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Großes Filialen-Schließen der Banken in Spanien: Chance oder Ausgrenzung?

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Von: Sandra Gyurasits, Stefan Wieczorek

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Menschen mit Corona-Masken stehen vor einer Bankfiliale.
Bankfilialen sind in Spaniens Vierteln und Dörfern nicht zuletzt wichtige Anlaufstellen für Senioren. © Ángel García

Nur noch 18.600 Bankfilialen sind in Spanien in Betrieb. Die Zahl fällt rasant, zum Ärger vor allem älterer Bewohner. Die Finanzbranche jedoch sieht den Wandel als Chance.

Valencia – Unaufhaltsam schreitet er voran. Der große technische Wandel, der alle Bereiche des Lebens ins Format eines kleinen rechteckigen Smartphones packt. In vollem Gange ist auch in Spanien die Transformation, die gerade in finanziellen Bereichen ein räumlicher Umzug ist. Banken etwa sind nicht mehr dasselbe, was sie mal waren. Das können sogar jüngere Menschen sagen, die noch erlebten, wie sich in ihren Orten an der Costa Blanca oder Costa del Sol Filiale an Filiale reihte, BBVA, Sabadell, Santander und wie sie alle heißen. Vielerorts ist das vorbei, – für immer, wie es scheint.

Spaniens Banken: Großes Filialen-Schließen betrifft Senioren besonders

Nicht erst seit Corona macht sich in Spanien der große Auszug der Geldinstitute aus dem analogen Raum besonders bemerkbar: Einerseits, weil noch vor einigen Jahren, bis zum Platzen der Immobilienblase, Banken so ein dominantes Element des spanischen Stadtbildes - ob Andalusien oder Valencia - waren. Andererseits, weil sie gerade in den vielen entlegenen Orten des Landes wichtige Anlaufstellen vor allem für ältere Bürger waren und ihr Fehlen nun große, auch soziale Lücken aufreißt.

„Digitale Prozesse in den Alltag einfließen zu lassen ist in Wirklichkeit eine Chance, die eigene Erfahrung auf finanzieller Ebene zu verbessern““

Juan Ferrer, Hauptgeschäftsführer des Hypotheken-Vermittlungsunternehmens Hipoo

Vor 40 Jahren, als Spanien demokratisch die 80er Jahre begrüßte, standen 27.700 Zweigstellen zur Verfügung, von denen jede jeweils 1.363 Bürger versorgte – wohlgemerkt mit zehn Millionen weniger Bewohnern im Land als heute. 2008 war der Gipfel erreicht, als der offizielle Zensus 46.100 Filialen aufwies. Doch mit der Wirtschaftskrise brach die physische Bank zusammen: Um 27.600 fiel die Zahl auf nur noch 18.600. In einer Autonomen Region wie der Comunidad Valenciana schlossen allein in den vergangenen zehn Jahren 2.200 Bankfilialen. 1.700 sind nur noch übrig, also eine pro 2.900 Bürger.

Längst an digitale Bank gewöhnt: Inklusiver Wandel möglich

Es sind Umbrüche, die im Leben eigentlich jedes Menschen Spuren hinterlassen. Wie man diese Spuren wertet? Daran scheiden sich auch in Spanien die Meinungen. Im Alltag wird man traurige Gesichter – oder zumindest resignierendes Achselzucken – antreffen, wenn das eigene Viertel, oder sogar der ganze Ort an der Costa Blanca oder Costa del Sol von einem Tag auf den anderen ohne Bankfiliale dasteht. Andererseits hat der Bürger sich längst an die neue finanzielle Realität gewöhnt. Fast 70 Prozent der Internetnutzer in Spanien – so der think tank Fucas – haben 2021 regelmäßig Online-Banking genutzt.

Akteure im Finanzwesen blicken dem digitalen Wandel dann auch eher positiv statt mit Pessimismus entgegen. Eine inklusive Modernisierung des Bankenbereichs, die auch Senioren entgegenkommt und mitnimmt, schwebt etwa Juan Ferrer vor, Hauptgeschäftsführer des Hypotheken-Vermittlungsunternehmens Hipoo. „Die Digitalisierung und die Fusionen der Banken sowie die Pandemie sind die drei Säulen, auf denen die Filialschließungen der letzten Jahre basieren“, erklärt Ferrer.

Branche geht Missstände an: „Soziale Verpflichtung der Bank“

Rückgangszahlen, wie die oben genannten, geben laut des Hypotheken-Experten „Raum für zwei Interpretationen: Zum einen gibt es die klare Richtung zu einem immer digitaleren Banksektor. Zum anderen entsteht mit den Schließungen und dem Wegfall vieler gewohnter Dienstleistungen eine Kluft“. Ja, das Problem, dass Menschen sich durch die technische Wende ausgeschlossen fühlten, existiere, räumt Juan Ferrer ein. Doch die Branche der Geldinstitute sei bereits voll dabei, die Missstände anzugehen und den Schwächeren unter die Arme zu greifen.

