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Godzilla im Guadalquivir: Andalusien privatisiert jetzt auch die medizinische Erstversorgung

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Von: Marco Schicker

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Juanma Moreno am Dia de Andalucia 2021
2021 sang Juanma Moreno noch eine Ode an das öffentliche Gesundheitswesen. Das war vor der Wahl. Jetzt baut er es systematisch ab. © Junta de Andalucía

Eine zunächst geheime Preisliste der Landesregierung bringt ans Licht: Andalusien leitet Steuergelder gezielt auch für medizinische Erstversorung ins private System um. Das schürt, wie in Madrid, die Sorge vor einem Ausbluten der Gesundheitszentren und Ärztezentren und weckt heftige Reaktionen.

Sevilla – Während Andalusiens Ministerpräsident Juanma Moreno am „Andalusien-Tag“ des 28. Februar viele Medaillen überreicht, Fahnen geschwenkt werden und die Hymne erklingt, brodelt es im Landtag. Opposition, Ärzte, Patientenvertreter und Gewerkschaften gehen auf die Barrikaden, am 2. März bereits auch wörtlich bei spontanen Demonstrationen und Warnstreiks. Am 16. März sind in ganz Andalusien Proteste gegen die Gesundheitspolitik der Landesregierung geplant.

„Hätten die Andalusier das vor der Wahl gewusst, hätten sie bestimmt nicht gewonnen“, rufen Ministerpräsident Moreno Abgeordnete der Opposition auf der jüngsten Plenarsitzung im Palacio San Telmo in Sevilla zu, als ans Licht kommt, dass die PP vor den Wahlen still und heimlich eine neue „Preisliste“ für private Gesundheitsversorger verabschiedet hat, die im Auftrag des SAS, der öffentlichen Gesundheitsverwaltung für die 8,4 Millionen Bürger Andalusiens, tätig werden. Das ist nicht unüblich, Krankenhäuser werden nicht immer öffentlich, sondern auch „konzertiert“ betrieben, also von privaten Gesellschaften im öffentlichen Auftrag. Dienstleistungen, die das öffentliche System überlasten, werden ausgelagert, an private Labore, Spezialkliniken, Reha-Anbieter oder Notfalltransporteure.

Medizinische Erstversorgung in Andalusien „in Gefahr“: Landesregierung hofiert privaten Sektor

Demo vor dem Landtag in Sevilla.
Zigtausende protestierten am 19. Februar 2022 in ganz Andalusien gegen die Vernachlässigung des öffentlichen Gesundheitswesens durch die Landesregierung aus PP-Cs unter Duldung von Vox. © UGT

Doch zwei Sachverhalte sind neu und bringen linke und ganz rechte Oppositionen gleichermaßen auf die Barrikaden: Zum Einen stieg die Summe, die mit den Abgaben aller aus dem SAS an die Privaten floss von 94 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 464 Millionen im Jahr 2022, für 2023 sind sogar 558 vorgesehen. Die Zahl der Patienten, die von öffentlich nach privat „ausgelagert“ wurden, „stieg von 560.000 auf über eine Million“, rechnet Maribel Mora von Adelante Andalucía vor. Das sei Anzeichen genug, wie systematisch das öffentliche Gesundheitswesen vernachlässigt werde, trotz der schmerzhaften Lehren vor allem der ersten Wochen der Coronavirus-Pandemie in Spanien. In Städten wie Málaga ist bereits jedes vierte Krankenhausbett privat und damit auch der direkten Kontrolle der Gesundheitsaufsicht entzogen.

Juanma Moreno vor Plänen für ein Krankenhaus in Malaga.
Ebenfalls 2021: Juanma Moreno verspricht „bald“ ein neues öffentliches Krankenhaus für Málaga. Bis heute wird daran nicht gebaut und ob es wirklich öffentlich betrieben wird, ist auch nicht mehr sicher. © Rathaus Málaga/Junta de Andalucía

