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Sánchez in der Zange: Coronavirus-Krise rollt Opposition in Spanien roten Teppich aus

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Von: Marco Schicker

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Pablo Casado auf einem rotem Teppich
Die kommende Wirtschaftskrise scheint wie ein Roter Teppich für die Opposition zu sein. PP-Chef Pablo Casado. © Juanjo Martín/EFE

Dass die Regierung Sánchez Fehler bei der Bewältigung der Coronavirus-Krise gemacht hat, gibt sie teilweise selbst zu. Doch der Opposition - von konservativ über rechtsextrem bis separatistisch - genügt das nicht. Sie will Sánchez‘ Kopf und schaltet auf Eskalation. Dabei sollte sich Spanien gut überlegen, welche Regierung ihr in der kommenden gigantischen Wirtschaftskrise weniger weh tun wird. Neuwahlen als Befreiungsschlag wären eine riskante Wette. Ein Überblick.

Madrid - „Den Alarmzustand zu verlängern, hat überhaupt keinen Sinn“, sagt Oppositionsführer Pablo Casado von der Volkspartei, PP, und kündigt an, dass seine Partei der Verlängerung des Alarmzustandes, die Regierungschef Pedro Sánchez, PSOE, am Mittwoch in den Kongress einbringen will, nicht zustimmen werde. Dreimal hatte die PP aus nationaler Verantwortung, wie sie sagt, der Regierungsvorlage ihr „Ja“ gegeben, aber jedes Mal die Latte höher gelegt und die Polemik verschärft. Nun aber würde Sánchez „seine Macht für Parteipolitik“ gebrauchen, heißt es aus der PP-Zentrale und mehr noch, Sánchez verhindere „Tests, weil er die wirkliche Zahl der Infizierten gar nicht wissen will“, so Casado.

Nach einer letzten Videozusammenkunft mit Sánchez am heutigen Montag legte Casado nochmals nach: „Angesichts von 25.000 Toten ist es eine Beleidigung seitens der Regierung, zu behaupten, Spanien würde bei der Krisenbewältigung international vorne mitspielen“. Und: „Die Regierung nimmt die Bürger als Geiseln.“ Die PSOE konterte ebenso scharf: „Alarmzustand oder Chaos“ heiße die Alternative. Die PP könne sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen.

Von Pakts über Parteigrenzen hinweg ist kaum noch die Rede

Von den angekündigten parteiübergreifenden Pakts für den Wiederaufbau ist immer weniger zu hören. Sie dienten der PP sichtbar nur als rhetorische Vorlage, um zu begründen, warum eine Kooperation mit Sánchez unnmöglich sei. Vielmehr verschärft sich der Ton der konservativen Opposition auf allen Ebenen und macht eine Strategie erkennbar: Die Wucht der unausweichlichen Wirtschaftskrise und die Wut der Menschen über unzureichende Hilfsmaßnahmen zu kanalisieren, um Sánchez zunächst vor sich herzutreiben und letztlich zu stürzen.

Pablo Casado bezichtigte in einem TV-Auftritt Ministerpräsident Sánchez, die Spanier als „Geiseln" zu nehmen:

Spanien entfernt sich damit weit von den Szenarien anderer europäischer Staaten, wo die Opposition oft zumindest einen Burgfrieden mit der Regierung eingegangen ist, um bei der Bewältigung der Krise nicht noch als Zusatzlast zu wirken. In vielen Ländern der EU regieren Koalitionen aus Links und Mitte-Rechts wie in Österreich oder Deutschland. In Portugal haben die Konservativen der Linksregierung sogar volle Loyalität zugesagt - und halten sich bis jetzt auch daran. Schon aus der Finanzkrise ging Portugal entspannter hervor als der große Nachbar Spanien.

Die PP will die Krise für sich arbeiten lassen

An Fundamentalkritik seitens der PP hat es von Anfang an nicht gemangelt. Sánchez habe zu spät reagiert, ja, durch das Zulassen der Demonstrationen zum 8. März die Krise überhaupt erst ausgelöst. Sein Management sei fehlerhaft, "Sánchez hat vollkommen versagt", wiederholt die Partei Casados gebetsmühlenartig und verweist auf fehlerhafte Tests, mangelnde Schutzausrüstung, die Zustände in Altenheimen und nimmt es dabei mit der tatsächlichen Verantwortung, die oft genug in der eigenen Politik zu finden wäre, nicht so genau. Mal wurden die Maßnahmen des Notstandes als zu lasch bemängelt, dann wieder kritisiert, der Lockdown würde das Land ruinieren. Sánchez wolle genau das, denn dann könnten er und seine "kommunistischen" Koalitionspartner ihre "venezolanische Agenda" umsetzen. Doch an konstruktiven Gegenvorschlägen mangelte es bisher.

Die auf der einen Seite polternde, in ihrer fehlenden Substanz aber abwartende Strategie der PP, hatte bereits vor einer Dekade funktioniert. Zumindest für die PP. Für das Land weniger. Im Angesicht der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und der sich anschließenden Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt, brauchte sie nur die Krise für sich arbeiten zu lassen, bis die Stimmung zu ihren Gunsten kippte. Das fragile Sozialsystem des Landes hatte sie selbst mit zu verantworten, sie wusste also um die Sollbruchstellen.

