Protestieren ist in Ordnung, blockieren nicht, so Spaniens Transportministerin Raquel Sánchez am Mittwoch, die offen von "Fällen von Gewalt und Nötigung" spricht. Die Polizei solle die Streikposten, welche die Arbeit anderer verhindern auflösen, Übergriffe von Streikenden auf jene, die an dem formaljuristisch "wilden Streik" nicht teilnehmen wollen, verhindern. "Wir werden dort konsequent durchgreifen", wo "Fahrer an ihrer Arbeit gehindert werden sollen". Notfalls werde die Polizei Konvois zusammenstellen, begleiten und beschützen, so die Ministerin. Am Dienstag und Mittwoch wurden mehrere Vorfälle bekannt, so raste ein Streikender in voller Fahrt, fast wie ein Amokfahrer, auf wartende Lkw-Fahrer zu, die ihre Fahrzeuge beladen wollten. Ein anderer ging mit einem Stein auf einen "Streikbrecher" los, es gab etliche Handgreiflichkeiten zwischen Kollegen.
"Ein demokratischer Rechtsstaat kann es nicht tolerieren, dass jene, die arbeiten wollen, mit Gewalt davon abgehalten werden", so Ministerin Sánchez. Die traf sich zwar mit dem CNTC, dem Nationalen Komitee der Transportunternehmen, nicht aber mit der Plattform der Streikenden. Immer mehr der rund 75.000 Mitglieder dieser informellen "Plataforma de Defensa del Sector del Transporte de Mercancías", meist Selbständige oder kleinere Unternehmer mit ein, zwei oder drei Lkw, schließen sich den Protesten an.
Die schon lange hohen, aber durch den Krieg in der Ukraine quasi explodierten Dieselpreise waren der Auslöser dafür, doch die Forderungen der Brummi-Fahrer, die schon lange "am Limit" sind, gehen weit darüber hinaus. Sie fühlen sich zwischen den großen Spediteuren mit ihren eigenen Interessensverbänden und den Gewerkschaften, die sich um die angestellten Fahrer kümmern, unverstanden, vergessen und zerdrückt. Denn auch die Regierung will mit ihnen nicht verhandeln. Selbst die anerkannten Verbände der selbständigen Lkw-Fahrer halten sich mit Solidarität zurück, was die Streikenden zu "Gelbwesten"-Outlaws macht.
Spaniens milchverarbeitende Industrie muss ab Donnerstag ihre Produktion einstellen:
Mittlerweile hat das Transportministerium das Innenministerium eingeschaltet und eine Art kleinen "Nationalen Sicherheitsrat" aus Sicherheitsstaatssekretär und den Stabschef der Guardia Civil und der Nationalpolizei gebildet, um die Verkehrsadern des Landes frei zu halten. Die Ministerin verwies die protestierenden Fahrer auf die Ankündigung der Regierung, dass ab 29. März Strom, Gas und vor allem auch Diesel in Spanien billiger werden wird, notfalls auch durch einseitige Steuersenkungen der spanischen Regierung, sollte die EU keine ausreichenden Maßnahmen setzen.
Die Plattform hält alles für einen Schwindel, quasi eine Verschwörung. Im CNTC "sind nur die Großen, darunter Firmen, die nicht einen einzigen eigenen Lkw besitzen, sondern nur Transporte vermitteln und Fahrer anheuern, um die Komissionen dafür zu kassieren, was wissen die über unsere Probleme?" heißt es in einem Aufruf des Plattform-Präsidenten Manuel Hernández auf Twitter. Der CNTC, in dem unter anderem auch die großen Verbände Fenadismer und CETM vertreten sind, würden "uns diffamieren", da wir "nicht einmal 5 Prozent des Sektors repräsentierten, hätten wir keine Rechte".
Die Plattform brandmarkt den "Feind im eigenen Haus", denn die zentrale Forderung - neben der Klage über die unbezahlbaren Spritpreise - ist jene nach einem Verbot, Transportaufträge annehmen zu dürfen, die nicht die Kosten decken. Dazu soll die Aufsicht im Ministerium monatlich einen Index erstellen, der Gesetzesrang haben müsste. Außerdem müsste die Zahlungsfrist im Sektor auf maximal 30 Tage verringert werden und ein Sanktionskatalog gegen Preisdumping in der Branche umgesetzt werden. All das sei in der Vereinbarung im Transportsektor in Spanien vor Weihnachten nicht enthalten, so die Plattform. Im Gegenteil: Die Großen hätten eine Handhabe bekommen, den Wettbewerb abzuwürgen und die selbständigen Lkw-Fahrer zur Aufgabe zu zwingen.
Diese "5 Prozent" machen sich indes bemerkbar als wären sie 50 Prozent, Mercamadrid hat am Mittwoch nur noch rund die Hälfte der erwarteten Ware erhalten, die Obst- und Gemüsegroßhändler von Asomafrut warnen bereits vor "ernsthaftem Warenmangel", sollten die Streiks in den Herkunftsgebieten fortgeführt werden, also vor allem Almería, Granada, Huelva, Málaga und Murcia. Das hätte auch Auswirkungen bis nach Deutschland und andere nordeuropäische Länder, denn etliche Handelsketten beziehen ihre Frischware, vor allem jetzt, aus dem "Garten Europas".
Die Stahlindustrie (Unesid) wartet indes auf "Rohmaterial". Die "Auswirkungen des Streiks sind doch größer als erwartet" meldet der Verband. Am stärksten betroffen aber sei die Milch verarbeitende Industrie, "ab diesem Donnerstag, 18. März, müssen die meisten unserer Betriebe die Produktion einstellen, aber auch die Auslieferung fertiger Produkte", erklärt die Föderation der Milchverarbeiter Spaniens, Fenil, die 60 Unternehmen und 95 Prozent der spanischen Produktion repräsentiert und warnt davor, dass darunter "nicht nur wir, sondern vor allem auch die Milchviehzüchter und die Rinder leiden" werden.
Immerhin haben die Streikenden erreicht, dass ihre Anliegen nun politisches Thema sind. Denn der Landesministerpräsident von Galicien, Alberto Núñez Feijóo, der als künftiger Chef der Volkspartei ein politisches Schwergewicht ist, forderte die Regierung auf, das Gespräch mit den Lkw-Fahrern zu suchen, "bevor es zum Kollaps kommt". Er habe "Tonnen von Fisch" gesehen, die nicht an die Kunden kommen. Zwar ist die PP ein typischer Vertreter der "Großen", in deren Vorständen Parteifreunde sitzen und versorgt werden, aber wenn es politisch opportun ist - und gegen die Linksregierung Sánchez zu schießen ist das immer - sind die Konservativen immer auch Anwalt des "kleinen Mannes". Bis sie dann selbst an der Macht sind.
Zum Thema: Der Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf Spanien.