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Spanien in der Energiekrise - Wer kann das noch bezahlen?

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Nächtliche EInkaufsstraße in Madrid.
Es sieht finster aus für viele Kleinunternehmer, die unter den hohen Stromkosten leiden. © Isabel Infantes/dpa

Spaniens Regierung steuert mit Maßnahmen der Energiekrise entgegen. Kleinunternehmer treiben die hohen Stromkosten indes an den Rand des Ruins.

Alicante/Murcia/Málaga – Nein, die Milch ist nicht sauer geworden in der Bar Dianense in Dénias Altstadtmeile Calle Loreto. Vielmehr setzt die Stromrechnung Inhaber Francisco Rodríguez Campos einen bitteren Gesichtsausdruck auf. Wieder 250 Euro im Monat mehr für den Kleinunternehmer aus Spanien.. „Das ist nicht mehr ertragbar“, meint er. Sein Kollege vom Restaurant El Canto in derselben Straße ruft gleich die Stromrechnung auf dem Handy auf – stolze 3.020 Euro für den Monat Juli. „40 Prozent mehr“, meint Pavlin Penev Ivanov. Wie viele Essen mehr muss ein Restaurant verkaufen oder wie viele Autos mehr eine Werkstatt reparieren, um das abfangen zu können?

Energiekrise in Spanien: Kleinunternehmer und Haushalte klagen über Kosten für Strom

Erst stimmten die Stromkunden ihr Klagelied an, die im staatlich regulierten Tarif den monatlichen Schwankungen ausgesetzt waren. Peu à peu laufen nun auch die Jahresverträge auf dem freien Strommarkt aus, und bei den neuen Tarifen schlägt die Energiekrise in den Haushalten voll durch. „Heute kam die neue Rechnung, 313 Euro, die Gasumlage war 120 Euro und wir zahlen 0,17 Euro pro Kilowattstunde. Wer kann das noch bezahlen?“, meint Inge Bengel. Ihre Tarife bei Iberdrola unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Energiekonzerne. Bei Repsol stieg einer der jetzt angebotenen Tarife bei Vertragsänderung von 0,14 auf 0,27 Euro pro Kilowattstunde. Mit so einer Preiserhöhung kann man Geld verdienen.

Lange kann es nicht so weitergehen. Das weiß die Regierung in Madrid, das weiß auch die EU-Kommission in Brüssel. „Wir haben noch einen Festvertrag und ohne diesen Contrato Fijo wäre es bei diesen Preisen unmöglich, eine Kfz-Werkstatt mit Hebebühnen und anderen Maschinen, die viel Strom brauchen, am Laufen zu halten“, meint José Enrique González von der Kfz-Werkstatt Taller Quique in Finestrat.

Madrid steuert mit Mehrwertsteuersenkungen auf Gas und Strom gegen, der Gaspreis wird obendrein in Spanien und im Nachbarland Portugal gedeckelt. Die „bösen“ Energiekonzerne werden mit der Übergewinnsteuer abgestraft, die Banken auch. Die Möglichkeiten, den Strompreis zu beeinflussen, sind begrenzt. Und so wird Benzin subventioniert und Energiesparpläne werden aufgestellt. Ladenbesitzer sollen Klimaanlagen runterfahren und ihre Ladentüren schließen. „Man merkt schon die ersten Energiesparmaßnahmen wie zum Beispiel Lichtschalter mit Abschaltautomatik im Lager oder eine reduzierte Beleuchtung im Verkaufsraum“, sagt etwa Fernando Ayela, Mitarbeiter im Installationsladen Salvador Escoda in Finestrat.

Energiekrise in Spanien: Viele Maßnahmen mit begrenzter Auswirkung auf Kosten für Strom

Die Türen stehen aber in vielen Geschäften Dénias sperrangelweit auf und die Klimaanlage läuft auf Hochtouren – man will Kunden ja willkommen heißen, und schwitzen sollen sie auch nicht. So richtig beißt keine Maßnahme gegen die hohen Energiepreise an, weder vonseiten der Regierung, aber auch noch nicht von der Wirtschaft.

