Frauen-Morde in Spanien: Land geht weiteren Schritt im Kampf gegen Macho-Gewalt

Spanien gilt als Vorreiter im Kampf gegen die Gewalt an Frauen. Als weiteres Instrument gegen die Macho-Gewalt soll eine neue Mord-Statistik dienen.
Madrid – Im Kampf gegen Macho-Gewalt nimmt Spanien eine Pionierrolle ein, seit die sozialistische Regierung von José Luis Zapatero Rodríguez im Jahr 2004 das erste Ley contra la Violencia de Género (Gesetz gegen geschlechtsspezifisiche Gewalt) verabschiedete. Seit dem 12. September ist es nun auch das erste Land der Welt, das eine offizielle Statistik über praktisch alle Morde an Frauen führt, also auch über jene, die nicht von deren Partnern oder Ex-Partnern verübt wurden.
Femizide werden in Spanien ab sofort in fünf Kategorien eingeteilt:
- Femizid in der Partnerschaft oder zwischen Ex-Partnern: Morde, die unter das Gesetz von 2004 gegen geschlechtsspezifische Gewalt fallen.
- Femizid in der Familie: Mord an einer Frau durch einen Mann aus dem familiären Umfeld, darunter fallen auch die sogenannten Ehrenmorde.
- Sexuell motivierter Femizid: Darunter fällt der Mord an einer Frau in Verbindung mit sexueller Gewalt (gemäß dem jüngst verabschiedeten Gesetz für sexuelle Freiheit) ohne partnerschaftliche oder familiäre Beziehung zum Täter.
- Sozialer Femizid: ausgeführt durch einen Mann, der keine familiäre oder partnerschaftliche Beziehung zum Opfer hatte (ein Unbekannter, ein Arbeitskollege, ein Nachbar, ein Freund, etc.).
- Durch das Medea-Syndrom motivierter Femizid: Dabei handelt es sich um den Mord an einer Frau, der verübt wird, um einer anderen Frau weh zu tun. Diese Art von Femizid wird danach unterteilt, ob er innerhalb einer (Ex-)Partnerschaft verübt wird oder nicht. Ein Beispiel für einen solchen Femizid ist der Fall des Vaters, der seine beiden Töchter auf Teneriffa tötete.
Nach diesen Kriterien müssen 19 Frauen, die zwischen Januar und Juni 2022 in Spanien ermordet wurden, in diese erweiterte Statistik mitaufgenommen werden. Elf dieser Morde ereigneten sich im familiären Bereich, sechs gelten als sozialer Femizid und zwei als sexuell motivierter Femizid. Die meisten Opfer (5) waren zwischen 31 und 40 Jahre alt, jeweils vier waren zwischen 21 und 30 Jahre beziehungsweise zwischen 51 und 60 Jahre alt. Drei der Opfer fallen in die Altersgruppe der 41- bis 50-Jährigen, zwei waren minderjährig und eines zwischen 71 und 84 Jahre alt. Von den 19 ermordeten Frauen besaßen 15 die spanische Nationalität, vier waren Ausländerinnen.
Morde an Frauen: Spanien veröffentlicht vierteljährlich neue Statistik
Zur neuen Mord-Statistik in Spanien zählen künftig aber auch solch mediale Fälle wie der von Laura Luelmo, der jungen Lehrerin, die 2018 in der Provinz Huelva von einem Nachbarn sexuell missbraucht und ermordet wurde, der Sexualmord an der 19-jährigen Rocío Wanninkhof durch einen vorbestraften britischen Residenten 1999 an der Küste von Mijas an der Costa del Sol oder die Entführung und Ermordung von Diana Quer (2016) durch einen Sexualserientäter.
Nur wenige Frauen-Morde werden wohl nicht unter Spaniens erweiterte Statistik fallen, aus dem Raster fallen könnte etwa ein Raubmord. Für die Aufnahme in die Statistik müsse es „eine geschlechtsspezifische, Machismo-Komponente geben, das heißt, dass die Morde durch ungleiche Machtstrukturen zwischen Mann und Frau provoziert werden“, heißt es dazu vom Ministerium für Gleichstellung. Und dies sei fast immer gegeben.
Die nüchtern erscheinende Buchhaltung in Zusammenhang mit Morden an Frauen mag befremdlich anmuten. Doch die spanische Regierung sieht darin ein weiteres nützliches Instrument im Kampf gegen die Macho-Gewalt in Spanien. Die neue Statistik will sie ab sofort vierteljährlich veröffentlichen. „Es war etwas, was wir der Gesellschaft und den Frauen schuldig waren“, sagt die Regierungsbeauftragte gegen die Gewalt an Frauen, Victoria Rosell. „Was nicht benannt wird, existiert nicht“, erinnerte die Staatssekretärin für Gleichstellung, Ángela Rodríguez. „Heute ist ein sehr wichtiger Tag, denn wir haben begonnen, als Regierung einzugestehen, dass es Morde gegeben hat, die außerhalb unseres Radars lagen.“
Frauen-Morde in Spanien: Gewalt in der Partnerschaft und in der Familie am häufigsten
Die neue Statistik würde es nun erlauben, die Gewalt an Frauen außerhalb des sentimentalen Bereichs besser zu beobachten und „spezifische Politiken und Mittel zu aktivieren“, um sie zu bekämpfen, betonte Rodríguez. Von den 19 Morden, die in den ersten sechs Monaten verübt und jetzt in die Statistik aufgenommen wurden, seien 58 Prozent Femizide im familiären Bereich gewesen. Darunter fällt etwa auch der Fall des 15-Jährigen, der in Elche an der Costa Blanca im vergangenen Februar Mutter, Vater und den Bruder ermordet hatte.
Die Statistik über Partnerschaftsgewalt bleibe trotz der neuen Kriterien wie gehabt bestehen, betont das Ministerium. Bis September seien 28 Frauen in Spanien von ihrem Partner- oder Ex-Partner getötet worden. Seit diese Art von Morden im Jahr 2003 statistisch registriert werden, wurden 1.158 Frauen ermordet, eine erschütternde Zahl. Positiv ist, dass sich immer mehr Frauen ‒ auch dank der Gleichstellungspolitik der spanischen Regierung ‒ trauen, Gewalt in der Partnerschaft anzuzeigen. Unter der dafür eingerichteten Telefonnummer 016 gingen zwischen dem 1. und 31. Juli 9.557 Anrufe ein, fast 16 Prozent mehr. Weitere Informationen und Hilfe erhalten Opfer - auch auf Englisch - über die Webseite gegen die Gewalt an Frauen sowie über Whatsapp an die Nummer 600 000 016. Über die Smartphone-App Alertcops können Opfer in jeglichen Notsituationen die Polizei und Guardia Civil schnell alarmieren.