Wunden der Finanzkrise platzen jetzt wieder auf

Doch der Machtwechsel 2011 von José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) zu Mariano Rajoy (PP) brockte den Spaniern im Grunde genau das ein, was sie jetzt bedauern und was die Gesellschaft so verletzlich macht: Einsparungen im Sozial- und Gesundheitswesen, Privatisierungen strategischer Branchen, einschließlich der Seniroenversorgung, etliche Korruptionsfälle mehr, ein zerschnittenes Tischtuch mit den Separatisten in Katalonien, einen massiven Abbau der Arbeitnehmerrechte und bis heute nicht zurückgezahlte Milliardenhilfen für Banken sowie obenauf das „ley mordaza“, das Knebelgesetz, das die Versammlungsfreiheit in einer Weise einschränkte, dass sogar das sonst träge Europa darauf kritisch aufmerksam wurde. Aber der Wähler ist bekanntlich vergesslich.

Ayusos Performance aus dem Lehrbuch des Populismus

Paradebeispiel für die inhatlsleere Fundamentalopposition der PP in der Coronavirus-Krise ist Isabel Díaz Ayuso. Die Ministerpräsidentin der Region Madrid hat keine Skrupel, den Coronavirus-Hot-Spot Madrid der Zentralregierung anzulasten, alle Erfolge im Kampf gegen Covid-19 aber sich anzurechnen. Ayusos Performance entspringt dabei dem Lehrbuch des Populismus: Zu zwei Videokonferenzen mit den Regionalpräsidenten und Sánchez kam sie stundenlang zu spät, einmal, um einen Fototermin neben Flugzeugen mit Hilfslieferungen wahrzunehmen, einmal, um in einer Kathedrale allein die Coronavirus-Toten zu betrauern. Die Träne, die sie da verdrückte, wurde - professionell ausgeleuchtet - von einem Kamerateam aufgenommen.

Madrids Regionalpräsidentin verteidigt Junk Food für arme Schüler Madrids:

Das Nothospital in der Ifema pries sie bei einem Festakt, bei dem alle sanitären Sicherheitsnormen ignoriert wurden, als Errungenschaft ihrer Anstrengungen, während im Hintergrund die eilig angeheuerten Ärzte und Pfleger nach nur eineinhalb Monaten wieder ihre Jobs verloren. In ihren sanitären Krisenstab berief sie ausgerechnet jenen Antonio Burgueño, der ab 2013 sechs öffentliche Krankenhäuser privatisieren und den Sparplan für das öffentliche Gesundheitswesen der Region umsetzen ließ.

Ayusos Wortmeldungen wuchsen sich zum Teil ins Absurde aus, als sie das ungesunde Fast Food, das die öffentlichen Schulkantinen Madrids an die ärmsten Familien verteilen als „bei den Kindern beliebt“ gegen das „venezolanische Menü“ verteidigte, das die Linke den Spaniern angeblich auftischen wolle. Im regionalen Parlament nahm sie die ausgestreckte Hand der linken Opposition erst dankend an, um sie zwei Tage später mit den Worten auszuschlagen, „die Linke hat ja ausreichend bewiesen, dass sie zu einer Zusammenarbeit nicht willens ist“.

Wettlauf mit Vox wieder in vollem Gange

Die Regierung abzuwerten, als plan- und hilflos, ja sogar als bösartig berechnend hinzustellen, um die Wut in der Bevölkerung zu steigern, das ist die Strategie der PP. Dass der Ton sich so grob verschärft, liegt auch daran, dass der schon bekannte Wettlauf mit der rechtsextremen Vox wieder aufgenommen wurde. Die Partei von Santiago Abascal, die in den beiden vorangegangenen Wahlen die PP ins Schwanken brachte und die einstmals liberalen Ciudadanos erst nach rechts lockte, um sie dort zu verspeisen, geht aber noch weiter. Vox schießt sich dabei vor allem auch auf den Koalitionspartner ein und stilisiert Podemos-Chef Pablo Iglesias zum Staatsfeind Nummer eins.

Die Wortwahl von den "sozial-kommunistischen Sektierern" haben PP-Politiker bereits mehrfach übernommen. Vox fordert unumwunden den Rücktritt der Regierung und per Videobotschaft sogar den Einsatz des Militärs auf den Straßen und strategisch wichtigen Stellen. Die Formulierungen wandeln haarscharf an der Klippe zum indirekten Aufruf zu einem Staatsstreich entlang. Während aber Aufrufe, die spanische Verfassung außer Kraft zu setzen, katalanische Separatistenführer ins Gefängnis brachten, hat Vox von der Justiz vorerst nichts zu befürchten. "Es ist ein Wettlauf, wer die größte Ungeheuerlichkeit fabriziert", konstatiert Pablo Iglesias. Und sein Parteifreund Pablo Echenique ergänzt, dass die PP offenbar neue Infektionswellen in Kauf nehmen würde

sanchez und casado bei videokonferenz
Alles nur Show? Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez und PP-Oppositionsführer Pablo Casado bei einer Videokonferenz. © Moncloa

Von einer in Umfragen erstarkten PP - in den aktuellsten hält die PSOE immer noch ihre Führung - hat Vox allerdings einiges zu befürchten. Die jetzt wieder zu beobachtende Radikalisierung der Volkspartei könnte viele Wähler in Zeiten einer wirklichen Krise zu ihr zurückkehren lassen. So würde man die Regierung abstrafen, aber keine Risiken mit einer unerfahrenen Polterpartei eingehen. Die Rache der PP für die Stimmenverluste an Vox wäre so perfekt.

