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María, hilf! Spanien erlaubt Cannabis für medizinische Zwecke - Keine Marihuana-Freigabe

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Von: Marco Schicker

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Marihuana auf einer Waage.
Dass es „hierba“, Marihuana-Kraut bald in spanischen Apotheken frei zu kaufen wird, bleibt für María-Fans wohl ein Wunschtraum. © Add Weed/Unsplash

Spanien ist nicht nur ein Land der Kiffer, sondern auch Marktführer bei Anbau und Handel von Marihuana und Haschisch. Die Freigabe von Cannabis-Produkten für Schmerzpatienten ist ein Fortschritt, aber keine Legalisierung. „Gras“ bleibt in der Grauzone: Was erlaubt ist und was nicht.

Madrid - Sie fallen noch immer unter den lateinisch inspirierten amtlichen Oberberbegriff: Estupefacientes, wörtlich: Dummmacher. Cannabis-Produkte mit dem Wirkstoff THC, also vor allem Marihauna, vulgo "Gras" und das Haschisch-Harz stehen damit auf einer administrativen Skala wie Kokain, Metamphetamine, Opiate aller Art.

Dieser Tage hat das spanische Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, die den Weg frei macht, damit "medizinisches Cannabis" demnächst legal eingesetzt werden kann, in erster Linie für die Schmerztherapie bei Langzeit-Krebspatienten, bei chronischen Schmerzpatienten, zum Beispiel Multiple Sklerose, sowie in der Palliativmedizin, wenn Ärzte die Anwendung für sinnvoll erachten. Dabei ist in Spanien nicht nur an die klinische Anwendung gedacht, sondern auch an die Verschreibung per Rezept und die Abgabe über Apotheken von standardisierten Präparaten, vornehmlich in der Form von Ölen durch lizensierte Hersteller, die jedoch nicht nur typische Pharmafirmen sein müssten, wie das Gesetz erklärt.

Spanien legalisiert Cannabis für medizinische Anwendungen

Sowohl Mediziner als auch Patientenvereine kämpften in Spanien jahrelang vergeblich für diese Lösung, trotz eines weitgehenden Konsens unter internationalen Forschern und Medizinern, dass Marihuana und andere Cannabis-Produkte unter ärztlicher Aufsicht als effektive und realtiv sichere Schmerzmittel gelten, deren Nebenwirkungen im Vergleich zu den gängigen rein chemischen Pharmaka deutlich geringer sind.

Im Gesundheitsausschuss des Parlamentes fand der Gesetzentwurf der PSOE-Regierungspartei nach acht Monaten Gefeilsche die Zustimmung des linken Koalitionspartners Podemos, den liberalen Ciudadanos, den navarresischen Nationalisten und den katalanischen Separatisten von PdECat. Die Republikanische Linke und die Basken enthielten sich, PP und Vox stimmten dagegen. Bis die Freigabe von therapeutischem Cannabis Realität wird, muss allerdings noch die Agencia Española de Medicamentos y Productos Sanitarios, die spanische Zulassungsstelle für Medikamente einen praktikablen Rahmen dafür schaffen, in sechs Monaten soll es so weit sein.

Freigabe von medizinischem Cannabis in Spanien keine Legalisierung von Marihuana

Wer hofft, die Freigabe von Cannabis-Produkten für medizinische Zwecke würde in Spanien ein Schritt in Richtung generelle Legalisierung des Marihuana, im Volksmund María, bedeuten, wird enttäuscht sein. Zwar ist das Kraut so präsent und beliebt wie ein frisches Bier, doch das Land sieht sich in einem Dilemma gefangen. 37,5 Prozent aller Spanier geben zu, einmal im Leben gekifft zu haben, was Experten für eine maßlose Untertreibung halten, 10 bis 15 Prozent geben an, hin und wieder oder durchaus regelmäßig am Joint zu ziehen. In weiten Teilen vor allem der jungen Gesellschaft ist Marihuana sehr präsent.

Frau dreht sich einen Joint.
Die „Tüte“ gehört in Spanien vor allem bei jüngeren Leuten zum Lifestyle, wie bei älteren das tägliche Bierchen. © Unsplash

Die Argumente, eine Legalisierung von Anbau, Konsum und Weitergabe von Gras oder Haschisch, würde den kriminellen Netzwerken die Geschäftsgrundlage entziehen und eine kontrollierte Abgabe gefährliches Panschen verhindern und gleichzeitig Steuereinnahmen bereiten, klingen logisch und nett, verfehlen aber die spanische Realität. Denn Spanien ist nicht nur ein führendes Konsum-Land, sondern auch einer der größten Produzenten sowie der wichtigste Handels- und Umschlagplatz für den europäischen Markt. Vor allem aus dem Maghreb, also Marokko und Algerien gelangen Unmengen Marihuana und Haschisch ins Land, um von hier nach Mittel- und Nordeuropa geliefert zu werden.

Nummer 1 in Handel und Anbau: Spanien ist Marihuana-Marktführer in Europa

Das Klima machte Spanien zudem zu einem großen Produzenten, das "leere" Spanien, mit aufgegebenen Landstrichen, leerstehenden Fabrikhallen, kaum bewohnten Urbanisationen im Nirgendwo lud "Bauern" dazu ein, Hanfpflanzen im industriellen Maßstab anzubauen. Handel und Produktion aber würden wegen des europäischen Marktes nicht absterben, solange es keine EU-weit einheitliche Gesetzeslage, sprich EU-weite Legalisierung dieser Pflanze und ihrer Produkte gibt. Bis dahin rupfen spanische Polizisten weiter tausende Pflanzen aus, verurteilen die Delinquenten hauptsächlich wegen peripherer Straftaten, Abzapfen von Strom, Geldwäsche. Und für nicht wenige kriminelle Gangs ist Marihauna nur ein Produkt in der Palette, die von Waffen bis Prostitution reicht.

