Dialog mit Katalonien: Spaniens Regierung kippt Aufruhr-Gesetz gegen Separatisten

Mit einem 100 Jahre alten Artikel im Strafrecht verurteilte ein Gericht katalanische Separatisten zu drakonisch hohen Haftstrafen. Die spanische Regierung kippt das Gesetz und sieht sich Vorwurf des Hochverrats ausgesetzt.
Madrid - Spanien macht Schluss mit dem „Aufruhr“. Die Regierung legen einen Gesetzentwurf vor, der einen umstrittenen Artikel des Strafrechts ins juristische Nirwana schicken soll. Es handelt sich um die Sedición, mit dem eine frühere, demokratische gewählte Landesregierung aus Katalonien zu drakonisch hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurde.
Kein Aufruhr mehr in Spanien: Regierung kippt umstrittenen Artikel im Strafrecht
Damit erreichen die Bemühungen von Ministerpräsident Pedro Sánchez im Umgang mit den inzwischen begnadigten Separatisten in Katalonien, weniger auf Strafverfolgung und mehr auf Dialog zu setzen einen weiteren Höhepunkt. Spanien passt seine Gesetzgebung an die anderer europäischer Länder an und ersetzt den Strafbestand des Aufruhrs mit Höchststrafen von bis zu 15 Jahren durch den „schwerer öffentlicher Unruhen“ mit höchstens fünf Jahren Haft. Auch das Verbot, öffentliche Ämter in Spanien auszuüben, soll auf maximal acht Jahre reduziert werden.
Von der Gesetzesänderung profitieren die Anführer des katalanischen Separatisten von 2017, die damals ins Ausland flohen. So müssen der in Belgien lebende damalige Chef der Landesregierung Carles Puigdemont, und andere Mitstreiter bei einer Rückkehr nach Spanien nicht mehr befürchten, zu sehr langen Haftstrafen verurteilt zu werden wie ihre Kollegen, die nicht vor dem Gerichtsprozess flüchteten.
Die Sedición heißt wörtlich übersetzt eigentlich Aufruhr und bezeichnet ein Vergehen, was in Deutschland möglicherweise als Widerstand gegen die Staatsgewalt oder ein Attentat gegen sie bezeichnet werden würde. So jedenfalls interpretiert die spanische Regierung diese Vorfälle um das illegale Referendum und die einseitige Unabhängigkeitserklärung in Katalonien. Lässt sich tatsächlich, was im Herbst 2017in Katalonien geschah, als ein „Widerstand von einer Vielzahl von Personen mit der Ausübung von Gewalt und Bedrohung“ einordnen, der das Ziel verfolgte, „die Durchsetzung von Gesetzen, administrativer oder juristischer Verordnungen zu verhindern oder zu behindern“? Dann wäre es in der Tat schwer vorstellbar, dass in anderen europäischen Ländern eine Person ohne Vorstrafen für die Organisation eines Referendums zu bis zu 13 Jahre Haft verurteilt werden würde.
Wie „Aufruhr“ in anderen Ländern juristisch geregelt ist: Spanien mit strengen Strafen
Rebellion ohne Waffengewalt wird in Frankreich mit zwei bis drei Jahren bestraft, auf Widerstand gegen die Staatsgewalt steht in der Schweiz bis zu drei Jahre und Deutschland ahndet die Störung des öffentlichen Friedens mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. In Portugal dagegen müssen Rebellen und Ruhestörer auch mit hohen Strafen von bis zu acht Jahren rechnen.
Der Artikel des Aufruhrs reicht in Spanien zurück auf das Jahr 1922, als die spanische Republik ähnlich wie die Weimarer Republik versuchte, sich gegen Staatsstreiche zu wappnen. Die Sozialisten von Pedro Sánchez haben die Reform dieses Artikels im Wahlprogramm stehen, auch wenn sie im konservativen Flügel und in Kastilien La Mancha und in Aragón nicht gerne gesehen wird. „Überall steigen die Preise und das einzige was sinkt sind die Strafen für Attentate gegen die Verfassung“, meinte der Ministerpräsident aus Kastilien La Mancha, Emiliano García-Page (PSOE).
Jubel hört man auch von den Separatisten nicht. „Gut, wir unterstützen das“, sagte Aitor Esteban von den gemäßigten baskischen Nationalisten. „Die Sedición ist eliminiert, gelöscht und verschwindet. Aber es sind noch weitere Schritte notwendig, um den katalanischen Konflikt aus dem juristischen Bereich zu holen“, meinte Père Aragonés, Ministerpräsident von Katalonien. Die Zurückhaltung lässt sich damit erklären, dass die Unabhängigkeitsbewegung weder im Baskenland noch in Katalonien derzeit auf der Tagesordnung der Menschen steht.
Kritik der Konservativen in Spanien: Referendum war eine Attacke gegen die spanische Verfassung
Was die Sozialisten als eine Angleichung an die Rechtsprechung der europäischen Nachbarn verkaufen, mit dem Verweis, dass nicht einer der verurteilten und geflüchteten Separatisten ausgeliefert werden konnte, stößt im konservativen Lager auf große Ablehnung. C‘s-Sprecherin Inés Arrimadas fordert einen Misstrauensantrag gegen Pedro Sánchez, der mit der Reform Spanien der Gefahr eines Staatsstreiches aussetze. Vox spricht von einem „abscheulichen Pakt“ mit den Separatisten wider den Rechtsstaat, nur um den Haushalt verabschieden zu können. Sturm gegen das Vorhaben läuft aber vor allem die PP. Parteichef Alberto Núñez Feijóo klagt ein Attentat auf die Verfassung an und verurteilt den Versuch, eine rechtskräftige Verurteilung nachträglich umzuschreiben. Die PP ließ kürzlich sogar einen dringend nötige Einigung mit der Regierung über die Neubesetzung wichtiger Justizposten sogar platzen wegen dieses Vorhabens. Und ganz von der Hand zu weisen sind die Vorwürfe nicht.
