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Nur ein Ja heißt ja: Spanien regelt den Geschlechtsverkehr

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Von: Stephan Kippes

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Menschen demonstrieren.
Pamplona: 2018 kam es nach einem milden Urteil im Zuge einer Gruppenvergewaltigung zu großen Protesten. © Alvaro Barrientos/picture alliance / Alvaro Barrientos/AP/dpa

Jetzt ist das Schlagwort „Nur ein Ja ist ja“ ein Gesetz: Auf Vergewaltigungen von Frauen reagiert Spanien mit einem Gesetz, das geschlechtliche Beziehungen regelt.

Die Gruppenvergewaltigung der Manada hat jeden Freiraum für Interpretationen in den zwischenmenschlichen Beziehungen in Spanien abgewürgt. Spanien hat den Aufschrei der Empörung der Frauenbewegung „Nur ein Ja heißt ja“ zum Gesetz gemacht. Dieses ausdrückliche Einverständnis gilt als Grundlage für sexuelle Beziehungen. Mann muss sich nicht mehr fragen, ob und wie sie auf Avancen reagiert, Anwälte müssen vor Gericht nicht darüber streiten, ob eine Frau sich deutlich gegen aufdringliche Begehren zur Wehr setzte, bevor es zu der Vergewaltigung kam, die der Täter gar nicht als solche wahrnehmen will. Ohne eine ausdrückliche Willenserklärung schläft jeder im eigenen Bett. So einfach ist es.

Nur ein Ja heißt ja: Spanien stellt per Gesetz zwischenmenschliche Beziehungen auf neue Grundlage:

Dieses Gesetz zur Garantie der sexuellen Freiheit in Spanien – Ley de Garantía Integral de la Libertad Sexual - ist mit 201 Stimmen der linken Parteien dafür, 140 Stimmen des rechts-konservativen Blocks aus Volkspartei (PP) und Vox dagegen sowie drei Enthaltungen durchs Parlament gegangen. Nun muss es noch durch den Senat. Dieses Gesetz enthält die Essenz der feministischen Forderungen zur Bekämpfung der sexuellen Gewalt vor dem Hintergrund der Gruppenvergewaltigungen, es gilt als eines der wichtigsten Vorhaben der Legislatur und des Ministeriums für Gleichberechtigung unter der Führung von Irene Montero (Unidas Podemos) und es gehört sicherlich zu den Regierungsmaßnahmen in Spanien, die mit am weitesten ins Privatleben hineinreichen. Schließlich stellt es sexuelle Beziehungen zwischen Menschen auf eine neue Grundlage.

„Es ist ein entscheidender Schritt, um die sexuelle Kultur in Spanien zu ändern, um Schuldgefühle und Ängste hinter uns zu lassen, ebenso wie die verbreitete Vorstellung von Vergewaltigung, und um all das durch eine Kultur des Einverständnisses zu ersetzen“, sagte Ministerin Irene Montero. Elf Monate lang feilten und stritten die Koalitionspartner an und um diese Norm, die viele Abgeordnete vor den Kopf stößt, ebenso wie das Transsexuellen Gesetz. Typisch Podemos halt, noch so ein abgehobener und bevormundender Eingriff einer intellektuellen Elite in das Privatleben der Bürger., mag man denken. Leider aber sieht die soziale Realität anders aus.

Hintergrund für Ja-ist-ja-Regel von Montero: Gruppenvergewaltigungen in Spanien

Die Regierung geht von 400.000 sexuellen Übergriffen pro Jahr in Spanien aus. Derzeit machen drei Gruppenvergewaltigungen Schlagzeilen und lassen wenig Zweifel an der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes. Weil junge Frauen sich nicht mehr überall sicher fühlen können - nicht in Pamplona, aber auch nicht in Callosa d‘ en Sarrià, in Burjassot und in San Juan de los Terreros. Sechs Jahre nach der Gräueltat der Manada in Pamplona trifft das Gesetz immer noch den Nagel des Zeitgeists auf den Kopf - das sollte zu denken geben.