Dennoch äußerten sich Richter, aber auch Kriminalisten und Polizisten zum Teil positiv einer Freigabe von Marihuana gegenüber. Die aufwändige Jagd nach Plantagen von ein paar hundert Pflanzen binde viele Kräfte und versickere juristisch im Nichts. Verurteilungen führten zu keinem generalpräventiven Effekt, sprich einer Abschreckung, denn alles, was Spanien - oft mit Investitionen und logistischem Know How von Drogenhändler-Clans aus Irland, Großbritannien, Holland, Frankreich oder Deutschland -, nicht selbst produziere, würde über das Mittelmeer geschmuggelt, der Markt - der seit Jahren boomt - bliebe aber gleich groß. Wären Cannabis-Produkte legal, könnte sich die Polizei gänzlich auf die eigentlichen Big Player im Drogengeschäft besser konzentrieren. Und die handeln mit Kokain, Heroin und vor allem der ganzen Palette synthetischer Drogen, in denen viel mehr Geld steckt und die Spanien, man denke an die „tödlichen Dekaden“ der 80er und 90er Jahre, nachweislich viel mehr Probleme bereitet haben und bereiten.

Bis sich die Politik in Spanien und Europa beim Thema Marihuana zu einem Paradigmenwechsel durchringt, müssen Kiffer in einer Art Grauzone qualmen, werden zwar nicht mehr direkt kriminalisiert, aber durch eine verworrene Gesetzeslage gegängelt und das für ein Kraut, das harmloser als Schnaps ist. Zumindest für die meisten, denn der Verband der Psychologen und Psychiater in Spanien ist scharf gegen eine komplette Freigabe, fürchtet unkontrollierbare Auswirkungen auf psychisch labile Patienten, vor allem jene, die mit Depressionen zu kämpfen haben.

Was ist in Spanien mit Cannabis / Marihuana erlaubt, was ist verboten:

Die Rechtspraxis in Spanien ist eine Art Duldung, keine Legalisierung, aber auch keine Kriminalisierung des einfachen Konsumenten. Gestattet ist der diskrete Konsum von Marihuana im privaten Umfeld, der Besitz von bis zu 100 Gramm für den Eigenbedarf ist legal und auch die Kultivierung, also der Anbau von Marihuana-Pflanzen, also Hanf, ist laut dem Real Decreto 1729/1999 erlaubt.

Spanische Polizei in Hanfplantage.
Legal, illegal, ganz egal? Spanische Polizisten bei ihrer täglichen Tour durch Hanf-Dschungel. © Guardia Civil

Nun kommt aber das große Aber: Wenn Sie von diesen 100 Gramm auch nur eines verkaufen oder sich dafür ein Bier spendieren lassen, machen Sie sich strafbar. Jeder Handel ist untersagt. Die Samen für den Anbau müssen nach EU-Richtlinie zertifziert sein, also im Hanfshop erworben werden, wo nur solche mit reduziertem THC-Wirkstoffgehalt (0,2%) angeboten werden dürfen.

Die Marihuana-Pflanzen können Sie auf dem Balkon ziehen, sollte der aber öffentlich einsehbar sein oder sich ein Nachbar vom Geruch gestört fühlen, haben Sie jedes Recht verwirkt. Die Umsetzung dieser Maßgabe "nur ja nichts öffentlich", ist nicht nur regional unterschiedlich, sondern hängt tatsächlich von Lust und Laune des zuständigen Polizisten ab.

Cnnabis Clubs in Spanien: Fassade für Drogenhandel jeder Art

Seit den 1990er Jahren schossen in Spanien, eine Gesetzeslücke nutzend, die Cannabis Clubs wie Pilze aus dem Boden oder wie Hanfpflanzen im Gewächshaus. Die Idee war, dass sich Gleichgesinnte ihre Ernten mitbringen und in abgeschirmten Bereichen, in Gemeinschaft, aber doch privat, rauchen können. Dummerweise nutzten viele Schlauberger das Label Cannabis Club um diese privaten Vereine wie Coffee-Shops zu betreiben und einen regen Handel aufzuziehen. Clubs in Kellern von Wohnanlagen, wo auch angebaut wurde oder ganz andere Drogen als nur "Kräuter" auftauchten oder auch Clubs die von professionellen Banden einfach als Fassage genutzt wurden, brachten dieses Konzept in Verruf. Die Polizei ließ hunderte davon hochgehen, fast immer mit dem Nachweis, dass sie mehr waren als gemütliche Tabakskollegien.

Wer mit zu viel Marihuana angetroffen wird, dem wird Handelsabsicht unterstellt, wer in der Öffentlichkeit raucht, begeht einen "Anschlag auf die öffentliche Gesundheit", die Regelstrafe dafür fängt bei 601 Euro an und kann bis 30.000 steigen. Wem nachgewiesen wird, gewerbsmäßig und mit anderen zusammen, Handel oder Anbau zu betreiben, wandert, zumindest nach dem Gesetz, ins Gefängnis.

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