"Ich habe vier Kinder, von einem normalen spanischen Lohn kann ich die nicht ernähren und aufziehen". "Ich bin 50 und verheiratet, ich schaffe an, weil ich keinen anderen Job mehr fand und ein Haus abbezahle". "Wenn sie die Bordelle schließen, landen wir auf der Straße", waren einige der Stimmen, die Reporter auf der jüngsten Demo in Madrid einfingen, zusammen mit der Info, dass Teilnehmerinnen aus Alicante und Murcia mit Bussen anreisten, die ihre Zuhälter und Bordelle bezahlt hatten, samt Tagesgeld.
In einer ersten Abstimmung am 7. Juni 2022 hat das spanische Parlament den Weg Richtung Verbot der Prostitution eingeschlagen. Es ging zunächst nur um einen ersten Schritt, die Anpassung des Paragraphen 187 des Strafgesetzsbuches, um künftig nicht nur gewaltsame Zuhälterei oder die Ausnutzung von Notlagen zur sexuellen Ausbeutung strafbar zu machen, sondern jedwede Form, in der Dritte von sexuellen Dienstleistungen profitieren könnten.
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Das würde bei konsequenter Anwendung das Aus für Bordelle und Zuhälter-"Dienstleistungen" jeder Art bedeuten, darunter aber auch solche Betriebe, die Prostituierte aufgrund des angebotenen Schutzes und der Logistik bis hin zum Marketing als Arbeitsort gegenüber den eigenen vier Wänden oder gar der Straße bevorzugen. Diese agieren schon jetzt in Grauzonen, würden sie tatsächlich geschlossen, würden sich viele Frauen in den berüchtigten "polígonos" wiederfinden, finsteren Industrievierteln ohne Schutz, "en la puta calle", wie es doppelsinnig auf Spanisch heißt.
Menschenhandel, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung usw. sind ohnehin verboten und gehören verfolgt, sagen die Sexarbeiterinnen, zumindest jene, die ihre Stimme hörbar machen können. Nach dem Zuhälter-Gesetz will die Regierung auf die Kunden, die Freier, die "puteros" zielen: Nach dem PSOE/Montero-Entwurf begeht jeder, der die Dienste einer Prostituierten annimmt, eine Verletzung der Menschenrechte, einen Akt der Gewalt gegen eine andere Person und unterstützt damit das ganze kriminelle Umfeld. In einem ersten Entwurf will es die PSOE nicht bei Geldstrafen belassen wie in anderen Ländern, sondern fordert 12 bis 24 Monate Haft.
Die PSOE-Podemos Regierung, die sich die Verbesserung der Frauen- und Minderheitenrechte in ihrer "Fortschrittsregierung" von Anfang an auf die Banner geschrieben hatte und mit LGTBI-, Trans-, Gleichstellungsgesetzen und zuletzt dem sehr wichtigen "Gesetz zur sexuellen Selbstbestimmung" auch einiges voranbrachte, will in weiteren gesetzlichen Vorstößen auch die Kunden, die "puteros", bestrafen. Um, so sieht es zumindest der radikalste Teil der Regierung, die Prostitution ganz zu verbieten und abzuschaffen. Man könne nicht ein "Nur Ja ist Ja" beim Sex beschließen, aber es dann erlauben, dass sich Männer diese Zustimmung erkaufen.
Dass die Realität des "ältesten Gewerbes der Welt" und das Scheitern der Verbotsversuche in anderen Ländern Europas dagegen sprechen, scheint einige der lila Hardliner nicht zu beeindrucken, ebensowenig, dass Teile der eigenen Frauenbewegung und viele in dem Gewerbe Tätige selbst gegen eine Illegalisierung ihrer Dienstleistung sind. Ihnen unterstellen die Fortschrittsbringer eine Art Stockholm-Syndrom, es sei lediglich das Fehlen von anderen, würdevollen Einkommensquellen, was diese Frauen in die Prostitution treibe, die sich ihr Schicksal sozusagen schönreden würden.
Doch sowohl zwischen PSOE- und Podemos-Politikern als auch im Ministerium für Gleichstellung von Irene Montero selbst, gibt es über den gesetzlichen Weg keine Einigkeit, verhärten sich die Fronten wie auf der Straße. Der Hardcore-Teil der Frauenbewegung legt schwerwiegende Argumente gegen die Prostitution vor: in ihrem Schlepptau gedeihen Menschenhandel, Folter, Missbrauch Minderjähriger, illegale Drogen, Geldwäsche. Über 45.000 Frauen in Spanien würden derzeit gegen ihren Willen "vermietet", Spanien sei ein europäisches Zentrum des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung.
"Es gibt keine Freiheit in Bordellen", argumentiert diese Fraktion. Prostitution sei, wie man es drehe und wende, am Ende immer eine Vergewaltigung, immer ein Akt der Gewalt gegen Frauen und alle anderen, die die Prostituion ausüben. Daher sei sie strafbar, daher gehöre Prostitution verboten. Frauenrechtlerinnen ergänzen: und genauso ist es mit der Pornographie, die auch verboten gehöre.
