Hier kommt die Sonne: Spaniens Arbeitsmarkt zwischen Hoffnung, Krisen und Wahlkampf - Aktuelle Daten

Spaniens Arbeitsmarkt 2023 ist nicht so schlecht, wie die Opposition ihn macht und lange nicht so gut, wie die Regierung ihn hochjubelt. Es gibt mehr fixe Verträge, höhere Löhne - und das „Land der Kellner“ entdeckt neue Industriezweige. Dennoch hat Spanien die höchste Arbeitslosenrate der EU.
Madrid - Geht es nach den Prognosen der Arbeitgeberverbände, müssten in Spanien Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben, seit die „Sozialisten“ in der Regierung in Madrid den Mindestlohn zum Jahresanfang 2023 ein weiteres Mal angehoben haben, - gegen ausdrücklichen Rat, Flüche und Gebete der Arbeitgeber. 14 mal im Jahr 1.080 Euro (brutto) für eine Vollzeitstelle als gesetzliches Mindestsalär haben die spanische Wirtschaft überraschenderweise nicht abgewürgt.
Im Gegenteil, der heilige Geist der Semana Santa und die sehr, sehr sonnige Aussicht auf einen touristischen Rekordsommer 2023 in Spanien sowie massive Investitionen in Grüne Energien, Wasser, Logistik und digitale Technologien mit Hilfe des Post-Covid-EU-Aufbaufonds führen zu einem relativ stabilen, in manchen Bereichen sogar dynamischen Arbeitsmarkt, obwohl die Regierung bei einer Arbeitsmarktreform die Möglichkeiten des „Hire and fire“ durch befristete Arbeitsverträge stark beschränkt hat.
Arbeitsmarkt Spanien: Mehr und bessere Arbeitsplätze, trotz massiver Krisen auch 2023
„Alles nur Saisoneffekte“ kontert die freundlichere bürgerliche Landeshälfte rund um die dauerwahlkämpfende Volkspartei PP, während die Ultras von den nicht mehr so hinteren Bänken alles als kommunistischen Lug und Trug bezeichnen. Die neuen „fijos discontinuos“ (unbefristete Arbeitsverträge mit saisonalen Unterbrechungen), würden die Statstik schönen. Da war doch früher alles einfacher, als man die Kellner gegen Ende August einfach mit einem Tritt auf die Straße befördern konnte und das dann auch in der Statistik sah. Der „beste Arbeitsmarkt seit 2008“ rechnet sich die Regierung die Lage schön.

Es sind rituelle Formeln, beide Seiten haben Recht und auch wieder nicht, je nachdem auf welchem Podest man steht oder welcher Wolke man schwebt. Zusammengefasst lässt sich sagen, in fünf Jahren Sánchez hat sich die Qualität und Sicherheit der Arbeitsverträge leicht verbessert, die Zahl der Beschäftigten zeigt auch saisonbereinigt eher nach oben, strukturelle Krisen der Marktwirtschaft und ungeplante Katastrophen (Covid, Krieg, Energiekrise, Inflation) und obenauf eine Jahrhundert-Dürre, die Spaniens Landwirtschaft und Tourismus gleichermaßen bedroht, machen regelmäßige teure Striche durch die Rechnung und lassen am Horizont sehr dunkle Wolken aufziehen.
Spanien erlebt auf der anderen Seite teilweise eine Art Reindustrialisierung, vor allem auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien, die einen gigantischen Boom erleben, nicht nur bei Windkraft und Solarenergie, auch bei grünem Wasserstoff, bei dem Spanien eine führende Rolle in Europa spielen könnte. Auch die Elektromobilität schafft Arbeit in Form von Batteriefabriken, allerdings sind Autohersteller scheue Rehe, es wäre fatal, die ökonomische Entwicklung des Landes auf Autos zu errichten, seien sie auch noch so elektrisch, zumal die Nachfrage nach Elektroautos in Spanien sehr bescheiden bleibt.
Aktuelle Arbeitslosenzahlen Spanien im April 2023
Zu den aktuellen Zahlen am spanischen Arbeitsmarkt vom Statistikamt INE: Im April 2023 fanden in Spanien 238.436 Menschen einen Job, die Arbeitslosigkeit sank um 73.900 Personen, das heißt der Arbeitsmarkt aktivierte auch rund 150.000 Personen, die vorher keinen sozialversichrungspflichtigen Job hatten oder aus anderen Gründen nicht „im System“ waren. Zum 30. April 2023 waren in Spanien 2,78 Millionen Menschen als arbeitslos registriert (12,8 Prozent der aktiven Bevölkerung), so wenige wie seit 2008 nicht mehr, bevor die Immobilien- und Finanzkrise mit bösartiger Wucht auf den Arbeitsmarkt durchschlug. 20,6 Millionen Spanier (von 47,4 Millionen Bewohnern) sind in der Seguridad Social, das sind ebenfalls so viele, wie nie zuvor, 128.800 mehr als vor einem Monat. Die Zahl der arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahre sank um fast 20.000 auf historisch niedrige 195.000, Spanien ist erstmals bei der Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr EU-Schlusslicht (siehe unten).

