Am Donnerstag hatten alle im spanischen Parlament vertretenen Parteien den Krieg Putins gegen die Ukraine verurteilt, einschließlich NATO-kritischer linker Parteien wie auch der sonst gerne Autokraten verherrlichenden rechtsradikalen Vox. Trotz Abstufungen in der Einschätzung der Lage und der Ursachen, war der Tenor aller: Krieg kann niemals die Lösung sein.
Auch wenn die größten Flüchtlingswellen aus der Ukraine die EU-Anrainer Polen und Ungarn treffen, bieten auch Familien in Spanien ukrainischen Bürgern Asyl. So berichten Medien davon, dass Familien ihre Kinder und Mütter zu Bekannten und Verwandten nach Spanien gebracht hätten, die Männer aber vor Ort blieben um Militärdienst zu leisten und/oder das dortige Eigentum zu beschützen.
Derweil machen sich spanische Unternehmen zusehends Sorgen über die explodierenden Öl-, Gas- und Energiepreise. Unternehmen des Maschinenbaus, der Fahrzeugindustrie und der Landwirtschaft fürchten um Absatzmärkte. 2019 besuchten rund 1,3 Millionen Menschen aus Russland und der Ukraine Spanien als Touristen (von 85,5 Millionen ausländischen Touristen insgesamt) und waren vor der Pandemie eines der am stärksten wachsenden Herkunftsländer.
Update, 24. Februar 2022: Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist seit heute morgen bittere Realität. Putin hat seine Truppen gegen das Nachbarland in Marsch gesetzt, Bomben fallen auf mehrere Städte, russische Bodentruppen marschieren in die Ukraine ein, es gibt erste Tote. Russland beginnt eine Invasion, einen Angriffskrieg.
Der Außenbeauftragte der EU, der Spanier Josep Borrell, spricht von der „dunkelsten Stunde Europas seit Ende des Zweiten Weltkriegs“ und hat eine geschlossene Antwort der Europäer angekündigt. Dennoch bleibt das Gefühl der Machtlosigkeit Europas gegenüber dem Geschehen, denn ein militärisches Eingreifen der NATO ist keine Option. Borrell identifizerte klar die Ziele Putins in der Ukraine: Die endgültige Abspaltung der östlichen Gebiete von der Ukraine, der sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk, auch jener Gebiete, die derzeit noch von der Ukraine kontrolliert werden.
Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez erklärte am Morgen über Twitter: „Die Regierung von Spanien verurteilt die Aggression Russlands gegen die Ukraine und erklärt sich solidarisch mit der Regierung des ukrainischen Volkes. Ich bleibe in engem Kontakt mit unseren Verbündeten der EU und der NATO, um eine Antwort abzustimmen.“ Spaniens Außenminister, José Manuel Albares, ergänzt, dass der Angriff Russlands „nicht zu rechtfertigen“ sei und eine „schwerwiegende Verletzung internationalen Rechts“ darstelle. König Felipe VI hat als Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber den Nationalen Sicherheitsrat einberufen, ein formaler Akt, praktisch wird sich Spanien um die Evakuierung noch verbliebener Landsleute aus der Ukraine kümmern. Dazu gehört zum Beispiel auch Lluís Cortés, Trainer der Frauen-Fußballnationalmannschaft der Ukraine, der gegenüber „El País“ erklärte, gerade zu „versuchen, aus Kiew heraus zu kommen.“
Der Geschäftsträger der ukranischen Botschaft in Spanien, Dimitrio Matuschenko, sagte am Morgen im spanischen Fernsehen: „Dass uns Deklarationen nichts helfen, sondern nur eine harte, klare Antwort“ der Staatengemeinschaft. Er hält es für am wirksamsten, wenn der Westen die Finanzflüsse Russlands konsequent stoppt, „so kann Putin seinen Krieg nicht finanzieren“. Der Diplomat rief die Bürger in Spanien dazu auf, russische Produkte zu boykottieren, „Kaufen Sie nichts, was aus Russland kommt“. Rund 100 Menschen demonstrieren seit dem Vormittag vor der russischen Botschaft in Madrid gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine.