Der Oberste Gerichtshof verurteilte die Separatisten mit dem Artikel der Sedición und behauptete, dass in anderen europäischen Ländern die Rädelsführer aus der damaligen katalanischen Landesregierung möglicherweise noch viel strenger verurteilt worden wären. Weil der Aufruhr sich nicht gegen die öffentliche Ordnung, sondern gegen die territoriale Integrität und damit gegen die spanische Verfassung richtete. Die konservative Volkspartei PP verweist darauf, dass wer in Frankreich die Republik stürzen will, mit einer lebenslangen Haft rechnen muss und Deutschland stehen darauf bis zu zehn Jahre. PP, ebenso wie Ciudadanos und Vox schätzen den Procés eher wie einen Staatsstreich ein, die Sozialisten, die Linksparteien und Separatisten wie eine Widerstandsbewegung. Was war es?
Der katalanische Procés ist eine soziale Bewegung, die auf die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Katalonien abzielt und zurückgeht auf das Jahr 2012 und eine Regierungsvereinbarung von Artur Más und jenem Oriol Junqueras, der als stellvertretender Ministerpräsident zu über 13 Jahren Haft verurteilt wurde. Ziel war, eine Volksbefragung über die Selbstbestimmung Kataloniens abzuhalten. Dies setzte in den Folgejahren einen schier endlosen Streit zwischen der Landesregierung in Katalonien und der Staatsregierung in Gang, der in den Gerichten ausgetragen wurde.
Starkt vereinfacht gesagt lief das so ab: Die Landesregierung verabschiedet immer wieder ein neues Gesetz, das dieses Referendum ermöglichen sollte, die Volkspartei in Madrid zog immer wieder vors Verfassungsgericht, das das Vorhaben in Katalonien ein ums andere Mal verurteilte. Gleichzeitig wuchs der Separatismus als soziale Bewegung enorm an und gewann in Katalonien immer mehr Fürsprecher, während die Madrider Regierung stetig schwächer wurde ob der zahlreichen Korruptionsvorwürfe. Die einzige andere Antwort aus Madrid auf die Herausforderung aus Katalonien waren die Rechtsprechung und Gerichte. Politik gab es keine.
Kein Aufruhr mehr in Spanien: Kommt Carles Puigdemont jetzt bald zurück?
Am 1. Oktober hielt Ministerpräsident Carles Puigdemont ein Referendum ab, das zuvor das Verfassungsgericht für illegal erklärt hatte. Die Polizei versuchte die Abstimmung zu verhindern, den Wahlgang zu behindern und die Urnen zu konfiszieren. Dabei kam es zu Ausschreitungen. 43 Prozent der Katalanen nahmen trotzdem an der Abstimmung teil und stimmten zu 90 Prozent für eine Unabhängigkeit. Mit diesem Ergebnis in der Hand verabschiedete der Landtag am 27. Oktober die einseitige Unabhängigkeitserklärung, die kein Land auf der Welt anerkannte. Noch am selben Tag entmachtete die spanische Regierung mit dem Verfassungsartikel 155 das Kabinett Puigdemont und stellte Katalonien unter Zwangsverwaltung.
Die Mitglieder der damaligen Landesregierung sowie zwei Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung wurden im Juni 2019 unter anderem wegen Aufruhrs zwischen neun und 13 Jahren verurteilt. Zwei Jahre später begnadigte die Regierung unter Pedro Sánchez die Verurteilten des Procés, drei Monate später zerbrach die Koalition der katalanischen Landesregierung und die ERC reagiert seitdem in Minderheit. Diese katalanischen Republikaner sind in Madrid der wichtigste Bündnispartner der Koalition aus Sozialisten und Podemos.
Mit Sicherheit denkt die Regierung bei der Abschaffung der Artikels der Sedición an die katalanischen Separatisten der ERC, die nach wie vor eine Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien als Fernziel anstreben. Der Umgang der Regierung Sánchez mit der Unabhängigkeitsbewegung verläuft unter dem Primat des Dialogs viel harmonischer als der der PP. Die Regierung Rajoy beschritt nur den Rechtsweg und ignorierte dabei, dass der Procés keine politische, sondern vor allem eine soziale Bewegung war und ist. Die Folge war ein bitteres Scheitern - für Spanien und Katalonien.
Die Katalanen wollen das Recht, über ihre Zukunft und Zugehörigkeit zu bestimmen. Wenn heute die Unabhängigkeitsbewegung nicht mehr in Massendemonstrationen auf der Straße ist, kann das auch daran liegen, dass weite Teile der Katalanen nun zumindest das Gefühl haben, von der Regierung angehört zu werden. Das hat viel verändert. Unter der Regierung Sánchez sank auch der Zuspruch für eine Unabhängigkeit Kataloniens kontinuierlich. Da kann man auch als pragmatischer Beobachter in Frage stellen, ob Alberto Núñez Feijóo wirklich diese Reform stoppt oder verhindert, falls er an die Macht kommen sollte. Nichts spricht in Spanien für die Sedición.
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