Eine Oktopus-Farm soll die Marktlücke schließen und den Rückgang der Bestände ausgleichen, den wachsenden Bedarf befriedigen. Jahrzehntelang forschten Teams weltweit daran, 2019 gelang dem spanischen Konzern Nueva Pescanova in seinen Laboren in O Grove in Galicien der Durchbruch bei der Fortpflanzung und Aufzucht der achtarmigen Leckerbissen in Gefangenschaft. Noch in diesem Jahr 2023 will die Firma die erste Oktopus-Farm der Welt, besser gesagt eine Oktopus-Fabrik auf Gran Canaria auf den Kanarischen Inseln eröffnen. Dort sollen jährlich rund eine Million Oktopusse gezüchtet und dann weltweit verkauft werden. „Geschlachtet“ werden sie, „schonend“ in Eiswasser. Das ist nicht der einzige Umstand, der Tierschutzorganisationen, aber auch Wissenschaftler wütend macht und internationale Proteste gegen das Projekt Oktopus-Farm auf den Kanarischen Inseln mobilisiert.
Der Tierschutzverein Eurogroup for Animals hat jetzt vertrauliche Dokumente über das Projekt an das britische Nachrichtennetzwerk BBC übergeben, doch weder Nueva Pescanova noch das Generaldirektorat für Fischereiaufsicht der Kanarischen Insel-Regierung wollen sich dazu äußern. Doch das Projekt schlägt Wellen, sogar US-amerikanische Abgeordente des Staates Washington fordern ein Verbot der Praxis, noch vor ihrem Start. Die Haltung und die Zuchtbedingungen dieser hochintelligenten Tiere seien „nicht hinnehmbar“, sind sich fast alle Kritiker einig. Es gibt indes auch andere Stimmen, auch von Wissenschaftlern, die den Gegnern des Projektes Blauäugigkeit und Selektivität vorwerfen. Sie würden Oktopusse vermenschlichen und über andere Lebewesen stellen, gegen Doraden oder Wolfsbarsche, die seit Jahrzehnten in Fischfarmen auf engstem Raum gezüchtet werden, protestierten niemand oder nur wegen der Verschmutzung der Meere, diesen Tieren würde man im Gegensatz zu Oktopussen oder Delphinen „Gefühle“ verweigern.
Laut den BBC vorliegenden Unterlagen des Unternehmens, würden die Oktopusse, die in den Meeren überwiegend als Einzelänger leben und die Dunkelheit suchen „in 1.000 großen Tanks zu je rund 1.000 Tieren unter permanenter Beleuchtung“ leben müssen, rund 10-15 Tiere pro Kubikmeter Wasser. Die Zuchtanlage wäre ein zweistöckiges Haus im Hafen von Las Palmas de Gran Canaria. Sind sie „schlachtreif“ würde man die pulpos in Becken mit Minus 3 Grad kaltem Wasser werfen. Das würde, so Forscher der World Organisation for Animal Health „einen langsamen, qualvollen und stressigen Tod“ für die Tiere bedeuten und die führende Firma für die Zertifzierung von Zuchtfischen und Meerestieren Aquaculture Stewardship Council (ASC) verlangt zumindest, diese Tötungsmethode nur anzuwenden, „wenn die Tiere vorher betäubt worden sind“.
Das Problem: Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften für die Aufzucht von Oktopussen in Spanien oder sonstwo auf der Welt, weil niemand zuvor Oktopusse kommerziell gezüchtet hat. Oktopusse seien so „so klug wie Katzen“, es sei „sogar sanfter sie so zu töten, wie es die Fischer seit jeher tun, ihren Kopf gegen etwas hartes zu schlagen“, zitiert BBC diverse Biologen und erwähnt, dass schon im Vorfeld einige Supermarktketten den Verkauf der auf die geplante Weise gezüchteten Oktopusse ablehnt, dazu gehörten Tesco und Morrisons.
