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Panik vor Ostern: Kellner aus Marokko für Spaniens Urlaubsregionen - „Jungen fehlt Passion“

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Von: Marco Schicker

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Eine Kellnerin an einem Strand in Spanien.
Ein Gespenst geht wieder um in Spaniens Gastronomie: Personalmangel. © EFE

Jedes Jahr das gleich vorösterliche Ritual: Zehntausende Köche, Kellner, Hilfskräfte für Spaniens Urlaubsregionen fehlen. Sie sollen nun notfalls aus Marokko oder Flüchtlingsheimen rekrutiert werden. Die Gewerkschaften kontern: Personalnot der Gastronomie ist hausgemacht.

Málaga/Cádiz – „Wir suchen Kellner in Marokko, Gambia oder Südamerika, in jeder Ecke der Welt.“ Man werde „die Horizonte erweitern müssen“, ergänzt Fernando Martínez, Vizepräsident der Gastro- und Hotelvereinigung von Málaga, Mahos, seinen kernigen Satz. Die Idee mit Marokko kam zuerst den Gastronomen von Horeca in Cádiz und wurde begleitet von unschönen Behauptungen, Argumente, die sich auch jedes Jahr wiederholen: junge Spanier hätten keine Lust zu arbeiten, „könnten weder Englisch, noch einen Fisch filettieren“. Die jährliche Oster-Panik geht um bei Spaniens Wirten. 2023 mehr als sonst, denn man erwartet Rekordumsätze schon ab Ende März.

12 Stunden sind ein „Halbtagsjob“: Arbeitsbedingungen in Spaniens Gastronomie vertreiben junge Menschen

Die Betroffenen und die Gewerkschaften fordern hingegen „endlich bessere Bezahlung, menschliche Arbeitszeiten“ und zumindest die Einhaltung der bestehenden Gesetze und Kollektivverträge hinsichtlich Ruhezeiten zwischen Schichten und Überstundenabgeltungen in der spanischen Gastronomie. „Es fehlt kein Personal, es fehlt an Wertschätzung“, so die Gewerkschaftskonföderation UGT. Zwar gilt in Spanien seit über einem Jahr ein neues Arbeitsgesetz, das den „falschen“ befristeten Verträgen den Garaus machen sollte, das hindert aber viele Wirte und Manager nicht daran, regelmäßig Stunden einzufordern, die nicht vertraglich vereinbart sind, um Sozialabgaben zu sparen. Ein Tag hat 24 Stunden, „also sind 12 Stunden ein Halbtagsjob“, lautet ein sarkastischer Kommentar in der Branche. Das Problem: Die Arbeitsinspektion reicht nicht aus, um effiziente Kontrollen umzusetzen, sie sei „unsichtbar“, sagen die Gewerkschaften, „unterbesetzt“ verteidigen sich die Inspekteure.

Kellner aus Marokko für Spanien: Vorbild Gastarbeiter aus der Landwirtschaft - Gesetzlicher Mindestlohn ausgesetzt

Es gehe um abertausende Stellen, die in Spaniens Urlaubsregionen nicht besetzt werden könnten, jedes Jahr seien es mehr. Bars und Restaurants würden die Eröffnung immer mehr nach hinten „verschieben“, weil sie „lieber gar nicht öffnen, als schlechten Service zu bieten“, lamentiert der Präsident von Horeca, Antonio De María und verteidigt die Idee, Ersatz in Marokko zu suchen. Dieser müsste freilich über Kontingente mit dem Innenministerium geregelt werden, wie bei den Erdbeepflückerinnen aus Marokko und anderen saisonalen Gastarbeitern für die die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht gilt. Sogar an Flüchtlingsvereine wie Málaga Acoge wolle man herantreten, erklärt Mahos in Málaga. Über die zentrale Abwicklung würde dann auch „die Einhaltung der Normen garantiert“, ergänzt Mahos, der wohl nicht weiß, welche Fälle von Missbrauch sich mit Gastarbeitern in Spanien abspielen.

Eine Kellnerin hält ein Tablett.
Miese Arbeitsbedingungen und schlechter Lohn: Spaniens Kellner kehren dem Beruf den Rücken. © Ángel García

Was die Gastro-Präsidenten auch nicht verraten: Für die Sonderkontingente in der Landwirtschaft mit Menschen aus sogenannten „Drittstaaten“ ist der gesetzliche Mindestlohn in Spanien außer Kraft gesetzt. Andere Beispiele aus den Vorjahren hätten zudem gezeigt, dass sich die Branche an „stillhaltende“ Mitarbeiter ohne gewerkschaftliche Unterstützung gewöhnt, für die das Ende des Arbeitsvertrages auch die Rückreise in die Heimat bedeutet. So werden von den Vertragsfirmen der Kommunen für die Stranddienstleistungen immer häufiger Rettungssschwimmer aus Argentinien angestellt. Was erst als Notlösung gedacht war, wird nun zur Regel. Die Argentinier sind billig, sprechen Spanisch und sind im Herbst wieder weg, wenn in ihrer Heimat der Frühling beginnt, die Konditionen der spanischen Kollegen wurden einfach an die argentinischen angepasst. Kellner auf Ibiza und selbst die saisonalen Skilehrer in den Pyrenäen schlafen wegen der stark steigenden Mieten quasi auf der Straße.

Gastronomen in Málaga: Kellner verdienen besser als behauptet - es fehlt Leidenschaft

Der Gastronomieverband von Málaga Mahos bemängelt, weder über das Arbeitsamt, noch über Zeitarbeitsfirmen an genug Personal für Service und Küche in Strandbars, Restaurants oder Hotels zu kommen. „Die schlechte Bezahlung ist eine Lüge“, legt Präsident Martínez nach, „1.400 Euro sind im Kollektivvertrag für Málaga verankert“, der „von der großen Mehrheit eingehalten werde“, auch Ärzte und Polizisten arbeiteten an Wochenenden und Feiertagen, wirft er den Kellnern, die seit Corona zu zigtausenden in andere Branchen flohen, indirekt Faulheit vor. Anders als 260.000 Spanier, die im Handel arbeiten, wurde das Einkommen der Kellner und Köche nicht kollektiv an die Inflation angepasst, die Preise der Speisekarten und Hotelzimmer allerdings bis zum Doppelten der Jahresinflation. Woran es fehle, sei „Leidenschaft für den Beruf“, die Pandemie habe „die Mentalität der jungen Menschen verändert“. Selbstkritik hört man von Mahos nicht. Doch Spaniens Kellner sind weiter auf der Flucht.

Roboter-Kellner in einem Lokal in Spanien.
Roboter-Kellner Cacahuete (Erdnuss) im Einsatz in Spanien. © EFE

Allein zur Semana Santa 2023 brauche Andalusien 18.500 Köche und Kellner, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Wenn man Personal aus Marokko holen müsse, solle es qualifiziertes sein, „direkt aus den Hotelfachschulen“, verspricht Horeca in Cádiz, das sich gegen den Vorwurf verwehrt, es würde das „nationale Personal“ nicht schätzen. „Am Ende geht es ihnen nur um Geld“, so eine Vertreterin der Gewerkschaft UGT, „die Arbeitgeber sind für die mangelhafte Ausbildung und Ausdauer des Personals selbst verantwortlich, wenn sie sie erst ausquetschen und dann zu jedem Saisonende auf die Straße setzen“. Auch Personal muss man pflegen, dann lerne es auch Englisch oder einen Fisch zu filettieren.

Zum Thema: Personalmangel in Spaniens Gastronomie - Sind Roboter-Kellner die Lösung?
Statistik macht nicht satt: Einkommen in Spanien.

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