Doch der Ukraine-Krieg und seine Folgekrisen, die hohe Teuerung in Spanien, machen aus dem NATO-Gipfel einen Kriegsrat. Es geht um die Stationierung von NATO-Verbänden an der Ostgrenze des Bündnisses, um ein "stehendes Heer", eine ständige Eingreiftruppe von über 40.000 Soldaten in Europa. Und es geht um Aufrüstung und damit um sehr, sehr viel Geld.
Hatten sich gerade europäische Länder dem US-Ziel für NATO-Mitglieder, mindestens zwei Prozent ihres BIP für das Militär aufzuwenden bisher oft verweigert, weil Europa schlicht andere Prioritäten hat, überboten sich viele EU-Länder mit Beginn des Überfalls der Putin-Truppen auf die Ukraine in Treueschwüren und Versprechungen auf mehr Waffen und mehr Geld für ihre Armeen. Spanien zögerte kurz, sandte dann aber auch direkt Waffen an die Ukraine.
Das Problem: Sánchez hat das Geld für die Abermilliarden, die das 2-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben bedeutete gar nicht. 2021 gab Spanien 9,4 Milliarden Euro für Verteidigung aus, das waren 0,78 Prozent der offiziellen Wirtschaftsleistung BIP. Es müssten also rund 12-13 Milliarden Euro mehr sein, um die USA zufriedenzustellen, die natürlich auch darauf drängt, das ein Großteil dieser Gelder in Waffen und Ausrüstung aus US-Produktion fließen. Dahingehend hat Sánchez dem Amerikanern aber erstmal den Zahn gezogen und bestellte prompt vor dem NATO-Gipfel 20 Eurofighter für rund 2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Spaniens Hilfspakete gegen die Teuerung kosten bisher rund 15-20 Milliarden Euro, davon nicht wenig auf Pump oder von der EU finanziert. Wie erklärt Sánchez den Spaniern, dass er die nächsten 12 Milliarden in Waffen steckt, statt in Sozialhilfen angesichts einer Inflationsrate von rund 10 Prozent?
Am 28. und 29. Juni verwandelt sich Madrid zum NATO-Gipfel in eine Festung. US-Präsident Joe Biden hat sich angesagt, der vom G-7-Gipfel in Deutschland herüber nach Spanien kommen wird. Natürlich wird der spanische König da sein, dazu kommen mehrere Staats- und Regierungschefs aus Europa. Doch das Wochenende davor gehörte den Gegnern - sowohl des Treffens als der NATO ingesamt. Eine Plattform für den Frieden, hauptsächlich aus linken Parteien und Vereinen bestehend, organisierte einen Gegenkongress, dessen Höhepunkt eine Demo gegen die NATO in Madrid war, artikuliert als Friedensdemo.
Präsident der Ukraine wird bei NATO-Gipfel per Video zugeschaltet:
Nach Angaben der Organisatoren nahmen am Protestmarsch am Sonntag in Madrid 30.000 Menschen teil, die Regierungsvertretung spricht von 2.000, irgendwo dazwischen, wie bei vielen Dingen, liegt die Wahrheit. Auch die Friedensbewegung, die Grünen sowieso, aber auch linke Gruppen sind seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine gespalten. Mit Pazifismus, das ist sichtbar, kommt man den Putins dieser Welt nicht bei, doch eine militärische Eskalation, darin sind sich die meisten einig, birgt mehr fatale Risiken als auch nur Ansätze von Lösungen.
Die Demonstranten wie die Linke insgesamt sehen die NATO als Teil des Problems, als ungeeignet an, den Frieden in Europa zu bewahren. Dem stimmen auch jene zu, die Putins Politik und Krieg rundherum ablehnen, denn es war, das sollte man bei aller Kritik an der US-Strategie nicht vergessen, nicht die NATO, die Russland überfallen hat. Die freie System- und Bündniswahl unabhängiger Staaten und frei gewählter Regierungen als Anlass zu nehmen, sie zu überfallen, ist gegen das Völkerrecht. Das war 1973 in Chile ein Verbrechen, das ist es 2022 in der Ukraine.
Die Demonstranten fordern ein "alternatives Sicherheitssystem" als Lösung der Zukunft, aber niemand konnte so richtig erklären, wie es aussieht, wie man Putin ohne Waffen stoppt, wie man verhindert, dass er weitere Kriege anzettelt. Dafür verknüpfen nicht wenige Gruppen ihre NATO-Kritik mit Slogans einer dikatorischen EU, mit dem Schlagwort "Agenda 2030", die als "great reset" verteufelt wird, obwohl sie die meisten wohl nie gelesen haben, denn darin geht es vor allem um eine Wende, einen reset gegen unsere die natürlichen Ressourcen ausbeutenden Verhaltensweisen, u.a. durch Einsatz neuer Technologien, Erneuerbarer Energien, verändertem Konsumverhalten, nicht um Umerziehungslager, wie sie in Russland und China an der Tagesordnung sind.
Doch in Zeiten der "Sozialen Netzwerke" verselbständigen sich Parolen schnell zu fixen Ideen und dann zu Verschwörungstheorien, die mit der Reatlität nichts mehr gemein haben. An der Agenda 2030, genauso wie bei der pauschalen NATO-Schelte, lässt sich sehr gut die Dynamik der Hufeisen-Theorie ablesen, bei der sich extrem Rechts und extrem Links immer mehr annähern.
Die Spaltung und die Zweifel im Umgang mit der NATO und deren Zukunft als Bündnis ziehen sich auch durch die spanische Regierung selbst, so haben die Podemos-Minister im Kabinett Sánchez die Teilnahme zu sämtlichen Akten des NATO-Gipfels in Madrid abgesagt. Pablo Echenique, Podemos-Sprecher sagte klar: "Solche Gipfel, die das Ziel der Erhöhung der Rüstungsausgaben zum Ziel haben, sind gegen unsere politischen Ansichten, wir teilen die geostrategischen Ziele der USA nicht".
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