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Spanien und die dunkle Seite der Geschichte: Wie geht man mit den Opfern von ETA und Franco um?

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Von: Stephan Kippes

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Das Tal der Gefallenen in Spanien.
Das Tal der Gefallenen soll umbenannt werden. Es repräsentiert heute, dass Aufarbeitung der Vergangenheit in Spanien schief gelaufen ist. © OSCAR DEL POZO/AFO

Viele Bürgerkriegsopfer liegen in Massengräbern, vielen Familien hat die ETA Angehörige geraubt. Ein Gesetz soll die Aufarbeitung der Vergangenheit in Spanien regeln.  

Madrid – Derzeit entzünden sich die Gemüter spanischer Politiker an der Aufarbeitung des ETA-Terrorismus und der Franco-Diktatur. Mit Ach und Krach brachte die Regierung von Spanien das Gesetz zur Demokratischen Erinnerung durch das Parlament – 173 Stimmen dafür, 159 Abgeordnete des rechtskonservativen Spektrums einschließlich der Separatisten von Junts lehnten das Ley de Memoria Democrática ab, und die katalanischen Linksrepublikaner enthielten sich. Davor flogen die Fetzen.

Spanien und die Aufarbeitung der Geschichte: ETA-Terrorismus und Franco-Diktatur

Die Rechten reiben sich an diesem überarbeiteten Gesetz zur Historischen Erinnerung, weil sie darin einen Verrat an der Transition, sprich dem Übergang von Diktatur zu Demokratie, sehen. Dieses Gesetz erkennt Verbrechen gegen die Menschenrechte bis 1983 und damit über die Zeit der Diktatur hinaus, in der der Staat bisweilen nicht sonderlich zimperlich mit kritischen Geistern umsprang, die dem Umfeld der ETA zugerechnet wurden – zu Recht oder nicht, in der es aber auch noch Übergriffe francotreuer Sicherheitskräfte auf linke Bewegungen gab.

Deswegen werfen die Konservativen der Regierung vor, der „politische Arm von ETA“ habe das Gesetz geschrieben, das eigentlich Opfer und Hinterbliebene von Terror, Verfolgung und politischer Gewalt schützen und würdigen soll. Im konservativen Flügel aber scheint es nur Opfer der ETA zu geben, deren Hinterbliebene es zu würdigen und respektieren gilt. Überhaupt holt die PP mit Blick auf das Wahljahr die ETA aus dem Keller der Geschichte und fährt schwere Geschütze gegen die Regierung auf. Denn Ministerpräsident Pedro Sánchez braucht für Mehrheiten die baskische Separatistenpartei EU Bildu, die immer wieder als politische Nachfolgeorganisation der ETA verunglimpft wird - zu Recht oder nicht.

Die Linksrepublikaner der ERC stören sich genau am Gegenteil – ihrer Meinung nach ist das Gesetz im demokratischen Übergang von Diktatur zur parlamentarischen Monarchie verankert, die sie rundweg ablehnen. Den Faschismus muss man nach Ansicht der ERC besiegen, stattdessen hat man ihn legalisiert. Mit der Forderung nach einer Annullierung des Amnestiegesetzes kamen die Linksrepublikaner aber nicht durch.

Spaniens Gesetz zur historischen Erinnerung: Es geht um das tägliche Leid

Oben auf der Besuchertribüne verfolgten auch Angehörige von Opferverbänden schweigend die Debatte. Unten am Rednerpult sprach ein Abgeordnete von Vox von „den ersten 25 friedlichen Jahren der Diktatur“ , die ERC gedachte der Hinrichtung des Anarchisten Salvador Puig 1974. So ging es hin und her bis der Abgeordnete Iñaki Errejón von Más Páis mit der Autoscooter-Fahrt durch die Welt der Ideologien Schluss machte. „Das ist kein Gesetz über die Leiden der Vergangenheit, sondern über den Schmerz, den Menschen heute jeden Tag verspüren, weil sie nirgendwo ihrer Angehörigen gedenken können, die in irgendeinem Graben verscharrt liegen.“ Darum geht es eigentlich in dem Gesetz: Um die Exhumierung von Bürgerkriegsopfern in Massengräbern, damit ihre Nachkommen sie beerdigen, ihrer gedenken und vielleicht ihr Grab an einem Friedhof pflegen können.

