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Avocados aus Spanien: Málagas Monokultur am Limit - Vom Segen zum Fluch

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Von: Marco Schicker

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Arbeiterinnen sortieren Avocados in Spanien.
Eine der zahllosen Avocado-Fabriken in der Axarquía bei Málaga. Tausende Familien haben durch die Tropfenfrüchte Arbeit, wenige werden auch reich. © Enrique Hidalgo/EFE

Die in Europa als Superfood immer beliebtere Avocado rettete einst viele Bauern Andalusiens vor dem Ruin. Jetzt reißen Bauern ihre Bäume aus, um wenigstens einen Teil der Ernte zu retten. Exzesse von Investoren, Wassermangel und Klimawandel machen die Tropenfrüchte besonders bei Málaga immer mehr zum strukturellen Problem.

Vélez-Málaga - Die Rechnung scheint simpel und aufzugehen: Die Kilo-Erlöse der Avocado und der Mango liegen um ein Vielfaches über jenen von Orangen oder Zitronen und anderen traditionellen Feldfrüchten in Spanien. Rund drei, manchmal vier Euro bekommt ein Landwirt im Südosten von Málaga für ein Kilo Avocados erster Güte, mit Glück sind es 60 Cent bei Orangen oder spanischen Zitronen. Die Erderwärmung und das Mikroklima verbessern die Wachstumsbedingungen für die Tropenfrüchte zudem kontinuierlich. Anstatt ihre Felder aufgeben zu müssen, sie für Errichter von Solaranlagen zweckentfremdet zu verpachten oder an EU-Mitteln zu hängen, haben die Bauern also eine zukunftsfähige Alternative gefunden.

Avocados und Mangos aus Spanien: Region um Málaga Marktführer in Europa - Nachfrage riesig

1,5 bis 2 Millionen Avocado-Bäume auf rund 12.000 Hektar in der Axarquía bringen im Schnitt eine jährliche Ernte von gut 80.000 Tonnen. Der östliche Küstenkreis der Provinz Málaga erwirtschaftet mit dem tropischen Superfood jährlich 160 bis 200 Millionen Euro, tausende Familien leben davon, ein paar werden sogar richtig reich damit, viele andere gehen wenigstens nicht Pleite. Spanienweit stehen Avocado-Bäume auf 19.000 Hektar, zehnmal so viel wie im Rest Europas zusammen, nur auf Sizilien und in Portugal gibt es noch einige Plantagen. Die gleiche Marktführerschaft behauptet Málaga übrigens bei der Mango in Europa. Bei der Avocado liegt Spanien auf Rang vier im Weltmarkt, hinter Peru, Südafrika und Chile.

Die europäischen Konsumenten sind ganz narrisch nach den angeblich so gesunden Avocados, die Nachfrage steigt seit zwei Jahrzehnten. Sie können die Früchte zudem guten Gewissens als „regional“ kaufen, müssen nicht auf ökologisch fragwürdige Überseeware aus Peru zurückgreifen, für die zudem noch Wälder zerstört werden. Und die knochenhart geliefert werden muss, um die lange Reise zu überstehen, während die heimischen Avocados reif in den Supermärkten liegen und daher auch einfach besser schmecken.

Die Provinzverwaltung Málaga finanzierte gerade unter dem Titel „Die grüne Leidenschaft“ (pasión verde) einen Dokumentarfilm als PR-Material für die Avocados in der Axarquía, aus dem wir auch erfahren, dass die Wurzeln der exotischen Früchte in Málaga tief in der Franco-Ära liegen. Die ersten 50 Avocado-Bäume wurden amtlicherseits 1943 registriert, Mitte der 1950er Jahre forschten Spanier und ein Deutsch-Chilene mit staatlichen Geldern an erweiterten Anbaumöglichkeiten und seit den 60er Jahren begann allmählich die Vermarktung in messbaren Größenordnungen. Stolz kommt der Film zu dem Schluss, dass die Axarquía heute das bedeutendste Anbaugebiet tropischer Früchte in Europa ist.