Das stimme alles, doch sei ein Verbot der Prostitution der falsche Weg, gegen das kriminelle Umfeld, die "Zuhälter-Industrie" vorzugehen. "Sie drängen uns in die Illegalität, berauben uns unserer Einnahmequellen, kriminalisieren uns, aber behaupten, sie würden uns helfen wollen". Das sind einige der Argumente, die von Prostituierten häufig zu hören sind, immer lauter in jenen Ländern wie Frankreich oder Schweden, in denen Prostitution noch härteren Regeln, bis zum Verbot, unterliegen. Frauenrechtsgruppen sprechen von der Verweigerung des Grundrechts auf Selbstbestimmung. "Mein Körper gehört mir", dürfe nicht nur für das Thema Abtreibungen oder Euthanasie gelten, sondern müsse auch bei der freiweilligen Prostitution Anwendung finden.
"Es gibt Männer, die nichtmal über Tinder ein Date bekommen, es gibt Männer mit Behinderungen, mit psychischen Störungen. Wir verkaufen ihnen ein bisschen Freude und machen die Straßen auch ein bisschen sicherer", erklärt eine Teilnehmerin der Demo in Madrid. Am gleichen Tag hebt die Guardia Civil ein Bordell in einem Vorort von Barcelona aus, befreit vier Frauen, die dort 24 Stunden "zu Diensten" sein mussten, vier Rumäninnen, unter Drogen gesetzt, die Pässe weggenommen, mit Spuren von Gewalteinwirkung. Zwei davon sind gerade 15 Jahre alt als sie "Freude verkaufen" mussten. Auch die These, das Angebot von käuflichem Sex würde Vergewaltigungen verringern, weil er als Druckventil funktioniert, gilt als widerlegt. Im Gegenteil: Das Bild der Frau als Ware, als Sache als unterwürfiges Objekt, würde die Hemmschwelle eher sinken lassen, abgesehen von der These, dass käuflicher Sex schlechthin eine Vergewaltigung darstelle.
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Rund jeder dritte Spanier habe bereits einmal in seinem Leben für sexuelle Dienste bezahlt, weiß das CIS, das staatliche Zentrum für Soziologische Forschungen, jeder Fünfte mehr als einmal. Geschätzt wird, dass derzeit 4-6 Prozent der Männer in Spanien (sie stellen 99,2 Prozent aller Kunden) aktive Freier sind. Dass Spanien damit weltweit an dritter Stelle stehe, widerlegt das CIS aber als urban legend und ein sich fortpflanzendes Missverständnis einer Statistik. Das CIS will außerdem ein abnehmendes Interesse bei den Jüngeren erkennen, während die Generation 50+ Prostitution als eher normalen Teil des Lebens ansieht.
Die andere Seite der Frauenbewegung fordert das Gegenteil von Verbot, nämlich eine Regulierung des Berufs der Sexarbeiterin, immer und nur dann, wenn sie es will. "Immerhin 150.000 Familien in Spanien leben von den Einkünften aus der Sexarbeit", erklärt die Organisatorin einer "Hurengewerkschaft". Sie sollten sich frei - ohne Vortäuschung anderer Tätigkeiten - als Selbständige anmelden können und Abgaben zahlen, um sozial abgesichert zu sein, auch für das Alter. Sie würden Steuern zahlen, damit aber auch Kosten geltend machen können, Teil der arbeitenden Bevölkerung sein. Auf diese Weise könnten sich Sexarbeiterinnen selbst organisieren und würden aus der "Schmuddelecke" der Zuhälterei entkommen können, ohne selbst als Mittäterinnen strafrechtliche Verfolgung zu riskieren. Doch das neue verschärfte Zuhältergesetz würde schon jene bestrafen, die im Auftrag von Kolleginnen für alle Anzeigen schaltet, Küchenpapier für alle kauft oder eine gemeinsame Wohnung anmietet, lautet die Kritik.
Die hitzige Debatte vor der Abstimmung am 7. Juni im spanischen Kongress, die quasi nur ein Vorgesetz betraf, zeigte dabei die enormen Differenzen auch innerhalb der Fraktionen und Blöcke der politischen Parteien. Das Gesetz von der PSOE fand - bis hierhin - Zustimmung der PP, die sonst gegen alles stimmt, was von der PSOE kommt. Doch die Koalitionspartner von Podemos sind entzwei gespalten, die Republikanische Linke und die liberalen Ciudadanos lehnen den Weg ab. Und sogar die Podemos-Ministerin für Gleichstellung, Irene Montero, sieht sich Rücktrittsforderungen der Frauenrechtlerinnen ausgesetzt, weil sie Zweifel an einem Totalverbot der Prostitution in Spanien äußert. Die Regierung würde als Zuhälter auftreten, so deren "Argumente".
Der Gesetzestext beinhalte nur Bestrafung, berücksichtige aber nicht die Lage der Frauen, die von der Prostitution leben, argumentieren sachdienlichere Kritiker. "Es riecht nach moralinsaurem Verbot", hieß es von einigen Linken, die die Sozialisten fast in die Ecke der Inquisition stellen. "Man könne Prostitution zwar verbieten, aber nicht verhindern und so nur die Bedingungen für die Frauen verschlechtern", lautet der Tenor der Kritiker. Dennoch war die Abstimmung am Ende eindeutig: 232 dafür, 38 dagegen, bei 69 Enthaltungen - die kamen vor allem von Vox-Abgeordneten, die zum Thema Frauenrechte offenbar überhaupt keine Meinung haben oder eine, die nicht mal diese Partei sich mehr traut, offen auszusprechen.