Die Idee von einem neuen Gesetz über "Sexuelle Selbstbestimmung" (Ley de libertad sexual) war vor allem Dank des gesellschaftlichen Drucks und der Einsicht der in solchen Fragen progressiven Sánchez-Regierung geboren. Es soll nicht nur den Richtern mehr Sicherheit bei der Entscheidungsfindung geben und die Rechte der Opfer stärken, sondern einen Paradigmenwechsel herbeiführen. Der Entwurf des Gesetzes liegt jetzt vor.
Die zentrale These ist jene der Selbstbestimmung: Nur ein Ja ist ein Ja. Spanien geht damit den Weg, den bisher in dieser Klarheit nur wenige Staaten - voran Schweden und Großbritannien - eingeschlagen haben, wonach Sexualakte ohne die "unmissverständliche Zustimmung" beider Sexualpartner zu bestrafen sind und zwar ohne, dass das Opfer Nachweise über eine vorliegende Aggression beibringen muss und sich auch nicht mehr dafür rechtfertigen soll, möglicherweise "stillschweigend" eingewilligt zu haben.
Richter sollen künftig nicht mehr vordergründig darüber verhandeln, ob vom mutmaßlichen Täter Gewalt ausging, um einen sexuellen Übergriff dann als Belästigung, Missbrauch oder Vergewaltigung einzustufen, sondern letztere liege vor, sobald kein Einverständnis zu den sexuellen Handlungen vorgelegen habe.
Selbst die Ersteller des Entwurfs räumten gegenüber "El País" ein, dass der vorliegende Entwurf kein "Allheilmittel" gegen sexuelle Gewalt und auch nicht gegen Fehlurteile darstelle. Denn, am Ende müsse ein Richter entscheiden, die in ihrer Mehrheit nicht ausreichend geschult auf diesem Gebiet seien.
Und Richter waren es auch, die sich sogleich öffentlich äußerten und zwei problematische Aspekte ansprechen: Der Interpretationsspielraum bleibe auch in der Neuformulierung genauso groß wie vorher, auch wenn man das Pferd nun von hinten aufzäume. Und, die meist Herren in Robe, "befürchten" eine kaum zu bewältigende Prozessflut und möglicherweise sogar einen Missbrauch des Gesetzes. Damit unterstellen sie indirekt, dass etliche Sexualakte ohne beidseitiges Einverständnis vom bisherigen Recht nicht erfasst oder nicht zur Verhandlung gebracht werden und im Subtext, dass Frauen das Gesetz missbrauchen könnten.
Für Patricia Faraldo, Rechtsprofessorin an der Universität A Coruña erfülle der Entwurf aber "eine sozialpädagogische Funktion", denn "bis jetzt hieß Schweigen Übereinkunft und die Verfügbarkeit über den weiblichen Körper, mit dem neuen Gesetz ist Schweigen Ablehnung". Fernando R. Santocildes, Kommissionschef zum Thema Gewalt gegen Frauen bei der Staatsanwaltschaft, sieht es ähnlich: "Wer bis jetzt schwieg, stimmte zu. Doch nun stimmte nur zu, wer das auch sagte. Die Beweislast für die Opfer wird damit etwas geringer", so der Jurist vorsichtig.
Doch für die Strafrechtsprofessorin an der Uni von Castellón Marisa Cuerda reichte das bisherige Gesetz aus. Das "Fehlurteil" bei der "Manada" sieht sie als Ausnahme, die schließlich von der Höchsten Instanz korrigiert wurde, womit man sehen, dass das Gesetz funktioniere. Sie verstehe "die gute Absicht" hinter dem neuen Gesetzentwurf der Sexuellen Selbstbestimmung, es werde aber "Probleme bei der Interpretation von Grenzfällen" schaffen. Zumal Spaniens heutiges Sexualstrafrecht schon "weitgehend" den Forderungen des Europäischen Rates und des Abkommens von Istanbul nachkäme.
Manuel Cancio, Professor für Strafrecht an der Universidad Autónoma de Madrid, holt noch weiter aus: "Vor 20 oder 30 Jahren musste die Frau sich bis hin zum Risiko getötet zu werden verteidigen, damit man eine Vergewaltigung nicht als Akt des gegenseitigen Einverständnisses ansah. Das ist heute schon nicht mehr so". Doch Cancio sieht diesen Wandel nicht durch die Gesetze befördert. "Man kann über einen gesetzgeberischen Akt nicht die Kultur der Beziehungen zwischen Männern und Frauen ändern", meint er, das sein ein gesellschaftlicher Prozess, die Gesetze würden diesem nur folgen.
Doch dieser Prozess findet eben auch im Gerichtssaal statt, erwidert Patricia Faraldo. Das Gesetz sei das Werkzeug, nun komme es darauf an, in der Aus- und Fortbildung der Richter für die entsprechende Anwendung zu sorgen. Die Auslegung des Entwurfs durch den besonders ranzigen Teil der spanischen Rechten ließ nicht lange auf sich warten, auf Vox-Seiten unkte es sofort von der "Verurteilung aller Männer" durch linke Sektierer, die die Gesellschaft spalten wollten.
Die Rechtsphilosophin Encarna Bodelón sieht indes eher im "tiefen Konservatismus" der Richterschaft die "Gefahr, dass die neuen Normen sehr restriktiv angewandt werden". Es "wird auch Widerstand geben", aber "auch Anpassung" und damit Fortschritt, ist sie überzeugt.
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