Doch die Spekulation an den Strommärkten, eine wilde Mischung aus gestiegenem Bedarf nach Corona, tatsächlich gesunkener Versorgungssicherheit durch die russische Energiepolitik seit dem Ukraine-Krieg, Zockereien an den internationalen Energiemärkten, mangelnder Überleitungskapazitäten gen Iberische Halbinsel, stillen Aufschlägen der Energieriesen und den schwankenden Beiträgen der in Spanien noch in der Entwicklung befindlichen Erneuerbaren Energien, verhinderten, dass die Regierungsmaßnahmen als Entlastungen für die Konsumenten spürbar wurden.
Auch die jüngste und radikalste Maßnahme der spanischen Regierung, für die sich Premier Sánchez bei der EU stark ins Zeug legte, eine Deckelung des Preises für Gas, das für die Stromerzeugung verwendet wird, namens "Iberische Ausnahme", soll den Strompreis für die Endkunden im Schnitt um rund 20 Prozent senken, was aber Steigerungen von über 100 Prozent über den Jahresverlauf gegenübersteht.
Mit der Absenkung der Mehrwertsteuer will Sánchez der Opposition, die durch den strahlenden Sieg bei der Andalusien-Wahl eine "Wechselstimmung" in Madrid ausmacht, ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen, denn die Maßnahme war Teil eines Pakets von Vorschlägen des PP-Oppositionsführers Alberto Núñez Feijóo, aber auch der Republikanischen Linken, ERC, die Sánchez regelmäßig für Mehrheiten im Parlament benötigt, die aber auch regelmäßig querschießt.
Koalitionspartner Podemos hält den Druck auf Sánchez aufrecht, in einer Weise, die eher nach Wahlkampf als nach Koalition aussieht. Arbeitsministerin Yolanda Díaz fordert eine Einmalzahlung von 300 Euro für jede Familie in Spanien als "Infaltionsausgleich" und ein 10-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, angelehnt an das in Deutschland zunächst für drei Monate eingeführte 9-Euro-Ticket.
Eine Maßnahme, die wohl am Samstag beschlossen wird, ist eine sprübare, 15-prozentige Erhöhung von beitragsfreien Renten, also zum Beispiel für Menschen mit Invalidität, Behinderte, Waisen und Witwen und Bezieher von sozialen Mindestrenten, die bei den turnusmäßigen Anpassungen leer ausgingen. Das betrifft rund 440.000 Personen. Außerdem sollen Zuzahlungen für einkommensschwache Familien zur Stromrechnungen, der "bono social" auf weitere 600.000 Familien ausgedehnt werden, das Grundeinkommen soll leicht angehoben werden. Weiteres Thema: Soforthilfen für die Sierra de la Culebra, bei Zamora, wo durch einen Waldbrand über 30.000 Hektar Natur verbrannt sind.
Erst kürzlich hatte die Regierung Sánchez den Zuschuss von 20 Cent pro Liter Benzin oder Diesel um weitere drei Monate verlängert - dennoch drohen LKW-Fahrer wieder mit einem Streik, denn der Literpreis stieg trotzdem auf über 2 Euro. Eigentlich kann sich die Sozialbilanz der Regierung Sánchez sehen lassen, bedenkt man, dass sie es war, die den gesetzlichen Mindestlohn in ihrer Amtszeit seit 2019 um 60 Prozent nach oben schraubte, erstmals ein Grundeinkommen einführte, das auch Menschen zusteht, die sonst vom Sozialsystem gar nicht erfasst werden, wie zum Beispiel die Legionen von Migrantinnen in der privaten Alters- und Krankenpflege. Mit dem ERTE-System konnte ein totaler Zusammenbruch des Arbeitsmarktes während Corona verhindert werden und etliche Firmen überlebten nur durch diese Auslagerung der Lohnkosten an den Staat.
Doch Sánchez könnte wohl noch jedem Spanier einen Ibérico-Schinken und ein Elektroauto schenken und würde dennoch von der Bevölkerung abgestraft, auch wegen der ideologisch verbissenen Performance und mangelnden Koaltionsdisziplin seiner Podemos-Partner. Zu dynamisch entwickeln sich mehrere Krisen gleichzeitig, steigt die Unsicherheit und - vor allem - galoppiert die Teuerung an der Supermarktkasse und an den Zapfsäulen, in Mietverträgen und nun auch noch über Zinsen bei den Hypotheken, als dass das Volk ohne einen Buhmann auskommt. Wer aber die Systemfrage und damit jene nach den Ursachen des Krisenbündels nicht stellen will - und das sind die meisten - der macht sich die Regierung zum Buhmann und sich es damit leicht.
Die konsrvativen Volkspartei, PP, die alle Krisen im Wesentlichen mit einer allgemeinen Steuersenkung erledigen will, eine Maßnahme, die nachgewiesenermaßen nur den Staat manövrierunfähiger macht und vor allem Besserverdiener belohnt, spricht von einer "erschöpften, versagenden Regierung", die weg gehöre. "Was muss noch passieren, damit die Regierung zurücktritt", fragt PP-Generalsektretärin Cuca Gamarra, die, wie ihre gesamte Partei nach der absoluten Mehrheit in Andalusien auf Wolke 7 schwebt. Ein Rücktritt seiner Regierung würde nichts weiter als "Sozialabbau" bedeuten, genauso oder schlimmer wie damals nach der Finanzkrise 2008, erwiderte Sánchez im Parlament.
Und das nächste PR-Desaster wartet schon um die Ecke. Der NATO-Gipfel in Madrid am 28. und 29. Juni sollte zum 40. Jahrestags des Bündnisbeitritts Spaniens eigentlich ein außenpolitisches Highlight der Legislatur werden. Doch nun, durch den Ukraine-Krieg und die Wirtschaftslage, wird sich Sánchez schwertun, den Spaniern die geplante Verdopplung der Verteidigungsausgaben um etliche Milliarden Euro auch nur irgendwie sinnvoll erklären zu können, während sich selbst der Mittelstand schon den Kauf einer Melone überlegen muss. Sánchez wird er in der zur Festung umgebauten Hauptstadt Madrid vielleicht seine letzten glanzvollen Tage als Premier erleben, - mit Gästen aus dem Ausland, bevor seine Macht zwischen den Krisen, seinen ehemaligen Verbündeten, der Opposition und der bitteren Realität zu Staub zerbröselt. Ob er noch bis zu den regulären Wahlen 2023 durchhält, darf bezweifelt werden. Die Wähler brauchen ein Ventil, auch wenn nach Wahlen und mit eine Rechtsregierung für die meisten sehr wahrscheinlich wenig bis nichts besser wird.
Zum Thema: Wassermelone oder Urlaub - Preissteigerung in Spanien.