mit dem Hause über ihren Urgroßvater verwandt, kein geringerer als Deutschlands letzter Kaiser Wilhelm II., dessen Großmutter Königin Victoria war. Die spanischen Prinzessinnen Leonor und Sofía stammen also sowohl vom britischen wie vom deutschen Thron ab, sind so - unter anderem - mit den Häusern Hannover, Hessen, Sachsen-Coburg und Hohenzollern verwandt. Im Grunde handelt es sich um vielfache Inzucht, aber so nennt man das bei Blaublütern nicht, da heißt es dynastischer Pragmatismus.
Queen Elizabeth II. steht von Amtswegen als Symbol für das britische Empire, the United Kingdom, und damit auch für dessen Geschichte. Einmal über den Atlantik, das Kantabrische Meer, die Biskaya und das Keltische Meer sind Spanien und Großbritannien quasi Nachbarn. Mit den Kelten haben Briten und Spanier sogar ein gemeinsames "Urvolk" vozuweisen, wobei sich Historiker heute noch nicht ganz einig sind, ob die Kelten von Hispanien nach Britannien übersetzten oder umgekehrt und wer wessen Kultur dabei befruchtete.
Enger wurde die Bande mit Katalina von Aragón und Kastilien, Tochter der Katholischen Könige und Tante von Carlos I., die von 1509 bis 1530 sogar Königsgemahlin von England und Mutter von Mary I., also einer echten englischen Königin war. Allerdings war sie keine Borbón, sondern eine Trastámara und Henry VIII. auch kein Windsor, sondern ein Tudor. Kurz darauf folgten viele kriegerische Scharmützel zwischen der Royal Navy und der "unbesiegbaren" spanischen Armada im Kampf um die Vorherrschaft im Welthandel, um Schiffahrtsrouten und die Kontrolle um die Einfahrt zum Mittelmer.
Im Zuge der britischen Anfgriffe verlor Spanien seine Seehoheit, der Freibeuter seiner Majestat, Francis Drake, fiel zum Höhepunkt dieser Schlachten u.a. 1587 über Cádiz her, ließ spanische Küstenorte plündern. Damals hatte Spanien Portugal besetzt und London und halb Europa damit bis aufs Blut gereizt, es musste in seine Schranken gewiesen werden. Zumal es konkrete Pläne Felipes II. gab, mit seiner in der Lepanto-Schlacht gestählten Seestreitmacht gleich nach Britannien zu segeln, um England zu be- und Elizabeth I. abzusetzen.
Felipe war besessen von Kreuzzügen, Spanien im Rausch: Morisken und Juden aus dem Land deportiert, die Protestanten im Osten aufgehalten, die Osmanen vorerst gestoppt, die „Wilden“ der Neuen Welten bekehrt und nun ging es auf die abtrünnigen Anglikaner, Spaniens fanatischer Katholizismus lieferte auch für diese geplante Eroberung den ideologischen Rahmen. Die „falsche“ Religion zu haben, war für das damalige Alpha-Spanien ein „No go“. Doch im Grunde rangen hier nur zwei Weltmächte um die Vorherrschaft, und die eine - auf dem Höhepunkt von Glanz und Gloria - ahnte noch nicht, dass ihr Stern längst im Sinken begriffen war und Britains star aufging.
Nachdem sich die Kämpfe allmählich gelegt hatten, Drake holte sich beim zweiten Mal in Cádiz doch noch eine blutige Nase, die Spanier ein paar mehr, verlegten sich Britannien und Spanien zusehends auf den Handel. Die Briten beherrschten den Wein- und Rosinenhandel mit Málaga und der Levante-Küste, doch sie verliebten sich vor allem in den Sherry, der ohne die räuberische Vorgeschichte vielleicht nie so raffiniert geworden wäre. Denn das Verschneiden des süßen Moscatel oder Palomino mit Alkohol war zunächst nur eine Maßnahme, um den Wein haltbar für die Verschiffung zu machen und die Gärung zu stoppen. Bald schon machten Briten wie Spanier hierbei gemeinsame Sache. Das berühmte Sherry- und Brandy-Haus Osborne ist nur eines der vielen Beispiele für diese britisch-spanische Symbiose im Geist des Weines.
Als eine Folge des Spanischen Erbfolgekriegs Anfang des 18. Jahrhunderts, bei dem auch die Briten aktiv mitwirkten, blieb ein schmerzhafter britischer Stachel in Spaniens iberischem Schinken stecken: Gibraltar. Der Streit um den Peñon, den Affenfelsen, diese Kolonie des Empire auf dem europäischen Kontinent, aus spanischer Sicht ein historischer Unfall und recht eigentlich eine Unverschämtheit - aber bei Weitem nicht die kurioseste Grenze Spaniens -, hat bewirkt, dass Spanien und Großbritannien offiziell in höflicher und achtsamer Distanz zueinander blieben, dicke Freunde wurden beide Staaten bis heute nicht. Der Brexit hat daran nichts zum Guten geändert, obwohl die Zusammenarbeit in konkreten Fällen, wie beim jüngsten Schiffsunglück vor Gibraltar, durchaus professionell und pragmatisch von Statten geht.
Vergessen wir aber nicht Gibraltar II und III: Benidorm und Magaluf, die zwei Holiday Hot Spots der Briten in Spanien und auch die hunderttausenden Rentner aus Großbritannien, die in Spanien Sonne und preiswertes Bier als Residenten genießen, jetzt, nach dem Brexit, auch überwiegend korrekt angemeldet. Sie sind ebenfalls Botschafter ihres Landes und ein Beleg für die Normalisierung in Europa.
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Gibraltar war immer wieder Anlass für Verstimmung, nicht nur zwischen den Staaten, auch zwischen den Herrscherhäusern, die nicht mehr herrschen, ihre Staaten aber als Staatsoberhäupter repräsentieren. Zunächst zickten Juan Carlos I. und Sofía rum, ließen sich zur Hochzeit von Charles und Diana 1981 nach London einladen, sagten aber im letzten Moment noch ab. Danach düpierte das frisch vermählte Windsor-Paar die Spanier, als sich Charles und Diana ausgerechnet von Gibraltar aus zum royalen Honey Moon, ihrer Hochzeitsreise einschifften.
Schwamm drüber, sagte irgendwann die krisengeschulte Queen Elizabeth II. Beim Staatsbesuch von Felipe und Letizia 2017 in England, schloss sie endgültig Frieden mit den Spaniern und ließ den Gästen die höchste denkbare Ehre angedeihen. Normalerweise werden Staatsgäste, auch gekrönte, allerhöchstens auf Schloss Windsor im Gästeflügel untergebracht. Das spanische Königspaar aber durfte direkt im Buckingham Palace in London übernachten, praktisch Tür an Tür mit der Queen. Mehr geht nicht.