Investoren verdrängen Avocado-Bauern: Investoren fordern mehr Wasser in trockener Axarquía

Der Erfolg hat seit 2012 ein omnipräsentes Gesicht: Sigfrido Molina, Eigner von Sigfrido Fruit mit Sitz in Vélez-Málaga, der Hauptstadt der Axarquía. Sein Unternehmen allein fakturierte 2021 14 Millionen Euro mit sechs Millionen Kilo Avocado. Als mehrfacher Unternehmer des Jahres, des Sektors, der Gegend, wird Avocado-Siggi herumgereicht, als Avocado-Influencer etikettiert, markige Sprüche sendet er aus: „Meine Arbeit ist mein Hobby“, sagt er und „es gibt nicht zu wenig Wasser, nur schlechtes Wasser-Management“. Doch Molina ist gar kein Bauer und geht nach eigenen Angaben nur „aufs Feld, damit sie sehen, dass ich da bin“.

Molina ist ein Boss, ein Investor, kaufte Felder auf, machte Bauern zu Angestellten oder tauschte sie gegen Saisonkräfte aus. Er erwartet von der Politik, dass sie das Wasser so managt, dass er immer genug hat, auch wenn andere Branchen meckern, auch wenn der Regen mal wieder ausbleibt, wenn der wichtigste Stausee des Kreises, La Viñuela, wie jetzt, mit 12 bis 13 Prozent Befüllung, praktisch tot ist, der Wassermangel in Spanien akut. Mit Molina kontrollieren fünf bis sechs große Unternehmen den Avocado-Markt, die indirekt die Preise bestimmen, den kleinen Bauern, das sind noch rund 400, die Präsenz in den Supermarktketten streitig machen können, die die Finanzpower haben, Dürren und Plagen auszusitzen, die neuesten Technologien auf die Felder zu bringen und den politischen Einfluss, dass ihnen niemand das Wasser abdreht.

Durstiges Superfood: Avocados brauchen fünfmal so viel Wasser wie Orangen

Pipelines, Wasserautobahnen von anderen Stauseen und Reservoirs sollen Land und Staat nun verlegen, auf Kosten der Öffentlichkeit natürlich, damit der unstillbare Durst der Avocado-Industrie weiter gestillt werden kann. Denn Avocado-Siggi hat Recht: Das Auffangen von Regenwasser, die Speicherung und Weiterleitung, auch die Aufbereitung sind in Spaniens trockensten Gegenden fast durchgängig miserabel, durch uralte Rohrleitungen versickern in Málaga mitunter Dreiviertel des Wassers, bis es aus dem Hahn tröpfeln kann. Dabei regnet es im Jahr 500 bis 600 Liter auf den Quadratmeter.

Wenn es regnet. „Vielleicht haben wir es übertrieben“, gesteht selbst Miguel Gutiérrez, Leiter der Spanischen Vereinigung der Tropenfrüchte ein und erkennt an, dass Avocado und Mango von der innovativen „Rettung“ für den kleinen Bauern zu einem „strukturellen Problem einer Quasi-Monokultur“ geworden sind. In einer „Gegend, die für tropische Früchte wohl doch zu trocken ist.“

Mangos aus Spanien
Auch bei den durstigen Mangos ist Spanien, Málaga, Marktführer in Europa. Wie lange noch? © EFE

600 bis 700 Liter, mit intelligenten Bewässerungssystemen auch „nur“ 550 Liter braucht ein einziges Kilo Avocados bis zur Ernte, rund die sechsfache Menge von Orangen. 7.000 Kubikmeter Wasser schluckt ein Hektar mit Avocadobäumen so im Jahr, 5.500 sind es bei den Mangos. Die Landwirte hier haben aber seit 2021 nur noch eine Konzession für 3.000 Kubikmeter, weil zunächst die Privathaushalte mit dem weniger verfügbar werdenden Wasser versorgt werden. Der Rest muss über Brunnen, unterirdische Reservoirs oder den Regen kommen, Quellen, die zusehends unberechenbar werden oder versiegen.

Agrar-Riesen versus Bauern in Spanien: Es gibt nicht mehr genug Wasser für alle

Es regnet seit den 60er Jahren gleich viel, rechnet das Wetteramt Aemet aus, rund 440 Liter pro Quadratmeter in Torrox, zum Beispiel. Aber: Es regnet unregelmäßiger, der Regen knallt dann nach lange Dürreperioden auf betonharte Böden oder vom Menschen zementiertes Terrain und fließt weitgehend ungenutzt ab. Die Erhöhung der Durchschnittstemperaturen hat zu einem Anstieg der Verdunstung zwischen acht und 15 Prozent geführt, in extremen Hitzeperioden wie im Sommer 2022 ist es noch viel mehr.

