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Abtreibung in Spanien: Zwischen Recht und Stigma

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Von: Stephan Kippes

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Junge Frau sitzt in der Schwangerschaftsberatung.
Freie Entscheidung oder Gewissensfrage? Abtreibung ist in Spanien zu einem politischen Streitthema geworden. © Marijan Murat/

Abtreibung soll in Spanien allein die Entscheidung der Frau sein. Die rechte Partei Vox aber will Frauen ins Gewiss reden. So sollen sie den Herzschlag des Ungeborenen anhören.  

Madrid – Wieder einmal streiten die Männer, wie Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft umgehen sollen. So hat die rechtskonservative Regierung in Kastilien und León ein Protokoll angekündigt, laut dem alle Ärzte in der Region Frauen vor einer Abtreibung empfehlen müssen, sich die Herzschläge des Fötus anzuhören, ein 4D-Ultraschallbild des ungeborenen Kindes anzuschauen und psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen. Ein Frontalangriff gegen das Abtreibungsrecht in Spanien und laut Gesundheitsministerin Carolina Darias ein „Anschlag auf die Frauenrechte“.

Abtreibung in Spanien: Ministerpräsident Sánchez will gegen Anti-Abtreibungsprotokoll vorgehen

Die Madrider Regierung will „mit allen nötigen Maßnahmen“ gegen das ominöse Abtreibungsprotokoll von Volkspartei und Vox vorgehen. Ministerpräsident Pedro Sánchez hat zwei offizielle Abmahnungen – requerimiento genannt – nach Valladolid geschickt. So setzt er das Verfassungsgericht auf das Anti-Abtreibungs-Protokoll an, das noch kein Arzt gesehen hat und das auch noch in keinem Staatsanzeiger veröffentlicht wurde. Die Volkspartei spricht von „Geister“-Abmahnungen.

Die Geister riefen Vox und der Vizeregierungschef der Region, Juan García-Gallardo. Am Wochenende lief der 31-jährige Jurist forsch in Lederjacke und mit Helm beim Pinguin-Motorradtreffen in Valladolid auf und wollte die Ärzte am Montag „verpflichten“, Frauen auf diese Weise von der Abtreibung abzubringen. Ein Vox-Parteisprecher sprach vom Leben als Gegenmittel zur „Kultur des Todes“. Auf dieser strammen Linie bewegt sich in Spanien nur noch die Bischofskonferenz, die Abtreibung nicht als ein Recht anerkennt und in einem Rundbrief vor Gesetzen warnt, die Vernunft, Natur und Leben zuwiderlaufen.

Abtreibung in Spanien: Reform des Abtreibungsrechts überlässt Frauen die Entscheidung

Ein Streitpunkt aber lässt sich wohl auf die Reform des Abtreibungsrechts herunterbrechen. Das überlässt Frauen die Entscheidung, ob sie das Kind austragen möchten oder nicht. Mädchen ab 16 Jahren können in den ersten 14 Wochen ihre Schwangerschaft ohne Einverständnis der Eltern in einem Krankenhaus beenden. Dezent und in geschlossenen Umschlägen sollen Frauen Informationen über Beratungsmöglichkeiten und Hilfen erhalten, die sie in Anspruch nehmen können. Niemand aber „redet“ ihnen ins Gewissen, wie es Vox will.

Am Freitagmorgen rief eine Frau im Radio RTVE1 an und erzählte, sie wohne auf einem Dorf in Kastilien-León und benötige Behandlung in einem öffentlichen Gesundheitszentrum., das 30 Kilometer entfernt liegt. Dort stellte man fest, dass sie eine Röntgenaufnahme benötige, für die keine Gerätschaften zur Verfügung standen. So gab man ihr einen neuen Termin für das nächstgelegene, aber noch weiter entfernte Gesundheitszentrum. Gleichzeitig musste der Hund der Frau zum Tierarzt wegen einer Verletzung am Hinterlauf. Wie sich das gehört, verfügte der Tierarzt über ein Röntgengerät, das das öffentliche Gesundheitswesen der Frau als Steuerzahlern nicht zur Verfügung stellt. „Sie sollten lieber Röntgengeräte kaufen, anstatt Frauen zu quälen“, meinte sie.

Abtreibung in Spanien: Protokoll in Kastilien-León soll angeblich keine Frauenrechte verletzen

Als eine Maßnahme zur Förderung der Geburtenrate will der Ministerpräsident der Region, Alfonso Fernando Fernández Mañueco (PP), dieses Protokoll verstanden wissen. Es verletze nicht die Frauenrechte. „Es ist ein Angebot. Die Frau muss es ausdrücklich wünschen und medizinische Kriterien müssen berücksichtigt werden.“ Je stärker der Gegenwind von der Regierung und der eigenen Volkspartei in Madrid ihm ins Gesicht blies, desto heftiger ruderte er zurück, bis er sagte, dass es „überhaupt keine Änderung zum bereits bestehenden Protokoll“ geben soll. Damit trat er Vox kräftig gegen das Schienbein. Die Rechtspopulisten sprachen von einem unterzeichneten Abkommen und wollen die Koalition auf den Prüfstand stellen, sollte das Protokoll nicht bald umgesetzt werden.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Koalition der PP und Vox. Ministerpräsident Pedro Sánchez warnte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor Bündnissen zwischen Konservativen und Rechtsradikalen und stempelte sie als antieuropäisch ab. Und auch in der Madrider Volkspartei wächst das Unbehagen. Der Madrider Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida (PP) zweifelt, ob Vox „die politische Reife“ mitbringt, die er für eine Regierungstätigkeit für notwendig hält.

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