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Notdienste ohne Ärzte: Großdemonstration in Madrid gegen Chaos im Gesundheitswesen - Verhandlungen erzwungen

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Von: Marco Schicker

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Demo in Madrid.
Zwischen 200.000 und 670.000 Menschen demonstrierten am Sonntag, 13. November 2022, in Madrid gegen die Landesregierung. © Sergio Pérez/EFE

Rund eine halbe Million Menschen protestierten am Sonntag in Madrid gegen die katastrophale Gesundheitspolitik und deren Verantwortliche: Regionalpräsidentin Isabel Díaz-Ayuso. Sie spare Patienten und Personal wortwörtlich zu Tode.

Ärzte in Madrid beenden Streik - Pfleger hängen weiter in der Luft

Update, 18. November: Die massiven Proteste Hunderttausender in Madrid haben Wirkung gezeigt und Zählbares gebracht. Zwar gab sich Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso (PP) alle Mühe, die Demonstranten und zum Teil streikenden Pfleger und Ärzte als linke Aufrührer und faule Beamte zu diffamieren, doch der politische und öffentlich Druck zwang sie letztlich zu Verhandlungen und Änderungen ihrer Kahlschlagpolitik, zumal selbst ihr PP-Parteichef und andere Parteifreunde signalisierten, dass sie das Problem ernster nehmen müsse, weil es sonst das Ansehen der Partei landesweit gefährden könnte (im Mai 2023 sind in ganz Spanien Kommunalwahlen sowie einige Regionalwahlen).

Die jetzigen Kompromisse betreffen allerdings nur die bisher streikenden Ärzte, die Pfleger-Gewerkschaften waren nicht zu den Verhandlungen geladen. So werden nur 49 der 78 vorgesehenen „urgencias extrahospitalarias“, also Notdienst-Stellen (SAR und SUAP) wiedereröffnet, dafür wird jede davon zumindest mit vier Ärzten ausgestattet sein. Ayuso ließ zunächst alle Notdienste, die während Corona geschlossen werden mussten, auch ohne ausgebildete Mediziner, „nur“ mit Pflegern (die in Spanien allerdings eine Hochschulausbildung genießen) eröffnen, was zu Chaos und Verzweiflung führte. Verhandelt wird nun über viele Details, zu Versetzungsregeln, Zuständigkeiten, Arbeitszeiten, sowie Stellung und Strukturierung der UAD, Hausarzt-Teams, die sich seit der Pandemie bewährt hatten und die nun Teil des Systems der Erstversorgung bleiben und in den „urgencias“ stationiert werden sollen.

Erstmeldung, 13. November: Madrid - Hunderttausende demonstrierten am Sonntag in Madrid gegen das Chaos im Gesundheitswesen der Hauptstadt-Region. In Spanien ist das Gesundheitswesen „Ländersache“. Die Proteste richten sich speziell gegen die Madrider Regional-Präsidentin Isabel Díaz-Ayuso, der vorgeworfen wird, das öffentliche Gesundheitssystem gezielt zum Vorteil der privaten Gesundheitsversorgung abzubauen und verwahrlosen zu lassen, auf dem Rücken von Patienten und Mitarbeitern. Ein Vorwurf, der übrigens auch in anderen PP-regierten Regionen wie Andalusien erhoben wird.

Zugespitzt hatte sich die Lage im ohnehin schon zusammengesparten Gesundheitssystem der Region und der Hauptstadt Madrid, als das Landesgesundheitsministerium kürzlich die sogenannten „urgencias extrahospitalarias“, also Notfall-Stützpunkte außerhalb von Krankenhäusern wieder eröffnen ließ, um der überlaufenen Erstversorgung Herr zu werden. Die Einrichtungen wurden während Corona geschlossen, weil das Personal in den Hospitälern gebraucht wurde. Nun wurden sie schlagartig wieder eröffnet, neues Personal dafür gab es aber keines.

Gesundheits-Chaos in Madrid: Notaufnahmen ohne Ärzte

Viele dieser medizinischen Anlaufstellen müssen - laut Anweisung der Regierung Ayuso - daher ohne Ärzte auskommen, die höchstens per Videokonferenz zugeschaltet werden sollten. Die Einrichtungen sind generell personell unterbesetzt, manchmal mit nur einer einzigen Schwester und außerdem oft nur rudimentär mit Material und medizinischem Gerät ausgestattet. Lange Schlangen und völlig überfordetes Personal sind die Folge. Laut den Kritikern dieser Strategie sollen so fachärztliche Untersuchungen, aber auch Labortests und Behandlungen an private Einrichtungen ausgelagert werden, die dann aber aus der öffentlichen Kasse der Seguridad Social bezahlt werden müssen.

