1. Costa Nachrichten
  2. Spanien
  3. Politik und Wirtschaft

Spanien: Historische Lohnerhöhung im Handel - Teuerung zieht wieder an - Zaghafte Rentenreform

Erstellt:

Von: Marco Schicker

Kommentare

Kasse im Carrefour in Spanien.
Gehalt ist nicht alles. Für hunderttausende Angestellte im spanischen Handel geht es auch um die Freizeit an Wochenenden und Feiertagen. © EFE/Archivo

260.000 Arbeitnehmer von Carrefour bis Ikea und Corte Inglés bekommen 17 Prozent mehr Gehalt - binnen 4 Jahren. Das sei „historisch“, doch die Teuerung nagt daran wieder gieriger, vor allem bei Lebensmitteln. Die Regierung legt außerdem eine bereits im Ansatz umstrittene Rentenrefom vor.

Madrid - Gewerkschaften des Handels in Spanien einigten sich mit dem Arbeitgeberverband Anged auf eine, wie beide Seiten betonen, „historische Lohnerhöhung“. Das Abkommen betrifft rund 260.000 Mitarbeiter großer Handelsketten, darunter: El Corte Inglés, Carrefour, Ikea, Leroy Merlin, Media Markt, Fnac, Eroski, Apple, Alcampo, CostCo und Tendam (u.a. Cortefiel) und umfasst Gehaltssteigerungen von 17 Prozent in vier Schritten bis zum Jahr 2026. Gleichzeitig wird in dem neuen Kollektivvertrag das Minimalgehalt sukzessive auf 18.000 Euro brutto (bis heute 15.025 Euro) angehoben. Der gesetzliche Mindestlohn in Spanien beträgt seit 2023 15.120 Euro.

17 Prozent mehr Gehalt in vier Jahren in Spaniens Handel

Die Lohnanpassung wird 2023 mit 4,5 Prozent mehr Gehalt sowie 3 Prozent des Einkommens als Einmalzuschlag starten, 2024 wurde eine Lohnerhöhung von 4,5, 2025 von 3 und 2026 von nochmals 2 Prozent vereinbart. Damit liegt die Gesamtsteigerung nur einen Prozentpunkt unter der ursprünglichen Forderung der Gewerkschaften von 18 Prozent. Die Arbeitgeber zeigen sich zähneknirschend damit zufrieden, weil sie nun Planungssicherheit hätten, übersetzt: auch Ruhe vor Streiks zumindest bis 2026 sowie eine geringere Abwanderung aus der Branche, die zuletzt - eben auch wegen der schlechten Bezahlung sowie familienfeindlichen Arbeitszeiten - immer mehr Probleme bekam, Hilfs- und Fachkräfte zu finden. Der Abschluss ist aber auch taktischer Natur und nimmt der Linken Wind aus den Segeln mit Hinblick auf die anstehenden Kommunal-, Landtasgs- und Parlamentswahlen in Spanien 2023.

Mercadona Supermarkt in Spanien.
Spaniens Inflation steht im September 2022 bei 9 Prozent, doch Lebensmittel verteuerten sich im Schnitt um 15 Prozent. © EFE

Im Kollektivvertrag wurde zudem verankert, das Urlaubsgeld von 350 auf 450 Euro (+29 Prozent) anzuheben, sowie die Home Office Pauschale als Zuschuss zu Internet- und Stromkosten von 25 auf 35 Euro monatlich zu steigern. Der Anteil der Wochenend- und Feiertagsarbeit soll 30 Prozent pro Arbeitnehmer nicht übersteigen, neun Wochenenden sollen garantiert frei sein. Außerdem wurden Freistellungen verankert, für Arbeitnehmer, die alte Menschen (über 70 Jahre) zum Arzt oder anderen wichtigen Terminen begleiten müssen. Bis 2026 sollen die unbefristeten Arbeitsverträge 90 Prozent aller ausmachen. Die Vereinbarung gilt indes nur für die genannten Unternehmen, die großen Supermarktketten Mercadona, aber auch Lidl oder Aldi haben eigene Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen, die sich aber meist - auch, um Abwanderung zu vermeiden - an jenen des Anged-Verbandes annähern und manchmal sogar einen Tick besser sind.

Teuerung in Spanien liegt deutlich über Lohnanstieg

Nach dem Inflations-Schock 2022, die am Jahresende mit einer Teuerung von 5,7 abschloss, vor allem wegen staatlicher Eingriffe durch mehrere Anti-Inflations-Pakete der spanischen Regierung, zieht die Inflation 2022 nach 5,9 Prozent im Januar, im Februar mit 6,1 Prozent wieder an. Auch das hat mehr mit dem Auslaufen bzw. der Umschichtung staatlicher Interventionen zu tun als mit der realen Preisentwicklung. Für „Otto Normalverbraucher“ indes verteuerte sich das Leben deutlich stärker: Lebensmittel verteuerten sich in Spanien 2022 um 15,4 Prozent und der erhoffte Preisrückgang durch die Suspendierung bzw. Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs blieb bisher aus.

