Er fürchtet nun, dass die PP durch ihre Vox-Kuschelei auf lange Sicht Wähler der Mitte für den angestrebten spanienweiten Machtwechsel verlieren könnte, während vor allem seine Madrider Landesbaronin Isabel Díaz Ayuso hemmungslos den Populismus adaptiert und keine Probleme damit hat, Vox als natürlichen Bündnispartner zu hofieren. Ihr Wahlergebnis stärkt ihr den Rücken. Auch in Andalusien belegt die PP, ob es der Linken nun gefällt oder nicht, dass sie die Region ordentlich verwalten kann, ohne jeder Vox-Forderung nachzugeben. Ob sie künftig bei wichtigen Fragen erpressbar sein könnte, bleibt indes offen, Andalusiens Landeschef hat vorgezogene Neuwahlen ja nicht ohne Grund in den Raum gestellt.
Folgt nun die PP in Kastilien und León diesem Beispiel einer Koalition oder Duldung mit oder durch Vox, ist der Weg für die nationale Ebene vorgeschrieben, wäre Casado mit seiner Strategie einer Äquivalenz zwischen den politischen Polen gescheitert, die ohnehin nur vorgetäuscht war, denn ein Mann der Mitte war auch er nie.
Doch in Castilla y León könnte das Kräfteverhältnis noch komplizierter werden, denn neue Bewegungen schicken sich an, zum Zünglein an der Waage der Macht zu werden. Gemeint sind regionale, lokale Kleinparteien, die als Sprachrohre des "leeren Spaniens" zunehmend an Zulauf und politischem Gewicht gewinnen. Das Spektrum ist bunt und reicht von der "Unión del Pueblo Leonés" (UPL), das sich für eine Abspaltung Leóns von Castilla stark macht, über "Soria ¡Ya!", eine Bewegung aus der vergessenen Ostprovinz, bis hin zu "Por Ávila" auf halbem Wege zwischen Madrid und Salamanca. Diesen Gruppen könnten je ein, vielleicht zwei Sitze zufallen, genau jene Mandate, die der PP für eine absolute Mehrheit (mit Vox) fehlen könnten.
PP und PSOE, aber auch Vox verkaufen sich im Wahlkampf daher zwar als Parteien der Einheit, aber auch mit dem vollsten Verständnis für die Belange der Dorfbewohner, Bauern, Selbständigen, regionalen und lokalen Besonderheiten. Kein leichter Spagat.
Kastilien und Léon ist zwar das flächengrößte "Bundesland" Spaniens, mit 2,4 Millionen Einwohnern, die sich zwischen portugiesischer Grenze und Pyrenäen-Vorland fast verlieren, aber nach der Bevölkerung nur auf Rang 6 und so das Vorzeigeland für das durch Landflucht zunehmend entvölkerte Spanien, das España Vaciada, dem sich die Regierung in Madrid mit EU-Geldern und vielen Projekten entgegenstämmt und das durch die Coronapandemie, Stichwort ländlicher Tourismus, wieder eine Perspektive bekommen soll. Ob regionale Kleinparteien bei dieser erhofften Renaissance der Ländlichkeit aber die Lösung oder eher ein Hemmschuh werden, wird sich noch zeigen müssen. Denn im nationalen Parlament erlebt die Regierung bei jedem Gesetzesprojekt, wie sich Regionalparteien ihren Nationalismus und Schneid für Geld oder politische Zugeständnisse teuer abkaufen lassen.
Wie lokal, regional zerfurcht die Interessen in dem Flächenland Castilla y León mit den neun Provinzen Ávila, Burgos, León, Palencia, Salamanca, Segovia, Soria, Valladolid und Zamora sind, zeigt bereits der Umstand, dass die Region keine Hauptstadt hat. Zwar sitzt das Landesparlament in Valladolid (das zu Zeiten Carlos I. Residenz- und dann nochmals zu Cervantes-Zeiten kurz Spaniens Hauptstadt war), in der Landesverfassung ist aber keine Hauptstadt festgeschrieben, weil sich die lokalpatriotischen Streithähne nie auf eine einigen konnten, da kann man sich vorstellen, wie es bei der Einigung auf landesweite Belange bestellt sein könnte.
Zum Thema: Über die Dörfer - Volles Programm im „leeren“ Spanien.