Der Tunnel-Slapstick geht also weiter: Schon seit 1869 träumen spanische Ingenieure laut von dem Projekt, zumal der „estrecho“, die 14 Kilometer breite Meerenge von Gibraltar und drumherum, historisch gesehen nicht immer eine Grenze, sondern die längere Zeit - unter den Mauren sogar fast 800 Jahre - eine Vielvölker-Brücke war, für erste Zivilisationen, kulturellen Austausch, Handel, für Eroberungen und Deportationen, für Flüchtende und Touristen.
Für einen Tunnel zwischen Spanien und Marokko sprechen angeblich viele Argumente: Der wachsende Warenverkehr per Schiff verstopft die Meerenge um Gibraltar herum mitunter gefährlich, 40.000 Schiffe pro Jahr waren es 2021. Millionen Menschen kreuzen nach Corona wieder die Meerenge auf Fähren zwischen Spanien und Afrika, im „paso de estrecho“, wenn maghrebinische Auswanderer in der alten Heimat Urlaub machen. Nicht zuletzt, würden die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla Spanien so ein wenig „näher“ rücken.
All diesen Verkehr könnte der Tunnel schlucken, nach dem Vorbild des Eurotunnels, der Frankreich und das Vereinigte Königreich verbindet. Die Briten haben aber selbst Pläne, von ihrer Exklave Gibraltar aus einen Tunnel zu bauen. Sagen sie. Die kommen genauso schnell voran wie die spanischen. Es scheint fast so, als beäugen sich die alten Konkurrenten um die Meerenge, macht der eine einen Schritt, zieht der andere nach. Meistens stehen beide still.
Die Spanier müssten wegen der Geologie, des Seerechts und der Gegebenheit von Häfen einen rund 40 Kilometer langen Tunnel bauen, um legal und sicher auf die andere Seite zum kommen, am wahrscheinlichsten und praktischsten mit dem Einstiegspunkt Algeciras. Doch viele Ingenieure schütteln mit dem Kopf. Just hier am Ausgang des Mar de Alborán herrscht mit die stärkste seismische Aktivität im westlichen Mittelmeer. Gerade an der Küste vor Marokko sind Erdbeben mit der Stärke 3-4 auf der Richterskala praktisch an der Tagesordnung. Der Bau einer Tunnelröhre durch dieses Gebiet wäre so teuer wie ein Raumprogramm zum Mars.
Diese Einschätzung erschüttert aber die Secegsa im Ministerium nicht, die Beamten würden sich ja sonst selbst versetzen, womöglich noch an Stellen, an denen reale Probleme behandelt werden. Ursprünglich sollte der Tunnel nicht nur Eisenbahnschienen führen, wie die „aktuellen“ Pläne es beschreiben, sondern auch eine „Autobahn“, Pipelines für Öl, Gas und Wasser. Doch das würde derzeit Spaniens Möglichkeiten überfordern, an eine Kooperation mit den Briten oder anderen, privaten Investoren sei nicht gedacht. Neulich äußerte ein Ingenieur die Meinung, dass eine überirdische Brücke wohl die billigere und effizientere Lösung wäre, aber im Grunde genauso überflüssig sei, denn per Boot, Schiff und Fähre ginge es doch noch ganz gut.
Raquel Sánchez, Sprecherin des spanischen Transportministeriums, weist aus Anlass der jüngsten Budgetaufstockung kleinlaut daraufhin, dass es sich um ein „sehr langfristiges Projekt“ handele. Die Machbarkeit wollte sie nicht in Frage stellen. Eine Brücke habe man aber nicht im Visier, denn dafür gibt es schließlich keine Regierungsbehörde. Viel eher ist zu fürchten, dass die Beamten der Secegsa den Tunnelplänen im neuen Zeitgeist noch einen Radweg hinzufügen. Obwohl: Ein Radausflug von Marbella nach Tanger? Warum eigentlich nicht.
Rabat wiederum lässt sich von den Europäern hofieren, Marokko hat keine Eile und auch nicht vor, nur einen einzigen Dírham in dem Projekt zu versenken. Schon König Juan Carlos I. machte Schönwetter für den Tunnel bei König Hassan II. Beide gelobten, sich für eine Landverbindung der „Bruderstaaten“ stark zu machen. Der eine König ist heute in Abu Dhabi im Exil, der andere lange tot. Doch der Traum vom Tunnel lebt. Ein bisschen. Hier und da.
Zum Thema: Patria und Petersilie - Spaniens kuriose Grenzen.