Mit dem Post-Covid-Boom, Putins Krieg und den Spekulanten im Schlepptau kamen zunächst Rekordpreise für den Strom und auch andere Energiearten wie Kraftstoffe und dann der im doppelten Sinne heiß diskutierte Energiesparplan der Regierung Sánchez. Das Stichwort „Abhängigkeit“ war nun in aller Munde, dabei ist sie für Spanien seit langem ein Thema, bei dem das Land im EU-Mittel schlecht abschneidet. Mit dem Energiesparplan soll die Menge des importierten Erdgases für Stromerzeugung um mindestens sieben Prozent gesenkt werden und so Ressourcen für jene Länder freiwerden, die noch zu sehr am russischen Tropf hängen, die Deutschland zum Beispiel. Spanien selbst nämlich bezog bis dato höchstens sechs Prozent seines Erdgases aus Russland.
Doch Regierungschef Sánchez kommt die spanische „Soli-Aktion“ , mit der Spanien so Gas für Deutschland und die EU spart, ganz gelegen, schärft sie nämlich das Bewusstsein für das Energiesparen in Spanien allgemein und gibt Gelegenheit, den Erneuerbaren Energien, allen voran der Sonne, zum längst logischen Durchbruch in Spanien zu verhelfen. Sánchez kann tabula rasa auf der Dauerbaustelle Energiemarkt machen.
Zwar exportiert Spanien schon jetzt rund 18 Prozent seiner erzeugten Energie nach Portugal und Frankreich, muss aber gleichzeitig, je nach Wetter und Bedarf, 65 bis 75 Prozent der Grundstoffe für die konventionelle Energieerzeugung importieren, meist aus nicht EU-Ländern. 2008/09 erreichte diese Quote mit 80 Prozent ihren Höchstwert, während der EU-Schnitt bei rund 53 Prozent liegt. Brechen Windkraftwerke wegen des Wetters weg, ist es zudem bewölkt, sind auch direkte Importe von Atomstrom aus Frankreich nötig, um das Netz stabil zu halten und den Bedarf zu decken.
2021 wurde 25 Prozent der in Spanien erzeugten Energie aus Erdgas gewonnen, das meiste aus dem totalitär regierten Algerien, mit dem die Beziehungen wegen des Westsahara-Konfliktes mal wieder am seidenen Faden hängen. Oder es kommt als teures Flüssiggas ökologisch wenig nachhaltig aus den USA oder dem Mittleren Osten. Das führte dazu, dass Spanien mit sechs großen Flüssiggashäfen und Regasifizierungsanlagen zwar eine Zwischenlösung des europäischen Putin-Gas-Problems sein kann falls die Pipelines wie die Midcat nach Norden ausgebaut werden, die energetische Unabhängigkeit Spaniens verbessert das aber nicht.
24 Prozent des spanischen Stroms wird bereits aus Onshore-Windkraftanlagen erzeugt, die leider direkt den Wetterschwankungen ausgesetzt sind und in manchen Regionen wegen ihrer Ausmaße und Lage bereits für Proteste von Anwohnern und Umweltschützern sorgen, genauso wie immer mehr Offshore-Projekte, die zum Teil mit den Interessen des Tourismus, der Fischerei und dem Schutz der Meere kollidieren.
Die Kernenergie liefert in Spanien seit Jahrzehnten stabile 20 bis 23 Prozent aus sieben Atomkraftwerken. Einen Ausbau dieser energetisch effizienten, aber nur auf den ersten Blick sauberen Energiegewinnung wird es nicht geben. Die Lizenzen hat man vor Jahren verlängert, sie werden aber auslaufen. Denn die Gesellschaft will die Risiken der Kernenergie nicht mehr eingehen, für die Kosten der Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle nicht weiter aufkommen. Zudem sorgt die durch den Klimawandel bedingte Dürre dafür, dass Spaniens Flüsse das massenhaft und vor allem kühl benötigte Kühlwasser in Zukunft nicht mehr ausreichend bereitstellen können. In Frankreich werden wegen zu wenig und zu warmem Wassers sogar schon Reaktoren heruntergefahren.