In den 60er Jahren gab es zudem noch kaum Tourismus mit seinem exzessiven Verbrauch und auch insgesamt viel weniger Einwohner an den Küsten. Einige Bauern „helfen“ sich nun selbst, graben illegal Brunnen oder zapfen Quellen an, ohne zu fragen. „Die Lage hier ist sehr komplex“, sagt die Guardia Civil gegenüber Zeitung „El País“ kryptisch. Doch die Polizei schlägt sich derzeit eher mit Avocado- als mit Wasserdieben herum.

Strukturelles Problem lautet der Schlüsselbegriff: In der Axarquía können 2022 bereits Ende Juni 1.000 Hektar Land gar nicht mehr bewässert werden, nebenan in Archidona müssen sie 8.000 Leuten nachts das Wasser abdrehen, damit sich in den drei Dorfbrunnen genügend für den Tag sammeln kann. Avocado-Siggi hat Recht und auch nicht. Das richtige „Management“ des Wassers fehlt. Doch das will er gar nicht, denn das würde die hydrologischen Privilegien des Leistungsträgers automatisch mit beschneiden. Geld, Verbindungen und Chuzpe verbessern weder die Wassermenge noch den Wasserkreislauf. „Früher gab es keine Sozialen Netzwerke und heute sind da auch die ganzen Verbände wie Asaja, die ständig sagen, wie schlecht es ihnen geht“. Molina, da hört man es, ist kein Bauer.

Wasserverbrauch und Bodenerosion: "Avocados machen aus Málaga eine Wüste"

Die Ur-Sünde, sind sich Ökologen und Bauern, denen etwas an der Zukunft liegt, einig, war und ist die flächendeckende Umstellung auf Bewässerung, die intensivierte Landwirtschaft. Im Hinterland kann man nämlich noch sehen, wie Oliven, Mandeln und andere Bäume, sogar Zwiebeln, Getreide und Aprikosen „en secano“, also nur durch Grundwasser und Regen, ohne Zutun der menschlichen Gießkanne gedeihen. Doch die Anforderungen an Effizienz, der Konkurrenzdruck der Großindustrie im Agrarsektor führte zu einer Umstellung, der der Wasserhaushalt in Südspanien nicht gewachsen ist. „Permanent mehr Wasser verbrauchen als man hat, führt zum Kollaps“, erst der Natur, dann der Landwirtschaft, erläutert Greenpeace, „der Anstieg des Anteils an bewässerten, tropischen Früchten führt direkt in die Verwüstung der Axarquía“.

Dabei gehe es nicht nur um den Wasserverbrauch, sondern auch um die Bodenerosion, die durch die Anbaumethoden der Avocados beschleunigt werde. 90 Tonnen pro Hektar und Jahr würden durch den Wind weggetragen, durch Unwetter weggespült, die Axarquía liege damit „in ganz Spanien an der Spitze“. „Avocados und Mangos sind auch daher so beliebt bei Agrarunternehmen, weil sie wenig Handarbeit benötigen, also wenig Personalkosten verursachen“, erklärt Rafael Yus von Ecologistas en Acción.

Zwei Avoacdofrüchte an einem Baum.
Avocado: Eine Tropfenfrucht, für die es in Spanien eigentlich viel zu trocken ist. © Jonathan Kabugo/Unsplash

Die „historischen Feldfrüchte der Axarquía sind damit aber verschwunden“ und so auch die Durchmischung, die dem Boden Halt gibt. Wo früher leicht hügelige Feldlandschaft oder Terrassen waren, „kommen für die Avocado-Wälder heute die Bagger und anderes schweres Gerät“, um sämtliche Vegetation unterzupflügen. Zwischen den Bäumen liegt die Erde blank und frei, der Wind muss sie nur noch mitnehmen.

Europa isst Spaniens Wasser: Andalusien lehnt Flächenlimits bei Avocados ab

Yus fordert eine Begrenzung der Flächen, die für exotische Früchte wie Avocados und Mangos genutzt werden dürfen. Dies „muss die Landesregierung Andalusien eindeutig regeln“, gleichzeitig mit Verbesserungen bei der Bewässerung und Aufbereitung. Im Moment laufe die Produktion tropischer Früchte „auf Kosten unser aller Ressourcen“. Avocados und Mangos trinken Málaga das Wasser weg, die Mittel- und Nordeuropäer essen es dann auf. Es ist das gleiche Problem wie mit „Europas Gemüsegarten“ in Murcia.

