Dem Land kommt bei der Versorgungssicherheit mit Erdgas für Europa sogar eine Schlüsselrolle zu. Jedenfalls beim Erdgas. So sieht es die EU-Kommission. Demnach verfügt Spanien über beachtliche Kapazitäten und über Erfahrung in Sachen Flüssiggas (LNG). In sieben Häfen bestehen Terminals und Anlagen, um Flüssiggas von Tankschiffen zu entladen, zu speichern, wieder zu gasifizieren und per Gas-Pipeline nach Europa zu schicken. Dies sind Barcelona, Huelva, Cartagena, Sagunto, Bilbao, Mugardos (La Coruña) und Gijón (derzeit nicht in Betrieb). Alle strategisch gut positioniert und verteilt im Mittelmeer und am Atlantik. Kein anderes Land der EU besitzt so viele Flüssiggas-Häfen.
Ein weiterer Hafen mit den gleichen Möglichkeiten liegt in Portugal. Alle diese Häfen schöpfen ihre Kapazitätsgrenzen bei weitem nicht aus. Aktuell wird in den spanischen Häfen Flüssiggas aus Trinidad und Tobago, Äquatorialguinea und Argentinien behandelt. Zum Vergleich: Deutschland als größter Erdgas-Verbraucher in Europa verfügt über keinen einzigen Hafen, zu dem Flüssiggas per Tankschiff transportiert werden könnte. Mit Stade ist lediglich einer in Planung. Deutschland hat fast ausschließlich auf Pipeline-Gas gesetzt.
Um russisches Erdgas zu ersetzen, stellt sich die EU-Kommission folgendes Szenario vor: Tankschiffe bringen das Flüssiggas aus den USA und Katar – beide Länder wären mögliche Hauptlieferanten – sowie Nigeria und auch Algerien in die sechs spanischen Häfen. Dort wird das Flüssiggas regasifiziert und per Pipeline nach Frankreich und weiter nach Deutschland geschickt. Alternativen, wie Deutschland bei der Gasversorgung von Russland unabhängig werden könnte*, zählt auch fr.de* auf.
Doch das Szenario hat einen Haken: Es gibt nur zwei Erdgas-Verbindungen nach Frankreich, eine bei Irún (Baskenland) und eine bei Larrau (Navarra). Beide besitzen nicht die Kapazität von modernen Pipelines. Man hätte es mit „einem Flaschenhals“ zwischen Spanien und Frankreich zu tun“, meint „El País“. „Spaniens Kapazität ist groß und könnte im Notfall eine große Hilfe sein, aber die Verbindungen sind, wie sie sind“, sagt Gonzalo Escribanoa, Direktor des Energie- und Klimaprogramms am Königlichen Elcano-Institut. Entsprechend limitiert würden Gaslieferungen nach Europa ausfallen.
Russisches Gas, das zu 40 Prozent den Gas-Bedarf Europas deckt, in manchen Ländern, wie Österreich oder Ungarn fast zur Gänze, in Spanien zum Beispiel nur zu 5 Prozent, zu ersetzen, sei auf die Schnelle fast unmöglich und nicht einfach durch andere Gaslieferungen ausgleichbar. Kohlekraftwerke, Erneuerbare Energien, aber auch die Kernkraft müssten einspringen - und die Vernetzung innerhalb der EU verbessert werden.
Spanien könne aber immerhin einen Beitrag leisten, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Wie beim Strom rächt sich auch beim Erdgas, dass es Brüssel über Jahrzehnte vernachlässigt hat, vernünftige Energieverbindungen von der Iberischen Halbinsel, also von Portugal und Spanien, nach Europa zu schaffen. Das gilt nicht nur bei Pipelines, sondern auch bei der Stromvernetzung.
Eine zweite Option, die Spanien bieten könnte, liegt in den Speichermöglichkeiten für Flüssiggas in den Häfen. So könnte das Land als Zwischenlager dienen. Die europäischen Verbündeten könnten von dort per Schiff mit Flüssiggas versorgt werden. Der Vorteil: Spanien liegt geographisch günstig für Flüssiggas-Lieferungen aus den USA oder von afrikanischen Exporteuren.
2014 hatte Spanien schon einmal eine derartige Funktion ausgeübt. Allerdings mit Weiter-Exporten nach Asien, als dort Versorgungsengpässe auftraten. „Diese Erfahrung zeigt uns, dass das iberische System durchaus über Kapazitäten verfügt, um Flüssiggas zu reexportieren“, sagt Jorge Fernández, Koordinator beim Energie-Laboratorium des Baskischen Institut für Wettbewerbsfähigkeit.
Doch auch diese Möglichkeit reicht nicht aus, um russisches Erdgas zu ersetzen. Hinzu kommen zwei weitere Nachteile: die hohen Kosten sowie die begrenzten Kapazitäten in Europa, um Flüssiggas zu regasifizieren. Als Teillösung wäre die Zwischenlager-Option „zwar möglich, aber ineffizient“, sagte Fernández. Was die Kosten anbetrifft, hätte wohl kaum ein Unternehmen einen wirtschaftlichen Anreiz, sich zu beteiligen. Eine dritte Option bestünde in der Nutzung der Gas-Kraftwerke in Spanien. Auch sie laufen längst nicht unter Volllast. Flüssiggas aus den USA und Katar könnte zur Stromproduktion genutzt werden. Dieser Strom könnte exportiert werden. Auch hier mangelt es an brauchbaren Verbindungen nach Frankreich.
Zum Thema: Preis des Krieges, welche ökonomischen Auswirkungen der Russland-Ukraine-Krieg auf Spanien haben kann.
„Keine der drei Optionen taugt, um alles russisches Gas zu ersetzen“, sagt der Ökonom Miguel Ángel Lasheras. „Etwas anderes wäre es, wenn die EU das Thema der zwischenstaatlichen Energieverbindungen ernstnehmen würde, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Aber das ist eine Frage von Jahren, nicht von Monaten.“ *costanachrichten.com und fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.