Ein ähnliches Problem gibt es mit den Wasserkraftwerken, die sich zum Teil bei den immer rarer werdenden Wasserreserven in den Stauseen bedienen dürfen, die dann anderswo fehlen: der Landwirtschaft (die 70 Prozent davon verbraucht), deren Erträge bis zum Ruin sinken, wie den Privathaushalten, die immer häufiger mit Rationierungen leben müssen. Noch liegt der Anteil des Strom aus Wasserkraft bei 12 Prozent am Strommix in Spanien. Steinkohle trägt zwei Prozent bei, Biomasse und Müll zusammen nur 2,7 Prozent, Erdöl ist mit 0,5 Prozent marginal.
Das größte Potential hat in Spanien zweifellos die Sonnenenergie, die im Moment aber nur rund zehn Prozent des Stroms liefert. Nachdem die Regierung bürokratische Hürden verkleinert und fiskalischen Unfug wie die berüchtigte „Sonnensteuer“ abgeschafft hatte, kam es – vor allem auch Dank der zweckgebundenen EU-Covid-Hilfsmilliarden – zu einem regelrechten Boom bei der Sonnenenergie. Sowohl im kommerziellen Bereich, in dem 2021 mit 3.490 MW dreimal so viel Potenz hinzukam wie 2018, als auch im Bereich der Selbstversorgung. Jedes dritte neue Solarpanel wird heute für den "autoconsumo“ aufgestellt, günstigere Preise und eine stetig wachsende Energieeffizienz rechnen sich.
Eine Komplettversorgung für ein Einfamilienhaus für vier Personen amortisiert sich jetzt bereits nach fünf bis sieben Jahren, schlechtestenfalls in zehn. Und während man vor einigen Jahren von den Banken noch wie ein bekiffter Hippie angeschaut wurde, wenn man einen Kredit für Erneuerbare haben wollte, ist das Darlehen heute fast eine Standardprozedur. Die Bürokratie wird langsam durchschaubarer, es gibt immer mehr Angebote und Förderungen für Solarpanele für Private in Spanien. Es gibt auch erste Kommunen, vor allem im ländlichen Spanien, die so das Kabel zu den großen Erzeugern kappen konnten, denn mit den Erneuerbaren wächst auch die Dezentralisierung der Stromversorgung. Ein Beispiel aus Ciudad Real.
Der Solar-Boom, den Spanien derzeit erlebt, hat seine Schattenseiten: Etliche Krisengewinnler springen auf den Zug auf, wollen Staat und EU abzocken, beantragen Großanlagen auf der grünen Wiese oder pflastern landwirtschaftliche Nutzflächen voll, um an Subventionen zu kommen. Fast sechs Milliarden Euro sind in den Fördertöpfen. Das macht erfinderisch.
Es gibt nicht wenige Bauern, die bis zu 1.500 Euro Pachtgebühr der Energieinvestoren pro Jahr und Hektar dankend annehmen, zumal Klima und Wassermangel ihre Zukunft ungewiss machen. Auch Kommunen verkaufen oder vermieten Naturflächen für Solarparks, was der Idee von „grüner“ Energie eigentlich widerspricht.
In Spaniens Energiewende- und Umweltministerium liegen meterhoch Anträge für Solarpark-Projekte, die, würden alle genehmigt, 3,3 Prozent der Landfläche Spaniens mit Solarpanelen bepflastern würden. Eine Fläche von fünf Mallorcas. Madrid befindet nur über Anlagen ab 500 MW, alles darunter ist Sache der Länder und Kommunen. Große Unternehmen „teilen“ ihre Projekte daher und umgehen so Umweltprüfungen.
Positive Beispiele: Andalusien arbeitet daran, alle Landesgebäude mit Solarpanelen zu bestücken, dazu gehören auch tausende Schulgebäude, um sie energetisch unabhängig zu machen. Es gibt massenweise Industriegebiete, die bereits zubetoniert sind, nicht selten aber leerstehen und sich so bestens für Solarparks eignen würden, zumal der Netzzugang bereits vorhanden, keine weiteren Naturgebiete zerstört werden müssen.