Die an die BBC geleakten Dokumente geben einen Einblick in die Planungen, die rund 3.000 Tonnen Oktopus pro Jahr, die rund einer Million Tiere entsprächen, sollen vor allem auf die „Premium-Märkte USA, Südkorea und Japan“ kommen, wo man die höchsten Umsätze erzielen könne, dabei plane Nueva Pescanova mit einer „Todesrate von 10-15 Prozent“, berichtet BBC mit Bezug auf die internen Firmenpapiere. Über 300 wissenschaftliche Studien hätten hingegen belegt, dass Oktopusse „fühlende Wesen“ seien, die „Schmerz und Vergnügen empfinden“ könnten, sagt Jonathan Birch, Professor an der London School of Economics. Die Zuchtmethoden auf der geplanten Farm seien „schlicht nicht akzeptabel“, von der Ernährung aus billigem industriellen Trockenfutter aus Fischabfällen bis zur Haltung auf engem Raum und der Schlachtung. „Fühlende Wesen“ seien Tiere auch nach dem neuen spanischen Tierschutzgesetz, das umfasst aber keine achtarmigen Meeresbewohner.
Ein Blick ins spanische Firmenregister (datoscif.es) zeigt die 2015 in Redondela, Provinz Pontevedra in Galicien gegründete Neuva Pescanova SL mit einem Stammkapital von gigantischen 337 Millionen Euro und fünf Teilhabern, alles Spanier, an, was nicht ausschließt, dass diese wiederum Interessen anderer Investoren vertreten. Die alte Pescanova reicht als „Familienbetrieb“ bis 1960 zurück und kaufte nach und nach kleine Fischereibetriebe und schließlich ganze Flotten und Fabriken auf, darunter auch solche für Oktopusse, damals noch Wildfang. Das Unternehmen beschäftigt heute in 18 Ländern 10.000-12.000 Menschen und verkauft seine Produkte, vor allem Zucht-Garnelen und Fische aus Fischfarmen, in 80 Länder und hat mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro 2022 wieder ein paar Millionen Gewinn gemacht, schleppt aber noch einen Schuldenberg von rund 450 Millionen Euro mit. Die galicische Bank Abanca kontrolliert über diese Schulden fast 98 Prozent des Kapitals des Unternehmens und sucht, nach Angaben des Portals hispanidad.com einen neuen Mehrheitseigner für den Marktführer für gezüchtete Fische und Meeresfrüchte in Spanien, die Nummer 5 in Europa.
Ein Scheitern des Projektes Oktopus-Farm auf den Kanaren könnte das Unternehmen also in einer empfindlichen Situation treffen. Auch die Nueva Pescanova Biomarin Center SL mit nochmals 3 Millionen Euro Kapital gehört zum Paket. Nueva Pescanova schloss sich kürzlich einer gemeinnützigen Stiftung von Marta Ortega an, Tochter von Amancio Ortega von der Inditex-Gruppe und reichster Spanier. Der Chef der spanischen Volkspartei, PP, Alberto Núñez Feijóo, nahm als früherer Landesministerpräsident von Galicien regen Anteil an der Oktopus-Forschung der Firma, besuchte die Anlagen und sprach auch auf deren Events.
Die spanische Tierschutzpartei Pacma ruft für den 23. April 2023 zu einem weltweiten Aktionstag gegen das Vorhaben der Zuchtfarrm für Oktopusse auf Gran Canaria auf. Örtliche Aktivisten können sich über die Email laspalmas@pacma.es mit Pacma vernetzen, um Demos abzustimmen und Material zu erhalten. Die Primatenforscherin und Prinzessin-von-Asturien-Preisträgerin Jane Goodall hat gegenüber der Nachrichtenagentur EFE für ein weltweites Verbot der kommerziellen Zucht von Oktopussen aufgerufen, auf der Plattform change.org gibt es eine entsprechende Petition gegen die Oktopus-Farm auf Gran Canaria.
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