Doch wenn man sieht, dass die Junta tausende Erdbeerbauern, die seit Jahrzehnten rund um den Nationalpark Doñana systematischen Wasserklau begehen, per Parlamentsbeschluss legalisieren will, besteht wenig Hoffnung, dass sich für die Axarquía und den Rest Málagas ein gesunder Kompromiss zwischen Agrarwirtschaft und Naturschutz angesichts knapper werdender Ressourcen finden wird.

Ende Juni beklagte die Asociación Española de Tropicales bei einem Kongress in Torremolinos den „Wasserstress“, dem immer mehr Avocado-Plantagen ausgesetzt seien, vor allem jene, die nicht, wie die Felder von Avocado-Siggi, auf dem neuesten technischen Stand sind und die richtigen „Verbindungen“ haben. Dieser Stress mache die Pflanzen anfällig, seit drei Jahren erleben viele Bauern massiven Pilzbefall, bestätigt die Mikrobiologin von der Uni Málaga, Eva María Arrebola.

Eine Pflanze, die eigentlich gar nicht in dieses Ökosystem gehöre, sei „ein leichtes Ziel“ für alle möglichen Plagen, die sich dann auch auf andere Feldfrüchte übertragen könnten. Die Folgerung des Lobby-Verbandes: Wir brauchen mehr Wasser. Doch das Umweltministerium in Madrid, das bereits daran arbeitet, die Überleitung von Wasser aus dem Norden des Landes nach Valencia und Murcia immer mehr einzuschränken, hat für sie kein Ohr. Sie sollten besser wirtschaften, anderswo sparen oder die Produktion umstellen, heißt es knapp und ungnädig.

Legende vom Superfood: Avocados sind kleine grüne Dickmacher - Warum man trotzdem die spanischen kaufen sollte

Der Avocado-Anbau in der Axarquía ist ein interessantes Beispiel, wie eine Problemlösung durch Exzess, Gier und mangelnde politische Intervention selbst zum Problem werden kann. „Der Markt“ regelt eben doch nicht alles selbst, zumindest nicht, bevor alle verfügbaren Ressourcen verbraucht sind. Der Chef der Provinzverwaltung Málaga, Francisco Salado, selbst Bürgermeister von Rincón de la Victoria, wo Avocado-Land beginnt, fährt Vollgas in diese Richtung, startete die Aktion „Más Mango“ und sieht in den Tropenfrüchten noch „viele weitere Möglichkeiten“.

Selbst die Landflucht sollen sie aufhalten, in Torre del Mar, Torrox und Nerja werden sogar touristische „Tropenfrucht-Routen“ angeboten. Mit Kreuzungen und Genmanipulation sollen Sorten ganzjährig gezogen werden können. „Avocados bis zum letzten Tropfen“, kommentieren sarkastisch die Umweltschützer die verlockende Avocado-Falle. In dieser Woche begannen Bauern der Axarquía damit, erste Pflanzungen auszureißen, weil sie nicht mehr gegossen werden können.

Diese Widersprüche sollten uns nicht davon abhalten, spanische Avocados aus der Axarquía den peruanischen oder chilenischen vorzuziehen. Aber vielleicht fragen wir auf dem Markt einmal nach, ob sie vom kleinen Bauern oder vom Großbetrieb stammen. Und gastronomisch ist die Avocado zwar mit viel Geschmack und reichlich gesunden Inhaltsstoffen gesegnet, ein Super-Food ist sie aber nicht, wie die Werbung behauptet, sondern eher ein kleiner grüner Dickmacher: Der Fettgehalt (auch wenn es verträglichere Fette sind) liegt mit 15 Prozent so hoch wie bei einem gut durchwachsenen Steak und der Energiegehalt von 160 Kilokalorien pro 100 Gramm ist um das Zehnfache höher als bei einer Zucchini oder Tomate. Beim Konsum scheint also Mäßigung ebenso das bessere Rezept wie beim Anbau.

Zum Thema: Wilder Ritt auf der Drachenfrucht - Wie Spaniens Bauern im Klimawandel nach Alternativen suchen.

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