Das gleiche gilt für die endlosen Dächer der Wohnblöcke, gerade in sozial benachteiligteren Vierteln im ganzen Land, aber auch für Luxusvillen oder Residenten-Urbanisationen. In Sevillas Armenviertel Torreblanca, zum Beispiel, bringt das EU-Projekt „Powerty“ Solarpanele auf Hausdächern an, oder, wenn der Eigentümer dagegen ist, auf nahegelegenen öffentlichen Gebäuden, um die Ärmsten der Armen vom für sie unbezahlbaren Stromnetz abzunabeln und so auch Abschaltungen zu vermeiden. Dabei werden die mit dem Sonnenstrom versorgten Bewohner gleichzeitig geschult.
In Energiekommunen lernen sie, wie viel Strom sie brauchen, wo sie sparen können und wie die Schaltkästen der Solaranlagen zu bedienen sind. Ihren Kindern bringt man das in der Schule bei. Daraus entwickelt sich Stück für Stück eine energetische Autonomie, Teilhabe, die längst in vielen Gemeinden funktionieren könnte, bisher aber meist nur in Pilotprojekten mit EU-Hintergrund in ausgewählten sozialen Gruppen stattfindet. Wohl nicht zuletzt auch, weil die großen spanischen Parteien eng mit den Energiekonzernen verflochten sind und beide durch zu viel Demokratisierung und Mitsprache einen Machtverlust fürchten.
Dass Politik und Wirtschaft auch Hand in Hand arbeiten können und trotzdem der Normalbürger profitiert, belegt der Fall des einstigen Zellulose-Konzerns Ence in Huelva. Mit Förderprogrammen und privatem Investment stellt das Unternehmen seit 2014 Stück um Stück seine Werke von rein energieintensiver Zellulose-Produktion auch auf Biomasse-Kraftwerke um. Zum Teil, um die eigene Produktion günstig mit Energie bewerkstelligen und so einen Wettbewerbsvorteil erlangen zu können, doch seit einiger Zeit auch als Nettolieferant von klimaneutral erzeugtem Strom ins Netz, mit dem man Geld verdient. Bauern liefern ihre überschüssigen Pflanzenreste gegen Geld ab, Kommunen werden ihren Biomüll sachgerecht los und gerne würde Ence viel mehr Biomasse aus Wald- und Flurpflege zu kohlendioxidneutralem Strom verarbeiten, wenn dieses Material nur geliefert würde, anstatt in Waldbränden in Flammen, Rauch und Schrecken aufzugehen.
Das Potential und die Technologie und das Geld sind also da. Auch das Know How dafür, wie man ein Netz im Gleichgewicht hält, das natürlichen Schwankungen unterliegt, existiert, denn auch die Erneuerbaren stellen in sich einen teils steuerbaren Mix dar. Einen flächendeckenden Blackout in Spanien wegen der Erneuerbaren halten wirkliche Experten für unwahrscheinlich.
Spanien wird für seine grüne Wende sehr viel Energie benötigen. Es hätte wenig Sinn, das Land auf E-Autos umzustellen – ab 2040 dürfen keine Verbrenner mehr verkauft werden – wenn der Strom dafür durch Verbrennung konventioneller Rohstoffe erzeugt würde. Das Gleiche gilt für die energieaufwendige Erzeugung von Wasserstoff, der eigentlich die Revolution im Verkehrswesen bringen wird und in Summe noch umweltfreundlicher ist, wenn die für die Herstellung benutzte Energie grün ist.
Auch das akuter werdende Wasserproblem kann Spanien mit Erneuerbaren zumindest eindämmen. Denn mit grüner Energie sind Entsalzungsanlagen energiepolitisch und preislich kein Problem mehr, während entsalzenes Wasser heute noch wegen der Stromkosten das Dreifache von normalem Wasser kostet, – Mehrkosten, die die Regierung aus Steuergeldern ausgleicht. Die Meerwasserentsalzungsanlagen sind, da sie naturgemäß an der Küste liegen, durchaus Zuständigkeit der Zentralregierung in Madrid. Die scheut sich aber beim Ausbau aus mehreren Gründen: Die Investitionen sind hoch und viel Geld versickerte bei Großanlagen in der Vergangenheit im Brackwasser der Korruption.