Laut spanischem Außenministerium leben rund 100.000 ukrainische Staatsbürger in Spanien, 265.000 Menschen aus der früheren Sowjetunion insgesamt. Hinzu kommen Tausende, die seit Ende der Sowjetunion in Spanien eingebürgert wurden. Wie zum Beispiel viele Russen, Ukrainer, Weißrussen oder Kasachen, die Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre zum Arbeiten zum Bau-Boom an die Küsten Spaniens kamen. Torrevieja im Süden der Costa Blanca beherbergt die größte russische, aber auch ukrainische und insgesamt ex-sowjetische Gemeinde in Spanien. Zum Artikel: Kleine Sowjetunion an der Costa Blanca - Russen und Ukrainer in Spanien. Auch die Zahl der russischen Urlauber in Spanien nahm - vor der Pandemie - kontinuierlich zu.
Die täglichen vier Direktflüge von und nach Kiew, sowohl vom Flughafen Barcelona wie auch von Alicante wurden gestrichen, die Routen bleiben bis auf Weiteres unbedient. Flüge von und nach Russland sind bis dato nicht betroffen.
Welche ökonomischen Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf Spanien haben kann und was ein spanisches Kriegsschiff im Schwarzen Meer und spanische Kampfflugzeuge in Bulgarien zu suchen haben, erklärt der untenstehende Artikel.
Update, 13. Februar 2022: Auch Spanien fordert seine Bürger auf, die Ukraine „so schnell wie möglich“ zu verlassen, wenn ihr Aufenthalt nicht unabdingbar ist. Als Grund wird vom spanischen Außenministerium eine „mögliche, unmittelbar bevorstehende kriegerische Invasion Russlands“ angegeben. Laut Ministerium sind rund 500 Spanier bei der Botschaft in Kiew registriert. Gemeinsam mit anderen NATO-Staaten sollen ausreisewilligen Ausländern je ein Evakuierungspunkt in Kiew und ganz im Westen des Landes offengehalten werden, sollte der zivile Flugverkehr eingestellt werden müssen. Für die Ukraine gilt zudem eine allgemeine Reisewarnung.
Erstmeldung, 10. Februar, Kiew/Madrid - Spanien ist als Mitglied der NATO und der EU ein mittelbar Beteiligter des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland, der diplomatische Einfluss des Landes am entgegengesetzten Ende Europas ist naturgemäß gering. Dennoch reiste Spaniens Außenminister José Manuel Albares am Mittwoch in die Ukraine, eine symbolische Geste der Solidarität mit Kiew, das sich 120.000 russischen Soldaten an seinen Grenzen und dem unberechenbaren Putinschen Machtpoker gegenübersieht.
"Niemand auf unserer Seite Europas zieht einen Krieg auch nur in Betracht", er sei nicht hier, "um weitere Spannungen" in den Konflikt zu bringen. Die Botschaft des spanischen Außenministers in Kiew war weitgehend pazifistisch, aber gleichzeitig bündnistreu, denn "den Truppenaufmarsch sehen wir mit Sorge, die Situation ist nur durch Diplomatie zu lösen", erklärte der spanische Chefdiplomat in Kiew am Mittwoch. Daher wolle er auch keine "Prophezeiungen aussprechen, die zu selbsterfüllenden Automatismen" führen könnten. Allerdings bestätigte er, dass Sanktionen gegen Russland vorbereitet seien, sollte Putin kriegerische Aktionen setzen.
Auf die Frage, ob Spanien Waffen an die Ukraine liefern würde, antwortete der Minister nicht direkt: "Die Position der EU und Spaniens ist klar: Wir arbeiten am Abbau von Differenzen mit den Mitteln der Entspannung und des Dialogs. Die Diplomatie ist am Wort, es ist nicht der Moment hypothetische Szenarien durchzuspielen." Diese verbale Entspannung liegt ganz auf der Linie der ukrainischen Regierung, zumindest deren öffentlichen Äußerungen. Denn in der Praxis wird das ganze Land bereits mobilisiert, Zivilisten und Reservisten für den Verteidigungskampf gegen eine hochmoderne russische Armee geschult. Über die aktuelle Entwicklung im Ukraine-Konflikt* berichtet auch fr.de*.