Das verbale Einverständnis als Grundlage für zwischenmenschliche Beziehungen gilt als eine Reaktion auf die Gruppenvergewaltigung der Manada, als fünf Männer auf engsten Raum sich an einer Frau vergingen und in einem ersten Urteil mit sexuellem Missbrauch davonkamen. Hunderttausende überzeugten mit Demonstrationen die Gesellschaft, dass dies eine Vergewaltigung war. Das Opfer aber wehrte sich nicht, sagte nicht „Nein“, sondern ließ alles über sich ergehen. Die Frau stand unter Schock, die Männer übten durch ihre erdrückende Präsenz eine dermaßen große Bedrohung auf die Frau aus, dass sie weder verbal noch physisch Gewalt ausüben mussten, um sie zum Geschlechtsakt zu zwingen. Nun, mit dem neuen Gesetz gibt es keinen sexuellen Missbrauch mehr, weder Schweigen noch Zweifel gelten als Einverständnis, sondern nur das ausdrückliche „Ja“. Das Wort „sí“ wird sehr sexy, sagte eine Podemos-Abgeordnete.

Neues Gesetz zur sexuellen Freiheit: Spanien regelt, was Vergewaltigung ist und was nicht

Wie auch schon mit dem Gesetz gegen Sexuelle Gewalt dreht die Regierung den Spieß um. Wenn eine Frau nicht klar ihren Willen ausdrückt, liegt sexuelle Gewalt beziehungsweise Vergewaltigung vor. Nun steht es für einen Richter nicht mehr zu Debatte, ob und wie das Opfer sich wehrte geschweige denn wie es gekleidet war. Kritiker werfen der Regierung aber vor, damit das juristische Prinzip der Unschuldsvermutung auszuhebeln und den Angeklagten vor Gericht in die Pflicht zu nehmen seine Unschuld nachzuweisen.

Was bedeutet dieses Recht auf sexuelle Freiheit, das künftig laut Ministerin Montero die Gewalt durch Freiheit und die Angst durch Willen ersetzen soll im Einzelnen? Die typische Anmache auf der Straße, die Frauen belästigt, gilt künftig als ein Vergehen. Das Gesetz führt auch das Konzept der digitalen Gewalt ein, worunter die sexuelle Belästigung über Soziale Netzwerke und Foren fällt. Jede Art von Werbung für Pornografie wird verboten. Auch zieht die Sexualerziehung in allen Schulen ein.

Soziale Komponente: Schutz von Opfern, Sexualunterricht in Schule, Kampf gegen Pornografie

Ferner kommt dieses Gesetz mit einer Reform des Jugendstrafrechts daher. Wer sich mit unter 18 Jahren einer sexuellen Straftat schuldig macht, muss nicht nur die Strafe absitzen, sondern auch pädagogische Programme im Bereich Sexualerziehung und Gleichberechtigung unter qualifizierter Aufsicht durchlaufen. Und wer eine Person mit Drogen willenlos macht und sich an ihr vergeht, begeht eine Vergewaltigung. Bisher wurden diese chemischen Substanzen, die Willen und Widerstand brechen, aus strafrechtlicher Sicht dem sexuellen Missbrauch zugeordnet, nun der schwerwiegenderen Vergewaltigung. Alle Mordfälle im Zusammenhang mit Vergewaltigungen werden als sexuelle Gewalt statistisch erfasst.

Irene Montero
Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero. © I.Infantes./Pool/EUROPA PRESS/dpa

Ferner stellt das Gesetz Vergewaltigungsopfer auf eine Stufe mit Frauen, die unter Misshandlungen und Gewalt in der Partnerschaft leiden, was den Zugang zu staatlicher Unterstützung und Betreuungsprogrammen betrifft. Auch sollen sogenannte 24-Stunden-Krisenzentren eingerichtet werden, in denen Frauen und ihre Familienangehörigen auf psychologische, juristische und soziale Hilfe bauen können. Erstmals gelten Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Ausbeutung als Opfer sexueller Gewalt, hierzulande violencia machista genannt. Dazu haben auch Frauen Zugang, die zwangsverheiratet wurden oder deren Genitalien verstummelt wurden.

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