Heute fällt der Name González oft im Zusammenhang mit einer schweren Wirtschaftskrise. „La crisis de Felipe“ heißt sie im Volksmund. Weniger bekannt sind die Errungenschaften dieser ersten spanischen Links-Regierung der Nachkriegszeit, die das Land von Grund auf reformierte, ihm die Schulpflicht und die 40-Stunden-Arbeitswoche bescherte, es mit einem Gesundheitswesen und einer funktionierenden Sozialversicherung ausstattete und eine Gesellschaft modernisierte, die nichts so sehr wünschte wie diese Sonderrolle abzustreifen und aus ihrer Isolation auf der Iberischen Halbinsel auszubrechen.
„40 Jahre Demokratie, 40 Jahre Fortschritt“ so heißt die Ausstellung, mit der die Sozialisten in ihrem Parteisitz in der Calle Ferraz in Madrid ihre drei Regierungen in der modernen spanischen Demokratie seit dem Ende der Franco-Diktatur würdigen, nämlich die von Felipe González von 1982 bis 1996, die von José Luis Rodríguez Zapatero von 2004 bis 2011 und die aktuelle von Pedro Sánchez seit 2018. Der frühere Bürgermeister von Altea, Andrés Ripoll, der von 2007 bis 2011 das Künstlerdorf regierte, beklagte einmal nicht ohne Bitternis, dass die Sozialisten stets regieren, wenn es schwere Krisen zu bewältigen gilt – etwa die Transición, die Proteste gegen den Irak-Krieg und den Islamistischen Terror oder eben die Folgen der Sparpolitik zur Überwindung der Finanzkrise 2008.
Bei diesen drei PSOE-Regierungen musste González sicherlich die umwälzendsten Veränderungen „händeln“, die zweite mit Zapatero leitete dann sozialpolitische Veränderungen wie etwa die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und die Säkularisierung ein. Das Bild seiner hochschwangeren Verteidigungsministerin Carme Chacón, wie sie eine Parade der spanischen Truppen abnimmt, wird sicherlich in die Geschichtsbücher einziehen. Der politische Weg von Pedro Sánchez ist ja noch nicht zu Ende, aber er steht als Ministerpräsident an der Spitze der ersten Koalition seit Demokratiebeginn, die innenpolitisch das Land weg vom neoliberalen Sparkurs führt und sich zwei schweren globalen Krisen wie der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg stellen muss. Was alle drei bei allen Unterschieden eint: das Bemühen spanischer Sozialdemokraten nach sozialem Wohlstand und Solidarität.
In Bonn flog Helmut Schmidt just aus dem Kanzleramt, als Felipe González sich vor 40 Jahren in der Moncloa einnistete. Die 15 jungen Minister – allesamt Männer – wirken in den Erzählungen von Zeitzeugen eher wie ein Freundeskreis von Studenten, den gemeinsame Ideale, die Tabaksucht, das nächtelange Brüten über Reformen, unterbrochen vom Kickerspiel, sowie der Widerstand gegen die Franco-Diktatur einte. Wobei Felipe González sicherlich zurecht weniger mit Schmidt als vielmehr mit dessen Vorgänger Willy Brandt verglichen wurde, oftmals sogar als dessen politischer Ziehsohn bezeichnet wurde, und bei dessen Beisetzung er auch die Grabrede hielt.
„Meine Tochter hat mir mehr als 200 mal das Foto unter die Nase gehalten und gesagt, was für eine Macho-Regierung!‘ – also wirklich, das waren wir nicht, aber die Dinge waren damals so“, erinnerte sich der erste Innenminister der PSOE, José Barrionuevo gegenüber der Zeitung „El País“. Die Amigos mussten die ihnen zuteil gewordene Autorität verinnerlichen, indem sie sich nicht beim Vornamen, sondern als „Minister“ riefen und sich in dritter Person ansprachen. Den Ablauf der Kabinettssitzungen würden demokratiemüde Kreise heute despektierlich als Debattierclub bezeichnen. Wenig hatten sie gemeinsam mit den aktuellen Sitzungen des Consejo de Ministros, in denen eine Verordnung nach der anderen hinausgeblasen wird und manch einer sich fragt, wofür in einer Demokratie noch ein Parlament gebraucht wird, eine Debatte, ein Widerspruch.
Die spanische Politik ist professioneller geworden, trägt der Gesellschaft in all ihrer Verschiedenheit und Diversifizierung vielleicht besser Rechnung als damals, aber demokratischer, liberaler oder toleranter ist sie nicht geworden. Pedro Sánchez reiste zwölfmal persönlich beim Vulkanausbruch auf die Kanareninsel La Palma – aber mit seiner Omnipräsenz tritt kaum noch ein anderer PSOE-Minister in Erscheinung. Ein Respekt vor demokratischen Institutionen oder Prinzipien gibt es nicht mehr. Die Unabhängigkeit der Justiz wird ja vor aller Augen in Grund und Boden getreten. Zapatero wirkte etwas diskreter, aber auch er sah sich als der Agent seiner Regierung und stellte sich bei allen sozialen Errungenschaften, was Homoehe, Abtreibungsrechte oder Babyscheck anbetrifft, stets vor seine Minister.
González regierte ganz anders, er mischte sich kaum in die Ressorts seiner Minister ein und legte nie an ihrer Stelle Rechenschaft etwa im Parlament ab. Wobei die Mehrheitsverhältnisse von damals einem Felipe González auch vielmehr Spielraum verschafften als die von heute einem Pedro Sánchez.