Auch die EU-Kommission will nun die Strom- und Gaspreise senken und den Energiekonzernen die übermäßigen Gewinne abschöpfen, um Verbraucher und Unternehmen zu entlasten. 140 Milliarden Euro soll die Umsetzung der geplanten EU-Verordnung bringen. Das hätte man schon vor einem Jahr haben können, als Madrid darauf drängte, in den Strommarkt einzugreifen.

„Für uns kleine Unternehmer wird die Situation unhaltbar. Große Konzerne können solche Preisanstiege wesentlich besser abfangen, die haben den längeren Atem, der uns bald ausgeht“, meint José Manuel, der in einer Fabrik für Lederwaren im Industriegebiet von Finestrat arbeitet.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Grundzüge der Verordnung vor. Demnach sollen die Marktlagengewinne, auch Zufallsgewinne genannt, von günstig produzierenden Kraftwerken abgeschöpft werden. Das geschieht, indem die Einnahmen von Wind- und Photovoltaik-Kraftwerken sowie Atom- und Kohlekraftwerken in der EU bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden. Die Differenz zwischen Marktpreis und Obergrenze soll von den nationalen Regierungen für Entlastungsprogramme genutzt werden.

Spanien in der Energiekrise: Madrid drängt seit einem Jahr auf Eingriffe in Strommarkt

Noch hat in der Geschichte der EU keine geplante gemeinsame Steuer zum Schluss so ausgesehen, wie sie von der EU-Kommission am Anfang vorgeschlagen wurde. Was Brüssel vorgibt, und die Staats- und Regierungschefs dann beschließen, sind oft zwei unterschiedliche Dinge. Entsprechend groß ist die Skepsis in Madrid, ob die EU wirklich den „spanischen Weg“ einschlägt.

Lange vor dem Ukraine-Krieg – der Poolpreis für Strom auf dem iberischen Strommarkt war auf die neue Rekordhöhe von 150 Euro pro Megawattstunde gestiegen – hatte die Regierung mit Steuersenkungen auf die steigenden Strompreise reagiert. In einem Schreiben an die EU-Kommission warnten Wirtschaftsministerin Nadia Calviño und Energieministerin Teresa Ribera vor der Entwicklung.

Die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie sowie die Klimaziele in der EU seien in Gefahr. Beide plädierten für Eingriffe in den europäischen Energiemarkt. „Wenn die Spielregeln auf europäischer Ebene gelten, muss das Gleiche auch für die Heilmittel gelten“, hieß es damals. Ohne Erfolg. Erst der Ukraine-Krieg und die explosionsartig steigenden Gaspreise brachten ein Umdenken.

Doch vor regulierenden Eingriffen in den gemeinsamen Energiemarkt scheute man sich zunächst weiterhin. Es kostete Spanien und Portugal einige Kraftanstrengungen, um im März dieses Jahres beim EU-Gipfel wenigstens die Gaspreis-Deckelung in der Stromproduktion auf dem iberischen Strommarkt genehmigt zu bekommen.

Zehn Schreiben und einen Sommer später hat sich die Energiekrise in Europa so zugespitzt, dass die Belastungen für Bürger und Unternehmen nicht mehr tragbar sind. Die aktuellen Energiepreise sind nicht bezahlbar und heizen obendrein die Inflation an. Jetzt vollzieht die EU-Kommission eine 180-Grad-Wende und spricht von „Notfall-Intervention“.

Das ist es in der Tat. Denn in Madrid bilden sich wieder die ersten Schlangen vor den Lebensmittel-Ausgabestellen der Hilfswerke, diese berüchtigten „colas del hambre“ aus der krudesten Zeit der Corona-Pandemie. Dem Land steht ein langer und harter Winter bevor.

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