Der reale Kaufkraftverlust, den die Mehrheit der Spanier auch im Alltag spüren, führt zum Rückgang des Konsums, was auch die Bereitwilligkeit der Arbeitgeber erklärt, sich auf eine selten hohe Gehaltserhöhung einzulassen. Betrachtet man aber die Teuerung des realen Warenkorbs der Spanier, also mit einem höheren Anteil der Lebensmittel und auch eingedenk saisonaler Schwankungen, werden nicht einmal die Angestellten des Handels mit den 17 Prozent in vier Jahren ihre Kaufkraft von vor 2022 wiedererlangen, selbst, wenn die Inflation sich bei 2-3 Prozent pro Jahr einpendeln sollte. Denn auch die - ironischerweise als Inflationsbremse - angehobenen Zinsen schlagen auf die „kleinen Leute“ durch, in Form von massiven Steigerungen der Hypothekenraten.

Trotz Senkung der Mehrwertsteuer: Lebensmittel bleiben in Spanien Preistreiber Nummer 1

Das Statistikamt INE erklärt deutlich, dass Verkäufer ihre Preise zu Jahresbeginn „anpassen“, „Im Vergleich zum Februar 2022 stiegen im Februar 2023 die Strompreise und auch die Lebensmittel sowie nichtalkohlische Getränke werden stärker verteuert als im Februar des Vorjahres“, so die Statistiker. Der Wegfall des 20 Cent-pro-Liter-Zuschusses für private Autofahrer, tut ein Übriges. Die Kerninflation (ohne Energie und saisonale Produkte) stieg im Februar sogar auf 7,7 Prozent, ebenfalls zwei Zehntel mehr als im Januar. Experten sind sich uneinig über den Fortgang der Teuerung, in Europa und in Spanien. Einige meinen, dass die Unsicherheiten durch den anhaltenden Ukraine-Krieg eine dauerhafte Stabilisierung verhindern, andere glauben, dass sich Richtung Jahresmitte die Lage „einpendelt“ und beruhigt, wieder andere glauben an einen Inflationsschub in der spanischen Urlaubssaison, weil die Tourismusindustrie dann versuchen könnte, ihre gestiegenen Kosten - und vielleicht ein bisschen mehr - bei den Touristen zu holen.

Weitere Rentenreform in Spanien: Abgaben steigen, Renten auf, Reiche zahlen mehr ein, Frauen als Gewinner

Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez
Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez wünscht sich Konsens für die Rentenreform. © Moncloa

Die Regierung hat ihren Plan zum zweiten Teil der Reform der Renten vorgelegt. Nachdem die Renten zum Januar 2023 um 8,5 Prozent angehoben worden sind und die Bevölkerungspyramide weiter auf dem Kopf steht, müssen die Rentenkassen gefüllt und zukunftsfähiger gemacht werden. Bereits vor einem Jahr wurde an den Berechnungsgrundlagen und Eintrittsaltern geschraubt. Derzeit gibt Spanien rund 12 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistungen für Rentenzahlungen aus, bis 2050 wird dieser Anteil, durchschnittliches Wachstum vorausgesetzt, auf mindestens 15 Prozent steigen. Diese Bresche von zur Zeit etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr muss geschlossen werden.

Die Regierung will dabei die Rentenbeiträge für höhere Gehälter stärker erhöhen als für Durchschnitteinkommen. Mit Januar 2023 stiegen die Rentenbeiträge für Angestellte um 0,6 Punkte und werden bis 2029 auf +1,2 Punkte erhöht, 80 Prozent davon fällt auf die arbeitgeberseitigen Abgaben. Gleichzeitig wird die bisherige Deckelung der Beiträge ab Einkommen von knapp 54.000 Euro pro Jahr aufgehoben. Alles was darüber liegt wird ab sofort 2025 mit 1 Prozent Rentenbeitrag belegt, was bis 2045 bis 6 Prozent angehoben wird. Naturgemäß ist es dieser Teil, den die Arbeitgeberseite strikt ablehnt, er würde „Arbeitsplätze vernichten“.

Gericht in Spanien berechnet „25 Jahre Hausfrau“ nach Mindestlohn: Ex-Mann muss 200.000 Euro zahlen (Video):

Die Regierung will die Rente sozial gerechter berechnen und dabei auch die Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen ausbügeln, so soll die Mindestrente an 60 Prozent der Durschnittsrente betragen, ähnlich wie die Regierung Sánchez den gesetzlichen Mindestlohn an 60 Prozent des Durchschnittslohns koppeln will. Für Mindestrenten für Menschen ohne Beitragsaufkommen, Sozialhilferenten, sollen 75 Prozent der Armutsgrenze gelten. Bisher werden für die Berechnung der Renten die letzten 25 Jahre Beitragszahlung herangezogen, ab 2025 werden es die letzten 29 Jahre sein, die zwei schlechtesten Jahre werden gestrichen. Das bevorteilt wiederum Arbeitnehmer, die lange zu ähnlichen Einkommensbedingungen arbeiteten, - also die berite Mehrheit - benachteiligt aber z. B. Selbständige oder „Karrieristen“, die in den letzten Jahren vor der Rente ihre höchsten Einkommen generierten. Ausfallzeiten von Frauen wegen Mutterschaft fallen weniger schwer ins Gewicht als zuvor. Die Renten der Frauen werden außerdem in den kommenden beiden Jahren jeweis um 10 Prozent stärker steigen als jene der Männer, um die „Geschlechterschere“ etwas zu schließen.

Zum Thema: Statistik macht nicht satt - Über die Schieflage bei den Einkommen in Spanien.
Zum Thema: 1000 auf einen Streich - Massiver Stellenabbau bei Ford Spanien.

Auch interessant

Kommentare