Das Bangen um den 29-Jährigen beginnt. Die entscheidende Reaktion dürfte aus dem Rathaus von Ermua gekommen sein. Die baskischen Lokalpolitiker gehen auf die Straße und rufen zu einer Demonstration für die Freilassung von Miguel Ángel auf. Das Schweigen wird gebrochen, die Basken schauen nicht mehr weg, erwachen aus ihrer Angststarre, in die ETA weite Teile der Gesellschaft versetzt und mit der sie diese zu ihrem Komplizen gemacht hat.
„Wir wollten der ETA mitteilen, dass wir Miguel Ángel frei haben wollen. Zu unserer Überraschung kamen 3.000 Menschen“, erinnert sich der damalige Bürgermeister Carlos Totorika.
Der Funke springt über, nach Bilbao, San Sebastian Madrid, Barcelona – überall klatschen Tausende rhythmisch und strecken ihre Handflächen dem Horizont entgegen. „Die Botschaft der Leute ist klar: Miguel Ángel, du bist nicht allein, ETA, du bist allein“, berichtet Radiojournalist Iñaki Gabilondo.
„Wir bangen und hoffen, dass Miguel unter uns ist. Wir erwarten dich, Miguel“, sagt die Schwester des Entführten, María del Mar Blanco, bei der Massendemonstration in Bilbao am 12. Juli. Hunderttausende halten die weißen Plakate mit dem Profil von Miguel Ángel Blanco in die Höhe, in einer Demonstration von Einheit, kollektiver Zivilcourage und der Lossagung von der Terrorgewalt. Selbst Vertreter des politischen Arms der ETA, Herri Batasuna, fordern die Terroristen auf, den jungen Politiker freizulassen. „Wir mussten uns ETA entgegenstellen, weil die Moral und die Gegebenheiten es erforderten“, sagt Patxi Zabaleta, damaliger Sprecher der radikalen Separatisten.
Am 12. Juli richtet ETA Miguel Ángel Blanco mit zwei Kopfschüssen hin. Der Täter Txapote wird dafür später zu 50 Jahren Haft verurteilt. Das Bangen und die Sorge schlagen in Wut um, das Baskenland beschimpft die ETA als Mörder. „Asesinos“ erschallt immer wieder. Kurz darauf steht der Parteisitz von Herri Batasuna in Ermua in Flammen, im ganzen Baskenland finden Protestkundgebungen vor den Sitzen der Separatisten statt. Nun wendet sich das Blatt und die Separatisten brauchen Polizeischutz. „Wir haben die Angst verloren. Das war das erste Mal, dass die ETA die Angst spürte, mit der wir Demokraten so viele Jahre leben mussten“, erinnert sich die Schwester des Ermordeten, María del Mar Blanco.
Am 14. Juli findet die Trauerfeier für Miguel Ángel Blanco statt. Die Leute rufen der ETA in Sprechchören zu. „Das sind keine Basken, das sind Mörder“. Die Straße steht nicht mehr auf der Seite der Untergrundkämpfer. „Die Normalität, die wir heute im Baskenland haben, hat sicherlich zum Teil mit Miguel Ángel Blanco zu tun“, sagt Josu Bujanda, Polizeichef der Ertzaintza, damals in Ermua im Einsatz.
Von dem Geist von Ermua und der Einheit in der Ablehnung des Terrorismus ist wenig geblieben. Miguel Ángel sollte für alle Opfer des Terrorismus stehen. Das tut er nicht. ETA-Sympathisanten haben sein Grab geschändet. Und die Volkspartei instrumentalisiert sein Erbe, zuletzt, um gegen das Gesetz zur demokratischen Erinnerung mobil zu machen. Spanien fällt es schwer zu verinnerlichen, dass man Opfer von Gewalt, Diktatur und Terrorismus auf beiden Seiten findet.