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Macho-Gewalt in Spanien: Wenn Frauen des Geschlechts wegen Opfer werden

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Von: Anne Götzinger

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Frauen an einem violettfarbenen Infostand.
Die Puntos Violetas sind auf Fiestas in Spanien eine Anlaufstelle für Frauen, die Opfer von Macho-Gewalt geworden sind. Hier der Stand beim Oktoberfest in La Nucía. © David Revenga

Macho-Gewalt hat nicht nur in Spanien viele Gesichter. Der Machismo reicht von vulgären Sprüchen gegen Frauen bis hin zu Nadelattacken und Gruppenvergewaltigungen. Eine Bestandsaufnahme.

Madrid/Alicante – Begrapschen, Vergewaltigung, K.o-Tropfen, Anzüglichkeiten, Beleidigungen, die Angst, alleine nach Hause zu gehen – es gibt vieles, was Frauen nicht nur in Spanien erleiden müssen, allein wegen der Tatsache, dass sie Frauen sind. Allein deshalb, weil sie körperlich unterlegen sind, weil natürlich nicht alle, aber doch so manche Männer tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt, oder weil sie als Rudel samstagabends „auf die Jagd gehen“. Aus Überlegenheit, aus Geilheit, aus „Tradition“. Und Macho-Gewalt hat viele Gesichter.

„Diesen Sommer hatten wir leider viel zu viele Vorkommnisse: von Gruppenvergewaltigungsversuchen über Nadel-Attacken – also dass sie nicht nur etwas ins Glas der Mädchen kippen, sondern es durch Needle Spiking direkt spritzen –, wir haben von allem etwas erlebt, es war ein sehr schwieriger Sommer“, berichtet Marga Luján von der Vereinigung Mujeres con Voz in Villajoyosa an der Costa Blanca. Der gemeinnützige Verein setzt sich für Frauen ein, die Opfer von Macho-Gewalt geworden sind, und ist seit 2016 auf Dorf-Fiestas im Kreis Marina Baja mit einem Stand, einem sogenannten Punto Violeta, vertreten.

Macho-Gewalt in Spanien: Verein hilft Frauen, die Opfer geworden sind

„Dort informieren und sensibilisieren wir die Gesellschaft im Allgemeinen, aber unsere Stände sind auch geschützte Bereiche, in denen wir Frauen betreuen, die Opfer einer Misshandlung oder sexuellen Aggression wurden oder es noch sind“, erklärt Luján. Denn auch wenn in Spanien bei den typischen Dorf-Fiestas Spaß und Zusammenhalt im Vordergrund stehen, für Frauen ergeben sich häufig unangenehme oder auch gefährliche Situationen.

Auf einer Ausgehmeile stehen viele junge Leute auf einer Straße vor Bars.
Die meisten Gruppenvergewaltigungen in Spanien passieren nachts, oft bei oder nach Partys. © Clara Margais/dpa (Symbolfoto)

„Kommt ein Mädchen oder eine junge Frau, weil sie Opfer einer Aggression geworden ist, dann kümmern wir uns um sie, fragen, ob wir sie begleiten sollen zu einer ärztlichen Untersuchung oder zur Polizei, um eine Anzeige aufzugeben“, erzählt Luján, die selbst in ihrer früheren Ehe Opfer von Macho-Gewalt geworden ist. Auch nach der Aggression betreut die Vereinigung Mujeres con Voz die Opfer weiter, wenn sie dies möchten: mit psychologischer und rechtlicher Beratung, mit Workshops, Fortbildungen, Entspannungskursen und vielem mehr. Solche Vereinigungen zum Schutz der Frauen dieser Art gibt es mittlerweile in ganz Spanien.

Spanien: Macho-Gewalt ist auch auf Fiestas präsent

Allein in diesem Sommer stand bei Fiestas in 16 Gemeinden des Kreises Marina Baja ein „Violettfarbener Punkt“ für Frauen in Notsituationen. Auch beim Oktoberfest des deutschen Vereins CCC in La Nucía, dem ältesten auf Spaniens Festland, waren sie vertreten. „Und es ist mit Abstand der Punto Violeta, an dem wir am wenigsten Vorkommnisse durch Macho-Gewalt haben“, erzählt die 60-Jährige aus Villajoyosa. „Das liegt aber vermutlich auch an den vielen privaten Sicherheitsleuten, die im und rund um das Festzelt für Ordnung sorgen.“ Wie Luján erklärt, versuchen sie stets, mit drei bis vier Freiwilligen den Punto Violeta zu betreuen. „So können immer zwei von uns herumlaufen und im Zelt und draußen, an kritischen Punkten, ein Auge auf das Geschehen werfen und sich zeigen. Wenn wir etwas Verdächtiges sehen, rufen wir die Sicherheitskräfte“, berichtet sie. Und beim Oktoberfest des CCC in La Nucía hätten sie nichts Verdächtiges bemerkt.