Das entsalzene Wasser muss dann ins Hinterland transportiert werden, braucht also ein Leitungsnetz, das häufig fehlt oder so marode ist, dass gerade gewonnenes Wasser gleich wieder versickert. Wegen der hohen Kosten und der umständlichen Kompensation meiden selbst notleidende Unternehmen und Kommunen das entsalzene Wasser bis heute, wenn sie können, weshalb viele Anlagen weit unter ihren Kapazitäten arbeiten. Doch je chronischer der Wassermangel wird, umso attraktiver wird diese Alternative, zumal der Regierung in Madrid niemand verbietet, ihre Kompetenzen projektbezogen auch an Kommunen, Länder oder Unternehmen abzugeben. Auch hier führt kein Weg an Dezentralisierung und Diversifizierung mit gleichzeitiger Vernetzung vorbei.
Gerade hat die spanische Regierung in Madrid angekündigt, 300 Millionen Euro extra für die Aufrüstung von Anlagen für die Meerwasserentsalzung locker zu machen. Das Beispiel der größten spanischen Entsalzungsanlage in Torrevieja im Süden der Costa Blanca zeigt, dass es allein mit Geld nicht getan ist.
Erneuerbare Energie ist nicht nur besser für das Klima und – wenn man ihre Produktionsorte sinnvoll installiert – umweltschonender, sie ist vor allem viel preiswerter als konventionelle, erst recht, wenn die Ressourcen der Letztgenannten importiert werden müssen. Dass dieser Effekt noch nicht beim Kunden ankommt, sondern die Strompreise in Spanien trotz Zunahme des Anteils Erneuerbarer ins Astronomische steigen, liegt an der nach wie vor hohen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, vor allem vom Erdgas. Es ist aber auch eine Frage von Zeit und politischer Durchsetzungsfähigkeit.
Steigt der Anteil der „Renovables“, sinkt auch die Abhängigkeit von Strommärkten und Rohstoffbörsen. Doch weniger Handel, also auch weniger Spekulation, bedeuten auch weniger Kommissionen und Profite für genau jene, die heute an den absurden Rekordstrompreisen in Spanien hauptsächlich verdienen. Es sind zum Teil die gleichen, die den Strom erzeugen, auch den grünen. Dieser gesellschaftliche Interessenkonflikt auf Kosten der Kunden, im Grunde eine Erpressung von Seiten eines Oligopols, muss von der Politik gelöst und beendet werden. Vielleicht nicht gleich durch Verstaatlichung, wie Podemos das wünscht (auch wenn das durchaus diskutiert werden sollte), wohl aber durch Dezentralisierung und staatliche Regulierung sowie die Belohnung von Eigenversorgung und Einsparung. Notfalls auch durch Steuern. Steuern, die wirklich steuern.
Spaniens Ziel ist es, bis 2050 zu 100 Prozent auf „Renovable“ umzusatteln und damit gleichzeitig quasi die energetische Selbstversorgung zu erreichen. Das klingt weit weg und abstrakt, doch bereits 2030 sollen es 74 Prozent sein. 2022 stieg allein die Solarproduktion um 70 Prozent gegenüber 2019. Seit 2006 sank die Energieerzeugung aus Erdgas um über 60 Prozent. Jenes, das noch verfeuert wird, kostet heute bis 650 Prozent mehr als vor zwei Jahren.
Der Weg Spaniens stimmt also grundsätzlich und Energiemarktexperten, die Regierung und selbst skeptische Ökologen gehen nun davon aus, dass die Ziele für 2030 und 2050 deutlich früher erreicht werden können, weil vor allem die Sonnenenergie endlich zu ihrem natürlichen Durchbruch gelangt. Die Krisen forcierten den Wandel im Bewusstsein und in der Praxis. Man hätte das alles früher und billiger haben können, in ganz Europa, wenn man mehr auf Sonne und Wind und weniger auf Putin gesetzt hätte.
Zum Thema: Zu spät, zu wenig? Spaniens Gesetz zum Klimawandel.