Den meisten Umfragen zufolge rückt das Land nach rechts, in den Regionen Madrid und Andalusien mussten die Sozialisten zuletzt herbe Rückschläge an den Urnen einstecken. Dem konservativen Block aus Volkspartei und Vox fällt es aber schwer, eine parlamentarische Mehrheit zu bilden, zumal die liberale Partei Ciudadanos womöglich nicht mehr ins Abgeordnetenhaus einziehen wird. Ministerpräsident Pedro Sánchez kann sich noch als Krisenmanager profilieren und wird versuchen, den in der Mitte verloren gegangenen Boden wieder gutzumachen. Auf der linken Seite kann die Koalition aus Sozialisten und Unidas Podemos auch mithilfe regionaler, separatistischer und kleiner Linksparteien Mehrheiten bilden. Eine wichtige Rolle könnte die populäre Yolanda Díaz spielen. Die Arbeitsministerin muss sich entscheiden, ob sie für Podemos in den Wahlkampf zieht oder mit dem eigenen Bündnis Sumar.
Die Regierung hat sich einem sozialen Profil verschrieben, 2023 treten eine Reihe von Sozialgesetzen in Kraft, etwa das neue Abtreibungsrecht, das den Schwangerschaftsabbruch erleichtert und in öffentlichen Krankenhäusern ermöglicht. Des Weiteren stellt das Gesetz für sexuelle Freiheit geschlechtliche Beziehungen auf die Grundlage des gegenseitigen Einverständnisses. Bleibt zu hoffen, dass Frauen sich bald sicherer fühlen können. Jüngst zeigen die Fälle von Häuslicher Gewalt, dass diese mit fortschrittlichen Gesetzen allein nicht ausgemerzt werden können – zumindest nicht so schnell wie gewünscht.
Der Ukraine-Krieg hat die Wirtschaft Europas in einen Schock versetzt und eine Inflation, Energie- und Versorgungskrise sondergleichen ausgelöst. Die schlimmsten Befürchtungen sind bisher aber nicht eingetreten. Die Inflation steuert mit 5,8 Prozent dem Niveau von vor der Invasion der Ukraine entgegen. Dennoch hat die spanische Volkswirtschaft ein Milliardenvermögen von etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts verloren und das Land ist ärmer geworden.
Bisher hat weder der Konsum nachgegeben, noch haben sich soziale Dramen abgespielt wie in der Finanzkrise. Doch der Leitzins Euribor erreicht drei Prozent und liegt so hoch wie seit 2008 nicht mehr. Und er wird 2023 weiter steigen und damit die Hypotheken, die keinem Festzins unterliegen. Da kommen 200 Euro pro Monat mehr schnell zusammen – und das kann Familien wohl in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Analysten wie die des El-Cano-Instituts oder der Caixa-Bank rechnen damit, dass 2023 der Konsum nachgibt.
Bislang steuert die Regierung mit Maßnahmen gegen die Folgen der Krise, und der Arbeitsmarkt erweist sich als äußerst stabil. Das Antikrisenprogramm der Regierung kostet aber jede Menge Geld. Die Staatsverschuldung beläuft sich inzwischen auf 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Jahr 2023 wird die Wirtschaftspolitik die Weichen für die Geschicke des Landes bestimmen, auch vor dem Hintergrund der EU-Ratspräsidentschaft und in dem Geflecht der Interessen, die in den südlichen Ländern mit einer moderateren Inflation nicht unbedingt denen im Norden Europas mit zweistelligen Inflationsraten entsprechen.
Spanien muss die Umstrukturierung des Produktionsmodells fortführen. Daran sind alle europäischen Hilfsgelder geknüpft. Spanien hat aus dem europäischen Plan für den Wiederaufbau und Wandel – Plan de Recuperación, Transformación y Resiliencia – bereits 3,1 Milliarden Euro erhalten und nun in Brüssel das Gesamtvolumen des dem Land zustehenden Kredits von 84 Milliarden Euro beantragt. Diese „Next Generation“-Fondsgelder fließen in den Ausbau digitaler Infrastrukturen. Allein 26 Milliarden Euro sollen in strategische Projekte für den wirtschaftlichen Aufschwung und Wandel (Perte) fließen, wie etwa die Batterienfabrik für Elektrofahrzeuge, die in Sagunt gebaut werden soll. 30 Prozent der Fondsgelder fördern Investitionen und Innovationen in Bereichen wie Sprachdienste, Gesundheitswesen, Raumfahrttechnik und Lebensmittelindustrie. Die Digitalisierung soll eine Trennung von fossilen Brennstoffen in Produktionsprozessen erleichtern, sie ist also eng mit Erneuerbaren Energien verknüpft. Es fließen daher auch Gelder in die Förderung von grünem Wasserstoff und Speichermöglichkeiten, in den Wasserkreislauf und die Dekarbonisierung der Industrie.
Ferner kooperiert Spanien mit anderen EU-Ländern bei der Entwicklung von Mikrochips. Auch die Einrichtung einer europäischen Cloud, die Verstärkung der Sicherheit im Internet und des Datenschutzes spielen im Hinblick auf die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte eine Rolle. Gleiches gilt für die künstliche Intelligenz und die Erforschung sozialer Auswirkungen von Algorithmen. Ferner will sich Spanien für Kabelverbindungen unter Wasser zum Transport von Daten stark und das Land zu einem Zentrum für den audiovisuellen Sektor machen.
Das Start-up-Gesetz soll sowohl die Expansion spanischer Firmen im Ausland stärken als auch ausländische Investitionen und Talente ins Land locken, indem die Gründung und Ansiedlung hochspezialisierter Firmen im digitalen Bereich gefördert wird. Diesbezüglich muss Spanien nachbessern. Mit dem 16. Platz im europäischen Ranking innovativer Mitgliedsstaaten kann das Land nicht zufrieden sein.
Vielversprechend ist die Entwicklung des Tourismus. 46 Millionen ausländische Touristen haben Spanien im zweiten und dritten Quartal besucht und damit nur zwölf Prozent weniger als in dem Rekordjahr 2019. Die Reiselust scheint also ungebrochen. Sorgen macht allerdings die Entwicklung der Covid-19-Pandemie in China. So werden seit 31. Dezember Reisende aus China an den spanischen Flughäfen kontrolliert, ob sie mit dem Coronavirus infiziert sind.