Die größten Jobmotoren in absoluten Zahlen waren im April Andalusien, Katalonien und Castilla-La Mancha, 45,8 Prozent aller neuen Arbeitsverträge sind „unbefristet“, auch das ein Höchstwert. Laut Sozialversicherung liegt der Gesamtanteil der befristeten Verträge bei 14 Prozent, gegenüber 30 Prozent vor der jüngsten Arbeitsmarktreform der spanischen Regierung. Das Arbeitsministerium fasst einen „fantastischen Jahresbeginn“ zusammen, seit Januar wurden 480.000 Jobs in Spanien geschaffen, Jobs im High-Tech-Bereich legten um 20 Prozent zu, was belege, „dass diese Regierung Qualitätsarbeit schafft“. Das könne auch so weitergehen, Brüssel prognostiziere Spanien in einer „konservativen Schätzung“ 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze bis 2026, „bei Kontinuität in der Arbeitsmarktpolitik“, eine Umschreibung für „Wählt Sánchez!“.
Löhne, Jugend, Perspektiven: Probleme des spanischen Arbeitsmarktes
Wie heißt es so schön im Götz von Berlichingen: Wo viel Sonne ist, ist starker Schatten. Dass wegen der Teuerung immer mehr statt weniger Menschen mit ihrem Geld nicht bis ans Monatsende kommen, sollten die mit den Arbeitgebern ausmachen, ließ das Ministerium durch die Blume wissen. Bereits am 1. Mai machten die Gewerkschaften klar, dass der Wahlkampf-Herbst in Spanien ein heißer werden wird. Demos und Streiks für höhere Löhne in Spanien sind angekündigt. Und auch der Arbeitsmarkt ist, trotz positiver Entwicklungen, bei näherer Betrachtung noch immer eine Katastrophe:

Spanien hat die höchste Arbeitslosenquote in der EU (12,8 Prozent) und liegt bei der Beschäftigungsquote mit 74 Prozent im unteren Drittel zwischen Polen und Bulgarien auf Rang 22 der 30 EU- und EWR-Staaten. Schlusslichter sind bei der Beteiligung am Arbeitsmarkt Griechenland, Rumänien und Italien, die höchsten Beschäftigungsraten weisen Island, Niederlande und Schweden auf. Spanien gewinnt hingegen die Bronzemedaille im Bereich der Geschlechterschere, die Beschäftigungsquote zwischen Männlein und Weiblein liegt in Spanien über 10 Punkte auseinander, auch das wird nur von den traditionellen Mit-Machos in Griechenland und in Italien getoppt. Allerdings sollte man betrachten, woher die Spanier kommen: 2012 schlossen sie mit fast 6 Millionen Arbeitslosen und einer Quote von über 26 Prozent ab, heute sind es weniger als halb so viele Arbeitslose, 2,79 Millionen.

Griechenland ist auch das einzige Land, das bei der Jugendarbeitslosigkeit (15-24-Jährige) noch schlechter (29,7%) da steht als Spanien mit seinen beschämenden 29,3%. Schweden ist mit 23,7 Prozent ein skandinavischer Ausreißer, was mit der verfehlten Integrationspolitik der vergangenen Dekade begründet wird, in Italien sind es 22,2, beim Nachbarn Portugal „nur“ 18,8 Prozent, übrigens ebensoviel wie in Luxemburg, dem laut PIB und Einkommen reichsten Land Europas. Es ist eben nicht für alle Gold, was glänzt. Die jungen Spanier müssen eigentlich auch gar nicht arbeiten, sondern nur die „Kommunistin“ Yolanda Díaz mit ihrer neuen Bewegung „Sumar“ wählen. Sie hat als Wahlversprechen ausgegeben, jedem Spanier, der 18 Jahre alt wird, ein „Universalerbe“ in Höhe von 20.000 Euro als Starthilfe auszuzahlen. Eine Art bedinungsloses Grundeinkommen auf einen Schlag.
Vielleicht wären kleinere Brötchen (die sich auch nicht alle leisten können) erstmal realistischer: Beim gesetzlichen Mindestlohn liegt Spanien seit Januar 2023 mit 6,55 EUR pro Stunde auf Rang 8 in der EU, knapp hinter Slowenien (6,96), aber deutlich vor Portugal (4,50 Euro) oder gar den Schlusslichtern Rumänien, Ungarn, Bulgarien, die nur zum Teil niedrigere Lebenshaltungskosten aufweisen. Der beachtliche Anstieg des gesetzlichen Mindestlohnes in Spanien auf fast 60 Prozent des Durchschnittseinkommens ist eines der größten Verdienste der Regierung Sánchez, wird aber fast selbstverständlich hingenommen, obwohl allen klar sein dürfte, dass es mit einer regelmäßigen Anpassung an die tatsächliche Teuerung für die Rentner oder einer generellen weiteren Steigerung des Mindestlohns bei einem Machtwechsel bei den Parlamentswahlen in Spanien im Dezember 2023 zur PP vorbei sein wird. Und auch erben werden dann vor allem wieder nur jene, die schon jetzt zu viel haben.
Zum Thema: Statistik macht nicht satt - Interessantes zu den Einkommen in Spanien.