Mit zwei Hintergedanken geht die EU daran: ökologische Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit von den großen Versorgern. Das Projekt hat wieder so einen komischen Namen, bei dem man sich fragt, ob die Planer in einen Topf Kreativität gefallen oder einfach zynische Witzbolde sind: Powerty 2019-2023, also Power und Poverty, Kraft, Energie, Macht und Armut zusammengezogen. Stylische Etikette für den Versuch, ein Licht der Hoffnung zu entfachen. Die EU versucht durch die Öko-Schiene auch, auf subtile Weise ideologische Bremser, die gar kein Interesse haben, sich um Armenviertel zu scheren, auszutricksen. Anders gesagt: Ohne die EU würde in Torreblanca einfach weiter abgeschaltet und aus ist das Licht. An die EU-Gelder kommt man nur, wenn auch die Ärmsten was abbekommen.
Und so schulen die Andalusische Landesenergieagentur und der Vor-Ort-Verein Torreblanca Illumina gerade eine Gruppe von elf Familien zu kleinen Energie-Autonomen um. Darunter eine alleinlebende 65-Jährige, zwei Einwandererfamilien aus Lateinamerika und dem Maghreb, drei alleinerziehende Mütter, alle mit Einkünften unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Eine Familie in dem Viertel schlägt sich im Schnitt mit 12.600 Euro im Jahr durch. Wohlgemerkt eine ganze Familie. Die Auserwählten liegen noch darunter, 300 bis 600 Euro Einkommen im Monat sind fast der Standard. Sie sollen mit "Powertz" nicht nur lernen, wie man Strom spart, sondern wie sie künftig ihren eigenen Strom selbst erzeugen, gemeinsam verwalten, speichern, verteilen. Das Ziel: Ihre Energierechnung wird hinfällig, denn sie werden - weitgehend - Selbstversorger.
Das geht Dank Solarpanelen, die auf dem eigenen Dach und jenem einer angrenzenden Schule installiert werden. Die gehört der Landesregierung, daher kann hier kein Hauseigentümer hineinquatschen. Den Schaltkasten mit den Batterien sollen die Nutzer selber bedienen und steuern, verstehen, wann ihnen wieviel Strom zur Verfügung steht, Überlastungen vermeiden. Nur bei Havarien kämen dann noch Techniker vorbei. Die waren schon da und haben angesichts der Bauweise der Häuser - vor allem ihrer energetischen Isolation - nur die Köpfe geschüttelt. Da könnte man die Klimaanlagen auch gleich auf der Straße installieren, soll einer gesagt haben.
Installation und Schulung, rund 73.000 Euro davon bezahlt das Interreg-Programm "Powerty" der EU und ein bisschen auch die Landesregierung. Doch die Nachbarn mussten auch selbst aktiv werden, sich um "Sponsoren" kümmern. Zum Beispiel für den Lkw, der die passenden Solarpanele aus Holland herbrachte. Wo es EU-Gelder gibt, tauchen plötzlich jede Menge Organisationen auf. Auf einmal ließ sich das Sozialamt blicken, eine Sozialkkoperative Taller Ecosocial gibt ihr Netzwerk-Wissen weiter und sogar Studierende der Uni Sevilla rückten als Forschungsgruppe Adici an, um die sozialen Dynamiken des Projektes aus der Nähe zu betrachten. Ob die schlechte energetische Isolation der Armenviertel auch gelöst wurde, erfahren wir nicht.
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Ziemlich viel Auflauf für ein paar Solarpanele, könnte man denken, das riecht nach Pressefotos, nach Schulterklopfen, nach Studien-Schwemme, akademischem Armutstourismus, aber wenig nach quantitativ relevanter echter Hilfe. Doch die elf Nachbarn sind "Piloten", nur ein Anfang, 18.000 Personen leben allein in Torreblanca, viele in vergleichbar schlechten Umständen. 104.000 Sevillaner in echten Armenvierteln sind es insgesamt. Die Energieagentur erstellt anhand des Pilotprojektes nun einen Powerty-Leitfaden, eine Art Check-Liste, die zur Multiplikation und effizienten Umsetzung für andere "Energie-Kommunen" dienen soll. Das sind diese Elf nämlich jetzt, Energie-Kommunarden.
Das hat eine gewisse Ironie, wenn man bedenkt, dass die Klientel der in Andalusien regierenden "Volkspartei" eigentlich am anderen Ende der Einkommensstatistiken Zuhause ist und die auch deshalb reich sind, weil Torreblanca, Tres Mil Viviendas und wie die Viertel alle heißen, so arm sind. Aber vielleicht ist das zu viel Philosophie für sechs Blöcke Solarzellen und einen elektrischen Funken guten Willens. Die Feria de Abril von Sevilla tobt um die Ecke. Sie könnte weiter nicht weg sein, aber der Flamenco ist hier, zwischen den Bruchbuden, der beste der Welt. Alalá - Freude gibt es unplugged.
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