Vom eigentlichen Kalkül, mit einer absoluten Mehrheit regieren zu können, musste sich die PP nicht nur in Andalusien verabschieden, sondern erlebte das bereits zuvor in Murcia, Madrid und zuletzt in Kastilien und León, wo man es erstmals nicht mehr bei einem informellen Pakt, einer Duldung durch Vox beließ, sondern die rechtspopulistische Partei in eine formelle Koalition aufnahm. Das scheint sich zum Standardmodell zu entwickeln, auch für den angestrebten Machtwechsel in Madrid, der mit dem neuen, seriöser wirkenden PP-Chef Alberto Núñez Feijóo nun möglicher scheint als unter dem schlafwandelnden Polterer Pablo Casado, der von der eigentlichen Nummer 1 der PP, Isabel Díaz Ayuso, erfolgreich und gnadenlos aus dem Amt intrigiert wurde. Aktuelle Umfragen für nationale Wahlen sehen erstmals seit Amtsantritt von Pedro Sánchez dessen PSOE nur auf Rang zwei bei den Mandaten und eine Mehrheit für PP und Vox.
Andalusien ist nur die nächste, besonders wichtige Station der PP zurück an die Macht im ganzen Land. Die Volkspartei sieht die Regierung Sánchez noch immer als einen wahltechnischen Unfall, eine Abweichung vom "Naturrecht". Auch Juanma Moreno will den Andalusiern nun seine Rechts-Extremrechts-Koalition versüßen, in dem diese "eine Frankenstein-Regierung wie in Madrid voller Kommunisten, Separatisten und Antikapitalisten" verhindern werde. Denn das schwebe seinem andalusischen Kontrahenten von der PSOE, dem Senator und Ex-Bürgermeister von Sevilla, Juan Espadas, auch auf Landesebene vor. Da sei Vox das geringere Übel, vor allem wenn die Wähler seine Partei, die PP, besonders stark machten.
Die PSOE, der ihre zahlreichen Korruptions- und Amtsmissbrauchsfälle nach 40 Jahren Andalusien-Herrschaft noch immer fest an den Schuhen kleben und die sich lange vor einer wirklichen Erneuerung gescheut hat, versucht Moreno bei Sachthemen zu stellen und so vom ideologischen Schlachtfeld zu ziehen. "Moreno hat keine Projekte und keinen Plan für Andalusien", schoss Espadas nach der Ankündigung der Neuwahlen auf den Landeschef. Die Zielscheiben: ein zu Gunsten der privaten Anbieter "ruiniertes öffentliches Gesundheitssystem", zu wenig Lehrer, zu wenig Visionen für das ländliche Andalusien, soziale Schieflagen oder gar Antworten auf die großen Zukunftsthemen wie Wassermangel oder Klimawandel.
Doch die Andalusier sind diese sozialen Schieflagen nicht nur gewohnt, sondern so klug, zu wissen, dass auch die PSOE sie nicht beseitigen kann. Der Nach-Corona-Wirtschaftsboom, wenn auch überwiegend getragen durch EU-Milliarden, nutzt dem Amtsinhaber, kann der doch fast täglich irgendwo Bändchen durchschneiden und Schultern klopfen bei Eröffnungen und Einweihungen von IT-Centers, Solarparks, Bahnstrecken, neuen Metro-Trassen von Granada, über Sevilla bis Málaga. Málaga, die Heimatstadt Morenos boomt gewaltig und der PSOE fehlt ein "Killer-Thema". Und Dank der EU kündigte Moreno jetzt auch noch Gratis-Internet für ganz Andalusien an.
Vox wird wahrscheinlich mit der - selbst bei den Rechtspopulisten - als Hardliner geltenden Macarena Olona Choclán aus Alicante in den Landtagswahlkampf ziehen. Die Partei hält sich inhaltlich weitgehend bedeckt, was wenig wundert. Denn zum Einen hat sie nichts wirklich Konstruktives, dafür viel Populismus anzubieten, zum Anderen profitierte die Partei des Ex-PP-Kaders Santiago Abascal, der übrigens seine gesamte Karriere auf Steuerkosten gestaltete, aber stets die "subventionierten Eliten" anprangert, vor allem vom Nichtstun. Die Unzufriedenheit der Bürger in Frust zu verwandeln, genügte Vox bisher. "Solo queda Vox", es bleibt nur Vox, ist daher ein durchaus cleverer Werbeslogan der Partei, die mit vorhergesagten 14-18 Prozent der Stimmen auf ihren politischen Zenit zusteuert.
Die Umfragen belegen das: Derzeit steht die Die PP in Andalusen bei 26 Mandaten im Landtag und könnte am 19. Juni zwischen 30 und 36 erlangen. Der bisherige Koalitionspartner, die immer blasser werdenden Ciudadanos, die sich in ihr Schicksal des politischen Untergangs ergeben zu haben scheinen, werden wohl von 21 auf 2-3 Mandate absacken. Dafür steigt Vox wohl von derzeit 12 auf 17-22 Mandate an, während die PSOE von 33 Mandaten bis zu 12 verlieren könnte. Das bunte Linksbündnis Adelante Andalucía wird laut Prognosen auch deutlich weniger als die bisherigen 17 Mandate erreichen.
Nach jetzigem Stand scheint also eine Mehrheit der linken Gruppierungen unmöglich, eine absolute Mehrheit der PP aber auch, womit auch in Andalusien Vox zum Königsmacher werden wird. Die Wahlen - bei denen, anders als bei Lokal- oder EU-Wahlen, hier lebende Ausländer nicht mit abstimmen dürfen - drehen sich also im Grunde nur noch darum, wie stark erpressbar die PP durch Vox werden wird, nicht - wie in eben noch in Frankreich - ob Rechtsextreme überhaupt an die Macht kommen. Keine unbedeutende Frage, denn die Vox-Forderungen benachteiligen - das beweist auch das Abstimmungsverhalten in Madrid und das Auftreten in anderen Koalitionen - vor allem die schwächsten sozialen Gruppen. Wie mit diesen umgegangen wird, das aber definiert die Qualität einer Demokratie.