Ein Linksruck für die billigen Plätze also? Die Rede von Ministerpräsident Sánchez erinnert an einige aus der Pandemie-Zeit, an griffige Richtlinien wie „keiner bleibt zurück“ knüpft er nun mit Phrasen an, die Einigkeit im Angesicht von Seuchen wie Pandemie, Krieg und Inflation schmieden sollen: „Ich werde die arbeitende Mittelklasse bis auf mein letztes Hemd verteidigen“, meint er.
Jetzt geht es nicht mehr um die Gleichstellung einer Handvoll von Menschen mit bestimmten sexuellen Identitäten, auch nicht mehr um die Reparationen moralischer Schäden einiger Hinterbliebener, deren Angehörige von Faschisten verfolgt wurden – jetzt geht es um die Familie, die im Supermarkt eine Wassermelone kaufen oder an der Tankstelle das Auto auftanken muss. Auf dieser populistischen Schiene fährt Pedro Sánchez stets gut. Das hat ihm den Rücken stets freigehalten, um eine durchaus fortschrittliche sozialdemokratische Politik zu machen. Aber von einem Linksruck zu sprechen, mutet verwegen an, angesichts von Ukraine, Nato, Inflation und Wirtschaftskrise – wo bitte soll da Spielraum für einen Linksruck bleiben?
Mit der Bankensteuer wird der Staat 1,5 Milliarden Euro im Jahr einnehmen, mit der Gewinnsteuer für Energieunternehmen weitere zwei Milliarden Euro pro Jahr. Weder an der Börse noch bei den Arbeitnehmern, und schon gar nicht bei der Opposition kam das sonderlich gut an. Vox-Sprecher Santiago Abascal hat gar nicht mal so unrecht, wenn er Sánchez vorhält, dass der größte Gewinner der Inflation der Staat ist, auch wenn diese Erkenntnis nicht von ihm stammt.
Die Volkspartei (PP) hält die Wirtschaftspolitik der Regierung für gescheitert, die Maßnahmen gegen die Inflation für wirkungslos und will bereits den Weg für den erwarteten Wahlsieg im November 2023 ebnen. Daher greift die PP Sánchez wegen der Partner an, auf die der angewiesen ist – vor allem Bildu (basksische Nationalisten), die die Konservativen als eine Schmach für alle Opfer des ETA-Terrorismus sehen. Als PP-Sprecherin Cuca Gamarra um eine Schweigeminute im Gedenken an den von der ETA ermordeten Politiker Miguel Ángel Blanco ausrief, erhoben sich auch alle Abgeordneten von Bildu.
Zum leidenschaftlichen Schlagabtausch kam es allerdings mit dem Regierungspartner ERC. Der Sprecher der katalanischen Separatisten, Gabriel Rufián, griff harsch das Vorgehen der Guardia Civil und marokkanischen Grenzbeamten an und brachte drei Patronenhülsen mit, die angeblich in Melilla gefunden wurden, dort, wo 23 Migranten starben. Da rang Sánchez mit der Fassung. Dann zeigte er auf die Decke des Parlamentsgebäudes, wo noch die Einschusslöcher des Putschversuchs vom 23. Februar 1981 zu sehen sind, und erinnerte Rufián daran, dass in diesem Saal keine Waffen, sondern Wörter gebraucht werden.
Doch zurück zur praktischen Politik: Eigentlich wollte Sánchez der PP mit einer umfassenden Steuerreform den Wind aus den Segeln nehmen. Doch für die Entlastung breiter Bevölkerungsschichten hat der Staat kein Geld, da zu viele unterhalb der "Mittelschicht" dringende Hilfen benötigen. Auch wenn die Inflation zunächst jene am härtesten trifft, die den größten Teil - oder alles - ihres Einkommens für das Lebensnotwendige aufbringen müssen, lag die Teuerungsrate doch für alle im zweistelligen Bereich im Juni. Zwar behauptet die Regierung, ohne ihre Maßnahmen läge die Inflation bei 15 Prozent, doch nachprüfen lässt sich das nicht.
Anstelle Steuerreform soll es einen Einkommenspakt geben, koordiniert mit Arbeitgebern und Gewerkschaften über drei Jahre. Eine Art konzertierte Aktion also. Alle Beteiligten sollen sich mäßigen. Die Arbeitgeber, was ihre Gewinne anbetrifft. Die Gewerkschaften in Sachen Lohnforderungen. Und die Regierung? Auch von ihr wird erwartet, dass sie weniger das Füllhorn über bestimmte Kollektive ausschüttet. Ein erstes Spitzentreffen zwischen Regierung und Sozialpartnern fand bereits statt. Konkrete Ergebnisse gab es keine. Nach der Sommerpause soll es weitergehen.
Wirtschaftsministerin Nadia Calviño geht es zwar primär darum, Arbeitgeber und Gewerkschaften davon zu überzeugen, dass eine Mäßigung im Interesse aller sei. Man wolle aber auch andere wichtige Themen wie die Anpassung der Renten oder die öffentlichen Ausgaben bei den Treffen ansprechen. Allerdings will die Regierung eine Erhöhung des Mindestlohns – aktuell 1.000 Euro (bei 14 Monatszahlungen) – in den Pakt einbeziehen. Für die Arbeitgeberseite äußerte CEOE-Präsident Antonio Garamendi, man wolle sich keineswegs Lohnerhöhungen widersetzen. Man sollte sie allerdings nicht an die Inflationsrate knüpfen.
Garamendi appellierte an die Regierung, auch die Angestellten des öffentlichen Dienstes einzubeziehen. Dass deren Bezüge gemäß der Teuerungsrate steigen sollen, während sich alle anderen mäßigen, sei inakzeptabel. Auch die jährliche Rentenanpassung gemäß Inflationsrate müsse aufgehoben werden. Die Gewerkschaften gaben sich kämpferisch. UGT und CC.OO. beharrten darauf, dass in den anstehenden Tarifverhandlungen eine Klausel eingeführt wird, die Lohnerhöhungen gemäß der Inflationsrate garantieren. UGT-Chef Pepe Álvarez äußerte: „Die Unternehmen übertragen die Kosten an die Produkte oder an die Dienstleistungen, die sie verkaufen. Niemand kann verlangen, dass die Arbeiter ihre Löhne nicht an die Lebenshaltungskosten anpassen.“ Beide Gewerkschaften machten klar, dass sie keine Konfrontation scheuen würden.