Innerhalb des Vereins Mujeres con Voz gebe es eine Gruppe von Frauen, die sich den Puntos Violetas widme. Wenn es einmal vorkomme, dass Stände auf zwei Veranstaltungen gleichzeitig stehen, greife man auf freiwillige Helfer zurück, die sich an den Stand stellen können und möchten. Viele Frauen – und Männer – würden sich den Ständen nähern, um sich über das Problem der Macho-Gewalt in Spanien zu informieren, und bekommen anschließend einen violetten Button als Zeichen gegen die Gewalt an Frauen.

Macho-Gewalt ist nicht nur in Spanien ein weitverbreitetes Problem

Beim Oktoberfest in La Nucía allerdings fühlen sich die Mujeres con Voz eher überflüssig. „Keiner schaut mal an unserem Stand vorbei, keiner interessiert sich für das Thema“, erzählt Marga Luján, die vermutet, dass dies damit zusammenhängt, dass es eine von Ausländern organisierte Fiesta ist. „Es ist sehr schwierig, an die ausländische Gemeinschaft heranzukommen, es ist, als ob sie dieses Thema nichts anginge. Dabei existiert die Macho-Gewalt überall, in Deutschland, in Spanien, in Frankreich, in allen Ländern.“ Und nur in Spanien würden die Frauen dabei in den „Genuss“ eines so fortschrittlichen Gesetzes kommen, das laut Marga Luján zwar verbesserungsfähig ist, aber immerhin existiert.

Auf dem Papier eine gute Sache, doch auch in Spanien gibt es im Kampf gegen den Machismo noch einiges zu tun. „Ihr seid nymphomanische Huren, kommt aus euren Kaninchenlöchern, ich verspreche euch, ihr werdet alle ficken – auf geht’s Ahúja!“ – diese kultivierten Sprüche hallten vergangene Woche vom „Elite“-Studentenwohnheim Elías Ahúja in Madrid rüber zum Mädchenwohnheim Santa Mónica, bevor alle die Jalousien ihrer Fenster hochrissen, animalische Laute und „¡Vamos Ahúja!“-Rufe ausstießen – eine alteingesessene „Tradition“ in dem ausschließlich von jungen Männern bewohnten Colegio Mayor, in dem übrigens auch der Ex-Generalsekretär der Volkspartei, Pablo Casado, während seiner Studienzeit wohnte.

Vulgäre Macho-Sprüche in Studentenwohnheim in Spanien haben Folgen

Videos der Macho-Performance kursierten kurz darauf im Internet – und das Entsetzen und der Aufschrei waren zumindest in weiten Teilen der Gesellschaft groß. Politiker aller Couleur und in ganz Spanien verurteilten die Gesänge des Colegio Mayor, außer Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso, die fand, dass viel „schlimmere Dinge“ passieren. Doch auch einige Bewohnerinnen von Santa Mónica konnten an den ihnen gewidmeten Gesängen nichts Schlimmes finden, das sei eben „Tradition“.

Erst eine Woche nach dem Vorfall – und wohl nur angesichts der hohen Wellen, die dieser geschlagen hat – baten die Bewohner des Colegio Mayor Elías Ahúja um Verzeihung. Es sei ein „schlechter Scherz“ gewesen, der „aus dem Ruder gelaufen“ sei, schrieben sie auf ihrer Webseite. Der Vorsänger wurde des Wohnheims verwiesen. Auf einem anderen Video aus Ahúja sind übrigens nicht nur Macho-Sprüche, sondern auch ein „Sieg Heil“ mit gestrecktem Arm festgehalten. Eine ganz feine Gesellschaft also, mit der sich jetzt die Staatsanwaltschaft in Spanien beschäftigt und prüft, ob ein Hassdelikt vorliegt.

Spanien: Machismo trifft auf immer weniger Toleranz

„Was mich am meisten überrascht, ist, dass die Mädchen dieses Verhalten entschuldigen, natürlich nicht alle, aber viele fühlen sich davon nicht einmal beleidigt“, meint Marga Luján von Mujeres con Voz. In der Jugend von heute gebe es scheinbar keinen Mittelweg – „entweder sie sind überzeugte Feministen und Feministinnen, oder sie sind alle – Jungen und Mädchen – Machos“. Für Luján liegt die Lösung dennoch in der Erziehung. „Es müsste in Spanien ein Fach geben, in dem über die Macho-Gewalt gegen Frauen und auch über Feminismus gesprochen wird“, schlägt sie vor. „Damit die jungen Leute verstehen, dass der Feminismus nicht will, dass Frauen mehr sind als Männer, sein Ziel ist die Gleichheit.“

Die Schule Pérez de Guzmán in Ronda in Andalusien im Süden Spaniens reagierte jedenfalls mit einer weiteren Performance auf die Macho-Sprüche von Ahúja. „Nein, die Gewalt ist keine Tradition! Und es gibt keine Rechtfertigung! Mehr Respekt, weniger Brutalität! Mehr Respekt, weniger Machismo! Mehr Respekt, weniger Vulgarismus!“ rufen sie im Video aus den Fenstern ihrer Schule. Denn auch das ist zum Glück die Jugend von heute.

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