Was beinhaltet dieses Gesetz zur Erinnerung nun ? Mit diesem Gesetz erklärt Spanien die Franco-Diktatur zu einem illegalen Regime, das aus einem ebenfalls illegalen Militärputsch entstand.

Spanien und das Gesetz zur historischen Erinnerung: 33 Familien sind keine Adligen mehr

Zu den Opfern zählen auch Betroffene und Nachkommen der sogenannten „geraubten Kinder“ – damit sind Neugeborene gemeint, die ihre leiblichen Eltern abgenommen und zur Adoption an regimetreue oder einflussreiche Familien gegeben wurden. Abstammungsfragen soll eine DNA-Bank klären.

Der Rat Consejo de la Memoria Democrática soll eine Anlaufstelle für alle Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung schaffen.

Wichtig für die Linke dürfte der Zusatz zum Amnestiegesetz von 1977 sein, der eigentlich der Interpretation des früheren Ermittlungsrichters Baltasar Garzón folgt. Verbrechen gegen Menschlichkeit wie Folter, Völkermord oder Kriegsverbrechen erlöschen demnach trotz des Amnestiegesetzes nicht.

Dieses Gesetz geht davon aus, dass nach dem Ende der Franco-Diktatur und mit dem Inkrafttreten der Verfassung von 1978 noch einen Zeitraum zu ihrer Konsolidierung bis 1983 gab, bei der Menschenrechtsvergehen begangen worden sein könnten. Dies soll eine Expertenkommission klären. Richtig ist, dass EU Bildu diesen Zusatz unterstützt und dabei wohl an die Opfer der rechten GAL dachte – eine Art Todesschwadron zur Bekämpfung der ETA – explizit steht davon jedoch nichts Gesetzestext.

Spanien und die historische Erinnerung: Regionalsprachen als Opfer des Franquismus

Ferner kennt das Gesetz die katalanischen, baskischen und galicischen Institutionen, die Regionalsprachen und die drei Kulturen als Opfer von politischer Verfolgung während der Franco-Diktatur an. Um das Ausmaß und die Folgen der damaligen kulturellen Verfolgung fassen zu können, sollen jeweiligen Verwaltungen entsprechende Untersuchungen und Studien anstrengen. Überhaupt räumt das Gesetz der historischen Aufarbeitung eine höhere Priorität als bisher ein, mit dem Ziel ein „historisches Bewusstsein zu schaffen, das der Würde der Bürger in einer freien und demokratischen Gesellschaft“ Rechnung trägt.

Bilder von Franco oder jede andere Art der Zurschaustellung des Diktatoren ist künftig verboten, niemand darf also in seinem Büro ein Foto von Franco an seinem Schreibtisch aufstellen als sei es ein Familienporträt.

33 von 1948 bis 1978 vergebene Adelstitel werden aberkannt, Familien wie Franco, Primo de Rivera, Calvo Sotelo, Mola oder Carrero Blanco gelten nicht länger als nobel.

Vorsichtig muss man auch mit dem Umgang historischer Dokumente sein, die unter die historische Erinnerung fallen – egal ob privater oder institutioneller Natur. Ihre Zerstörung oder unrechtmäßige Aneignung gilt nun als ein „schweres Vergehen“ für Personen wie private Institutionen, die möglicherweise während der Diktatur öffentliche Aufträge ausführten. Die Regierung will sich zudem um Archivierung der Dokumente der Franco-Stiftung bemühen, die dem Centro Documental de la Memoria Histórica zugeführt werden sollen.

Das Valle de los Caídos soll umbenannt werden in Valle de Cuelgamuros. Ferner soll die frühere Sommerresidenz Francos, der Palacio de la Cumbre de Donostia , dem Rathaus San Sebastián überschrieben werden.

Die Nachfahren der Mitglieder der Internationalen Brigaden, die in Spanien während des Bürgerkriegs gekämpft haben, erhalten das Recht auf die spanische Nationalität.

Zum Thema: Spaniens längste Nacht - Demokratische Feuertaufe - Der Putsch von 1981.

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