Doch was die Parlamentarier von PSOE, Adelante und den anderen Oppositionsparteien so gegen die regierende PP aufbringt, ist, dass nun die „Preisliste“ der Junta erstmals um den Posten „Erstversorgung“ erweitert wurde, bis dato aus guten Gründen ein Privileg des öffentlichen Sektors. Danach könnten für die erste Sprechstunde dem SAS 150 Euro in Rechnung gestellt werden, für nachfolgende 90, dann 65, für „komplizierte“ auch 210 Euro. „Damit machen Sie es wie Ayuso in Madrid“, spielt die PSOE-Sprecherin María Ángeles Prieto auf das Chaos an, dass die dortige PP-Kollegin Morenos in der Erstversorgung anrichtet und das Hunderttausende in Madrid auf die Straßen trieb. Moreno räume mit der Preisliste ein, die medizinische Erstversorgung nicht bewältigen zu können oder zu wollen.

„Es gibt daran nichts zu interpretieren, sie wollen die medizinische Erstversorgung privatisieren“, so Adelante, „auch wenn sie erklärt haben, das sei nur für Notfälle gedacht, für Naturkatastrophen, falls ein Meteorit einschlägt oder Godzilla im Guadalquivir auftaucht“, tobt die Linke. Doch tatsächlich sei er, Moreno, der Godzilla. Und es hatte wohl seinen Grund, warum er diese Maßnahme vor den Wahlen geheim hielt und sie erst jetzt, im Rahmen des Budgegesetzes im Amtsblatt einsehbar wurde.

Not in Gesundheits- und Ärztezentren: Abwanderung von Ärzten und Pflegern aus Andalusien beschleunigt

Proteste in Madrid gegen Kürzungen im Gesundheitswesen.
In Madrid gingen bereits bei zwei Demos hunderttausende gegen die Gesundheitspolitik der Landesregierung auf die Straße. In Andalusien wird ebenfalls seit Jahren protestiert. © Manu Fernandez/dpa

Moreno provoziere die Implosion der Erstversorgung in den Gesundheitszentren und consultorios, denn nun könne das SAS jeden Engpass einfach mit Überweisungen aus den Steuern aller an das private Gesundheitswesen überbrücken. Neue Investitionen würden so gefährdet, das Personal, das ohnehin schon prekär beschäftigt sei, werde weiter abwandern, auch Allgemein- und Familienärzte ins private System gelockt. Dabei habe man bei Covid-19 gesehen, wie das private System, auch das in öffentlichem Auftrag, in echten Krisen versage, indem es de natura darauf abziele, so viel wie möglich von den öffentlichen Geldern als Profit bilanzieren zu können. Das gilt nicht nur für private Dienstleister, sondern auch für die im öffentlichen Auftrag von Privaten bespielten Krankenhäuser. Die erhalten eine Kopfpauschale für jeden potentiellen Patienten im Einzugsgebiet, abzüglich der Behandlungskosten und einer Investitionspauschale bleibt der Rest Gewinn. Das öffentliche System könne indes mit fixen Budgets agieren, die nur für die Versorgung vorgesehen sind. Die PP-Politik wolle genau an diese Budgets heran, um sie in private Taschen zu stecken.

Über das neue Vorgehen, den „Anschlag auf die Gesundheitszentren“, gab es keine Verhandlungen mit Berufsverbänden, Gewerkschaften oder Patientenvertretern. Die PP-Sprecherin Beatriz Jurado verteidigte ihren Chef mit der Behauptung, dass „Andalusiens Gesundheitssystem bei allen Parametern besser geworden sei“. Im Übrigen wolle die „Opposition mit ihrem Geschrei nur von der gescheiterten Politik Sánchez‘ ablenken, der 500 Vergewaltiger auf die Straßen gelassen“ habe. Sie solle beim Thema bleiben, erwiderte die Opposition. Moreno habe den Schlüssel des Gesundheitswesen Andalusiens an die Privatwirtschaft verschenkt, so deren Urteil. Das wird zunächst für die Patienten Konsequenzen haben, „aber bald auch wieder auf der Straße und dann an den Wahlurnen“. In Andalusien sind am 28. Mai 2023 allerdings nur Kommunalwahlen, die nächsten Landtagswahlen stehen erst 2026 an, die andalusische Landtagswahl 2022 gewann Moreno mit einer absoluten PP-Mehrheit der Mandate.

Zum Thema: Steuergeschenke für Reiche in Andalusien - Eine Ohrfeige für die Armen.

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