Spanien wollte sich jedoch eine PR-Blamage wie Deutschland mit seiner Lieferung von 5.000 Helmen ersparen, Krieg sei keine Option, so der spanische Gast, Waffenlieferungen daher zunächst auch nicht. Auch wenn er Letzteres so offen nicht aussprach. Immerhin: Spanien ist mit einem Kriegsschiff, der Fregatte Blas de Lezo im Schwarzen Meer im Rahmen der NATO-Flotte SNMG-2 vertreten und hat einige zusätzliche Jagdbomber in Bulgarien stationiert. Insgesamt sind rund 800 spanische Militärs in beiden Missionen involviert.
Albares ukrainischer Amtskollege Dimitro Kuleba erklärte beim Treffen, dass die "massive Ausgabe von russischen Pässen in Lugansk und Donetzk" ein Bruch internationalen Rechts und der Verträge von Minsk darstellten und der Truppenaufmarsch ein "Akt der Aggression", Putin sich aber offenbar für "die Niederlage im Kalten Krieg rächen" wolle und plane, eine Art Sowjetunion zu basteln, um seinen Einfluss zu vergrößern. Alles auf Kosten der Ukraine, die international wenig bekämpfte Annektion der Krim habe ihn darin ermutigt. Kuleba betonte, dass sich die Ukraine im Osten des Landes seit acht Jahren im Krieg mit von Moskau gesteuerten und versorgten russischen Separatisten befinde.
Albares, der direkte Anschuldigungen gen Russland vermied und sich auch angesichts des nicht selten überspitzten ukrainischen Nationalismus auf die Zunge biss, führte Argumente ins Feld, für die Russlands Präsident unempfänglich zu sein scheint, nämlich den europäischen Minimalkonsens, dass Landesgrenzen nicht mehr mit Gewalt verschoben werden. Die Ukraine mahnte denn den spanischen Gast auch, dass die Art, wie dieser Konflikt ausgeht, auch die Zukunft der EU bestimmen werde.
Zum Thema: Spanien und der Abzug aus Afghanistan.
Für Spanien geht es natürlich auch um ökonomische Fragen, zwar nicht so existentiell wie für unmittelbare Anreiner wie Polen oder große Wirtschaftspartner Russland und der Ukraine wie Deutschland. Doch zwischen Januar und November 2021 exportierte Spanien Güter im Wert von über 2 Milliarden Euro nach Russland. Kein Vergleich mit den 46 und 30 Milliarden an Warenlieferungen nach Frankreich und Deutschland, aber doch eine beachtenswerte Größe. Die Direktinvestitionen russischer Unternehmen in Spanien betrugen 2019 - neuere Daten liegen nicht vor - gut 1 Milliarde Euro, unter anderem in der Plastik-Industrie, der Öl- und Gasfördertechnik sowie im Handel. Den größten Batzen machen indes die Importe aus Russland aus, die zuletzt 5,2 Milliarden Euro im Jahr umfassten, darunter vor allem Erdgas und Rohöl. Ein Ausfall dieser Posten könnte den ohnehin überhitzten Energiemarkt in Spanien bis hinunter zum Endverbraucher weiter verteuern.
Spanien würde aber auch leiden, wenn durch einen anhaltenden Konflikt und gegenseitige Sanktionen, Handel und Investitionen zwischen der EU und Russland zum Erliegen kämen, denn dann würden auch Spaniens wichtigste Handelspartner Frankreich und Deutschland das Land am "Ende" Europas mit sich ziehen, einer Phase globaler Lieferengpässe und zunehmender Krisenherde, kein angenehmes Szenario für das Land, das sich nur massiver EU-Geldspritzen aus der Coronavirus-Krise relativ gut erholt. So oder so hat der Außenminister also recht: Krieg ist keine Option. *costanachrichten.com und fr.de sind ein Angebot von IPPEN.MEDIA.