„Man muss die aktuellen Umstände nutzen und auf effektive Weise die digitalen Vorteile einsetzen“, so der Hypothekenvermittler. Gerade die Stärke des digitalen Zweigs, Prozesse und Abläufe zu vereinfachen und Kräfte zu sparen, könne Nutzern entgegenkommen. Bezüglich der digitalen Kluft verweist Ferrer auf den Gipfel der drei führenden Bankenpatronate AEB, Ceca und Unacc mit dem Ministerium für Digitalen Wandel. Auf Betreiben sozialer Kollektive wurde dabei neulich ein „Strategisches Protokoll zur Stärkung der sozialen und nachhaltigen Verpflichtung der Bank“ unterschrieben.

Kritiker sollte umdenken: Aber Kritik wächst

Auch Menschen, die noch eine Ablehnung gegenüber der Internetbank empfinden, sollten umdenken: „Digitale Prozesse in den Alltag einfließen zu lassen ist in Wirklichkeit eine Chance, die eigene Erfahrung auf finanzieller Ebene zu verbessern“, sagt Ferrer und lobt das wachsende Unternehmensnetz, das sich in der Online-Sphäre bildet. „Das Ziel dieser Unternehmen ist es, sich der neuen Technologie zu bedienen, um das Leben der Nutzer bequemer zu machen und mögliche Fehler analoger Vorgänge auszugleichen“, heißt es seitens Hipoo positiv.

Es sind Argumente, die sicher all die Nutzer überzeugen, die seit Jahren keine Bankfiliale mehr von innen gesehen haben. Aber es gibt eben auch noch die anderen, denen die physische Präsenz des Instituts, dem sie ihren Geldbesitz anvertraut haben, am Herzen liegt. Kritik am vermeintlich rücksichtslosen Rückzug der Banken in die digitalen Sphären äußern auch immer wieder Residenten an unseren mediterranen Küsten. Zum Thema: Ärger mit spanischer Bank: Kontoauflösung als Odyssee

Ärger mit der Bank: „Null Dienstleistung“

Die Deutsche Heidi Winkelmann aus dem andalusischen Fuengirola etwa kann mit dem Online-Banking nicht viel anfangen. „Während der Corona-Krise habe ich viel online bestellt und schlechte Erfahrungen gemacht“, erzählt die 65-Jährige. „Von meinem Konto wurde Geld abgezwackt, seitdem mache ich kein Online Banking mehr.“ Das habe ihr jedoch eine Menge Ärger mit ihrer Bank eingebracht. Zum einen ist da das Problem ihres Umzugs aus Torre del Mar.

Noch ist es der deutschen Residentin in Spanien nicht gelungen, sich bei der Filiale der Banco Sabadell – deren Kundin Winkelmann ist – im neuen Wohnort anzumelden. Immer wieder – etwa, als sie um Kontoauszüge der letzten drei Monate bittet – werde sie mit dem Hinweis abgewiesen, das online selbst zu erledigen. Ähnliches passierte ihr, als sie verlorene Bankkarten neu beantragen wollte. „Es war nicht möglich, die neuen Karten nach Fuengirola geschickt zu bekommen. Ich sollte mich an Torre del Mar wenden.“ Was Heidi Winkelmann sehr verärgert, ist die „Null Dienstleistung der Bank“.

Eine Dame steht am Schalter einer Bank mit einem Angestellten.
Bankfiliale in Spanien: Der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch wird immer seltener. © Ángel García

Für jede Frage benötige man einen Termin, den man online beantragen müsse. „Und wenn man anruft, kommt man nicht durch“, beklagt sie. „Es gibt ja nur ein Telefon für zehn Mitarbeiter.“ Vor der Bank in Fuengirola stünden die Kunden Schlange „und die Filiale öffnet auch mal 20 Minuten später als angezeigt“, sagt Winkelmann und klagt: Gerade die Älteren würden durch den Bankenwandel diskriminiert.

Widerstand meist zwecklos: Große digitale Strategie

Es ist keine Einzelmeinung. Seit Beginn 2022 ist in Spaniens Regionen von verstärkten Protesten gerade älterer Bewohner die Rede. Hin und wieder gelingt es, eine Filiale zum Ausweiten von Öffnungszeiten zu bewegen. Meist jedoch bleibt der Widerstand vergebens, selbst wenn die Ortsregierung eingreift. 2022 war dann auch das Jahr, in dem 6.030 Angestellte allein der großen Banken Santander, BBVA, CaixaBank, Sabadell, Unicaja und Bankinter ihren Job verloren, da – im Sinn der digitalen Strategie – seit dem 1. Januar 1.200 Zweigstellen für immer ihre Türen schlossen.

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