Vom Drahtesel zum E-Bike: Spanien fährt auf das Fahrrad ab

Das Fahrrad boomt. Vor allem das E-Bike tritt eine Revolution los. Nun erwägen Firmen, die Produktionskette aus Asien nach Spanien zurückzuholen.
Madrid – Spanien fährt auf das Fahrrad ab. Entgegen Befürchtungen des Sektors riss im vergangenen Jahr der Fahrrad-Boom, den die Quarantänezeit in der Coronavirus-Pandemie lostrat, nicht ab. Ganz im Gegenteil. 2021 verkaufte der Sektor mit 1,57 Millionen Fahrrädern so viele wie nie zuvor und setzte laut dem Jahresbericht des Fahrradverband Ambe eine Rekordsumme von knapp 2,9 Milliarden Euro in Spanien um. Diesen Aufschwung treibt eine Revolution an, die dem Drahtesel mittels elektronischer Verstärkung regelrecht Flügel verleiht.
Verkaufsschlager mit Potenzial: Wird das E-Bike das Stadtrad der Spanier?
Noch machen die 224.000 verkauften E-Bikes mit 14,2 Prozent am Gesamtvolumen der mehr als 1,5 Millionen verkauften Räder einen bescheidenen Anteil aus, doch die Tendenz steigt stark, die Summen, die in elektrische Fahrräder investiert werden, sind hoch und die Perspektiven, die das Gefährt als Transport- und Freizeitgefährt eröffnet, gelten als vielversprechend. Bereits in zwei Jahren könnte das E-Bike das traditionelle Fahrrad im Verkauf überholen und das Loch schließen, das sich in der spanischen Fahrradkultur auftut. Als ein Fortbewegungsmittel und Nutzgerät kommt das Rad in Spanien einfach nicht an. So brach der Verkauf der Stadträder um zwölf Prozent ein, wobei dem Verband Ambe das Minus keine schlaflosen Nächte bereitet, weil viele Spanier angeblich mit ihrem Mountainbike nicht nur über Stock und Stein, sondern auch zum Supermarkt fahren.
Mit Durchschnittspreisen von 2.850 Euro fährt das E-Bike locker der Königsklasse der Rennräder davon, die im Schnitt inzwischen stolze 2.300 Euro im Schnitt kosten. Günstiger fährt der Freizeitsportler mit einem Gravelbike, für das Tourenrad, angesiedelt zwischen Rennrad und Mountainbike, fallen um 1.100 Euro an. Das mit Abstand beliebteste Fahrrad bleibt das Mountain Bike, für das um die 800 Euro ausgegeben werden. 38,7 Prozent aller verkauften Fahrräder zählten zu dieser Kategorie, die Nummer zwei auf der Hitliste ist mit 29,7 Prozent übrigens das Kinderfahrrad.
„Niemals zuvor sind so viele Fahrräder verkauft worden, niemals zuvor wurden vergleichbare Umsätze erzielt und so viele Arbeitsplätze geschaffen. Wir bemerkten schon von vor der Pandemie eine gewisse Wachstumstendenz, aber Corona hat die Entwicklung stark beschleunigt“, meinte der Verbandsvorsitzende Jesús Freire bei der Vorstellung des Jahresberichts. Die Zahl der Fabrikanten wuchs im vergangenen Jahr um 7,14 Prozent, die der Beschäftigten in dem Sektor um drei Prozent. Über 3.000 Betriebe verkaufen, reparieren oder vermieten derzeit Fahrräder, die nach Angaben von Ambe 25.000 Familien ein Auskommen bieten. Die Verkäufe zogen auch bei Produkten rund um das Fahrrad stark an, Radschuhe verzeichneten ein Plus von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Helme 30,8 Prozent, Fahrradteile und Komponenten 10,27 Prozent und Bekleidung 13,8 Prozent.
Fahrradproduktion in Spanien: Wartezeiten zwingen zum Umdenken
Und dabei stand der Fahrradsektor vergangenes Jahr vor gewaltigen logistischen Schwierigkeiten. Die Nachfrage fegte die Lager der Fabriken leer, die Produktion kam kaum hinterher, die Wartezeiten nahmen immer mehr zu. Der Bau spanischer Fahrräder hängt bei der Produktion von Rahmen und Zubehörteilen stark von asiatischen Zulieferern ab. Oftmals werden hiesige Räder nur in Spanien entworfen und dann aufgebaut mit Teilen, die allesamt aus Asien stammen. Nun verschafft aber der boomende Bereich der Spitzenräder Fabrikanten Spielraum, einen Teil der Produktion nach Spanien zurückzuholen und so Wartezeiten von einem Jahr oder mehr zu verkürzen. Diesen Weg könnte etwa die Firma Rotor einschlagen, die hochklassigen Antriebsteile wie etwa Schaltungen oder Kurbelgarnituren fabrizieren, die in Qualität durchaus mit dem japanischen Giganten Shimano mithalten können.