Ciudadanos warten ab

Auffallend ruhig verhält sich bisher nur Inés Arrimadas, die Parteivorsitzende von Ciudadanos, die sonst nie um ein Wort verlegen ist. C‘s will die Fehler der Vergangenheit, sich zu schnell einem Lager zuzuwenden und so zu kannibalisieren, verhindern, wartet auf den richtigen Moment und sucht noch nach einer Strategie, die ihr beim Wähler zumindest den Anschein von Bedeutung geben könnte. Dass der Weg zu einer wirklich modernen, liberalen Partei bei Arrimadas auf dem Zettel steht, gilt aber als unwahrscheinlich.

Unausgesprochene Koalition der Erzfeinde

Doch Perdo Sánchez, der mit dem sensiblen Krisenmanagment und der immer komplexer werdenden Deeskalationsphase wahrlich genug um die Ohren hat, bläst nicht nur von rechts ein immer feindlicher werdender Wind um selbige. Auch die baskischen Nationalisten von der PNV, die bisher als Firewall gegen Misstrauensanträge von rechts half, fordern ebenfalls das Ende des Notstandes. Ebenso die Regierung Galiciens, die Handlungsspielraum braucht, um sich für die verschobenen Regionalwahlen profilieren zu können, und - natürlich - die separatistische Generalitat in Katalonien mit ihrem Präsidenten Quim Torra, aber auch deren ambivalente Unterstützer von der republikanischen Linken (ERC). Für Torra war der Alarmzustand schon von Anfang an ein Trojanisches Pferd, damit sich die spanische "Besatzungsmacht" seiner Kompetenzen bemächtigen könne.

Dass die Separatisten in der Frage der Beschneidung der Machtbefugnisse des Regierungschefs in der Krise auf der gleichen Seite wie ihre Erzfeinde von der PP stehen, ist keine tiefere Ironie, sondern ein Schema. Die Separatisten stimmten schon einmal, - 2019, als es um den Staatshaushalt ging - mit der PP gegen Sánchez und provozierten so Neuwahlen. Jede Eskalation nutzt ihnen, so das Kalkül in Barcelona wie in der PP-Parteizentrale.

Stimmenthaltung als "letzte Warnung"

Ob die PP am Mittwoch allerdings mit "Nein" stimmt, bezweifeln nicht nur Medien, sondern auch die Regierungspartei, die trotz ihrer Koalition mit Unidas Podemos ohne Absolute Mehrheit regiert. Würde die Verlängerung des Alarmzustandes scheitern, bekämen die Autonomen Regionen zwar ihre Vollmachten zurück, könnten aber nicht verhindern, dass die Menschen unkontrolliert auf die Straßen schwärmen. Denn die Verhängung von Ausgangssperren und die temporäre Einschränkung anderer substantieller Bürgerrechte sind nach der Verfassung nur über das "mando central", also die Zentralgewalt und den Alarmzustand machbar. Daher rechnen viele mit einer Enthaltung, die die PP dem Volk als letzte Chance und Warnung an die Regierung verkaufen könnte.

Riskante Wette - Neuwahlen als Befreiungsschlag?

Dass Pedro Sánchez politisch Federn lassen wird, ist bei dem Ausmaß der sanitären Krise und der Wirtschaftskrise, die auf Spanien erst zurollt, unausweichlich. Dass seine Verwaltung schwere Fehler begangen hat, ist so offensichtlich, dass selbst Minister und Sánchez das einräumen, mit dem Unterschied aber, dass sie darauf bestehen, für das Land tätig zu sein, was ihnen die Opposition rundweg abspricht.

Bei aller berechtigten Kritik und auch inneren Wut, die sich im Volk auf Sánchez projiziert, stellt sich für die Spanier jedoch die Frage, ob ein Regierungswechsel, zumal zu einer PP-geführten Regierung, jenen gesellschaftlichen Gruppen helfen wird, die im Moment und in der kommenden sozialen Krise am meisten leiden werden. Sánchez könnte, wenn er sehr mutig ist, diese Frage beantworten lassen, in dem er, zum Beispiel im Herbst, Neuwahlen ansetzt und sich und sein Management der größten Krise Spaniens seit dem Bürgerkrieg vom Souverän beantworten lässt, dem Volk. Eine riskante Wette, wie die Vergangenheit gezeigt hat.

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