Demonstration des Gesundheitswesens in Madrid.
Die medizinische Erstversorgung stehe vor dem Ausverkauf, beklagen diese Demonstranten in Madrid. © Sergio Pérez/EFE

Die Mitarbeiter der einzelnen „urgencias“ erfuhren oft erst am Tag des Arbeitsbeginns per Email von ihrer neuen Arbeitsstelle, die oft viel weiter weg als die vorherige lag, wie auch von ihren neuen Arbeitszeiten, so dass sie sich familiär nicht auf die neue Lage einstellen konnten. Gefragt, ob sie einer Versetzung zustimmen, wurde kaum ein Mitarbeiter, auch für Ersatz an den alten Arbeitsplätzen wurde nicht gesorgt, die Krankenhäuser und regulären Geundheitszentren hätten das „intern“ zu klären, so das Landesgesundheitsministerium.

Faule Linke: Madrids Regionalpräsident beschimpft Mitarbeiter des Gesundheitswesens

Das Fass zum Überlaufen brachte die für ihre populistischen Ansagen berüchtigte PP-Politikerin Ayuso aber durch zahlreiche zynische Bemerkungen auf Beschwerden aus den Reihen der Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Sie unterstellte ihnen unumwunden Faulheit und Sabotage, erklärte Gewerkschaften und Berufsverbände von Ärzten und Pflegern zur fünften Kolonne der Regierung Sánchez.

Proteste gegen Landesregierung Madrid
Zurücktreten möge Isabel Díaz-Ayuso, die Regionalpräsidentin von Madrid, hier auf einem Transparent verteufelt. © Sergio Pérez/EFE

Nach Angaben des lokalen Regierungungsbüros nahmen an der Demo in Madrids Zentrum rund um die Calle Atocha und das Landesgesundheitsministerium 200.000 Personen teil, die Veranstalter sprachen von bis zu 670.000. Viele von ihnen schwenkten neben Transparenten weiße Taschentücher und erinnern so an die „marea blanca“, die weiße Flut, die bereits vor über einem Jahrzehnt gegen eine Welle von Privatisierungen von Krankenhäusern protestierte. „Wir sind die reichste Region Spaniens, aber jene, die am wenigsten in Gesundheit investiert“, erklärte einer der Redner auf der Abschlusskundgebung. Lehrer schlossen sich dieser Feststellung an. Gerade erst hatte Ayuso kommunale Grundstücke zum Marktwert von rund 11 Millionen Euro an Betreiber von Privatschulen verschenkt.

Pedro Almodóvar bei einer Demo in Madrid.
Promi protestiert: Der Filmemacher Pedro Almodóvar reihte sich bei den Protesten in Madrid am 13. November 2022 ein. © Claudio Álvarez/EFE

Sprechchöre verlangten in Anspielung auf den aufgesetzten Patritoismus der „Volkspartei, PP“: „Weniger Flaggen, mehr Krankenpfleger“, „Wenn die nächste Wahl kommt, kommt die Quittung!“. Ayuso ließ über einen Regierungssprecher ausrichten, „dass diese Demo ein Fehlschlag“ und ein „politischer Angriff der Linken“ der „üblichen Chaoten“ sei, die nichts unversucht lassen, die Region Madrid in schlechtem Licht dastehen zu lassen. Die Berufsverbände konterten: „Ayusos Politik saniere nur private Anbieter, das öffentliche System werde aber zu Tode gespart, mit ihm Mitarbeiter und Patienten - wortwörtlich“.

Spaniens Trump Ayuso: Corona-Tote in Altenheimen sind noch nicht vergessen

Die Demo am Sonntag ist der erste echte Massenprotest gegen die Regierung Isabel Díaz-Ayuso, die im Mai 2021 die regionalen Wahlen der Region Madrid fulminant gewann, aber auf die Unterstützung von Vox im Regionalparlament angewiesen ist. Das Rathaus Madrid erlebte ebenfalls einen Rechtsruck. Seitdem polarisiert Isabel Díaz-Ayuso, erst kürzlich sprach sie vom Klimawandel als einer „Agenda“, hinter der „die Kommunisten“ stünden. Sie ließ Theateraufführungen verbieten, geriet wegen zwielichtiger Masken-Deals ihres Bruders in die Schusslinie und ist den Madrilenen noch in übler Erinnerung wegen ihres tödlichen Handlings der Corona-Pandemie, als - auf Anweisung aus ihren Reihen - die Einweisung von erkrankten Bewohnern aus Altenheimen in die Krankenhäuser verboten wurde, was zu apokalyptischen Szenen führten. Das Militär musste hunderte Leichen aus aufgegebenen Pflege- und Altenheimen bergen, die dort ohne jede Betreuung gestorben waren. Die Sache ist nach wie vor gerichtlich anhängig, über 200 Kläger, Angehörige der Verstorbenen, ringen um einen Prozess. Dann, als das Gröbste längst vorbei war, ließ Díaz-Ayuso ein gigantisches „Seuchenkrankenhaus“ errichten, das nach Meinung von Fachleuten überteuert und weitgehend nutzlos ist und seitdem überwiegend leersteht oder zweckentfremdet als „Geisterkrankenhaus“ verwendet wird.

Zum Thema: Andalusien laufen die Krankenpfleger davon.

Aktuell: Ab Montag, 14. November, streiken in Spanien wieder die LKW-Fahrer. Alle Infos.

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