Der frühere Kulturminister Javier Solana berichtete, dass González nie so sehr um sein Amt fürchtete wie bei der anstehenden Reinigung der Meninas. 1984 waren die Farben des Meisterwerks des Malers Diego Velázquez verblasst. Und so suchte Solana nach der qualifiziertesten Person und fand sie im Metropolitan Museum in New York, eben nicht im Prado in Madrid. Da soll González ihn zu sich zitiert und ihm gesagt haben: „Du bist verantwortlich, aber ich warne dich, wenn wir die Meninas verhunzen, dann brauchen wir uns hier nicht mehr blicken lassen.“ Die Operation glückte und – Ehre wem Ehre gebührt – mit den Lorbeeren schmückte sich Solana, nicht González.
Den Sieg von 1982 kann man vielleicht nicht als eine Geburtsstunde der Sozialdemokratie in Spanien bezeichnen, aber sicherlich als ihre Konsolidierung, als das Ende der Transición unter der Federführung von Adolfo Súarez und den Grundstein für das Zweiparteiensystem in Spanien. Man darf nicht vergessen, dass die PSOE während der Diktatur und bis 1977 verboten war. In den Augen der extremen Rechten waren Staatsfeinde an der Macht. Vor diesem Hintergrund kann man vielleicht verstehen, wieso die Sozialisten vor ein paar Tagen so empört reagierten, als in Kastilien-León der Vizeministerpräsident Juan García-Gallardo der rechtspopulistischen Partei Vox den PSOE-Chef Pedro Sánchez als „Anführer einer Bande Krimineller“ schimpfte. Das ist die Rhetorik der Ewig-Gestrigen.
Bei einem Sieg der Konservativen und damit der Altfranquisten 1982 wäre die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens im Sog der Gewerkschaften weit nach links und wie die Kommunisten in die Marginalität abgerutscht. Einer der großen Verdienste von González war, die PSOE zu einer linken Volkspartei zu machen. Einmal an der Macht, forderte die Realität allerdings schnell ihren Tribut. Reform, nicht Bruch, und Wandel, nicht Umsturz, machten sich als Maxime breit. Pazifisten und Gegner des Vietnamkriegs mussten Kriegsgerät und Panzer anschaffen, Sozialisten die Schließung ganzer Industriezweige und die Massenentlassung von Arbeitern verantworten. Ja, das „Proletariat“ machte bei zwei Generalstreiks mobil gegen die Genossen im Regierungspalast. Entgegen seiner eigenen Überzeugung und wider aller Versprechen führte Felipe González Spanien 1986 in die Nato. Verantworten wollte er das nicht, das Mandat zum Nato-Beitritt ließ er sich vom Volk nach einem Referendum erteilen.
„Die Situation war doch folgende: Wir mussten die Peseta abwerten, die Benzinpreise anheben, die zwei größten Industriekonzerne Rumasa und Explosivos Riotinto waren pleite. Weniger als zwei Jahre zuvor hatte es einen Staatsstreich gegeben. Die ETA tötete weiter mit Regelmäßigkeit. Nichts war einfach. Und Kritiker gab es viele. Wir mussten alle, inner- und außerhalb der Partei, überzeugen, dass die Sozialisten regieren konnten. Und so haben wir angefangen“, sagte der damalige Wirtschaftsminister Carlos Solchaga der Zeitung „El País“.
Vor 40 Jahren litt das damals nur 38 Millionen Einwohner große Land – heute sind es 47 – unter einer Inflation von 14 Prozent, die Arbeitslosigkeit lag mit fast 17 Prozent höher als heute, und das Staatsdefizit drückte mit sechs Prozent. Die Reformen machten die Lage lange Zeit keineswegs besser. Spanien blieb unter González aus ökonomischer Sicht ein armes Land. Die Wirtschaftskrise erreichte 1993 ihren Höhepunkt und die Reformen griffen erst, als die Sozialisten schon nicht mehr an der Macht waren.
Während ihrer Regierungszeit bis 1996 verlor die Peseta die Hälfte ihrer Kaufkraft, die Umstrukturierung der Stahlindustrie und des Schiffbaus vernichtete Tausende von Stellen und mit der Verstaatlichung des 700-Firmen-Konglomerats Rumasa und stückweisen Reprivatisierung hingen 60.000 Arbeitsplätze in der Luft. „Die Arbeitslosigkeit stieg in einem Rhythmus von 100.000 pro Monat, uns flossen die Arbeitsplätze weg wie Wasser durch den Abfluss, es war eine schwere Industriekrise, die wir von Franco geerbt hatten. Das erforderte eine Umstrukturierung. Dann kamen viele Gastarbeiter aus Deutschland und Frankreich zurück, die hier Arbeit suchten. Die Frauen drängten auch auf den Arbeitsmarkt. Uns standen auch überhaupt keine Instrumente zur Verfügung, um diese Probleme anzupacken“, sagte der damalige Arbeitsminister Joaquín Almunia.
Was González wohl ahnte, war, dass sein Vorgänger Adolfo Suárez dringend notwendige Reformen verschleppen musste, weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, die junge Demokratie gegen ihre Feinde von links und rechts zu verteidigen. Die notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Reformen erforderten Sicherheit und Stabilität. Und der Terror der ETA einhergehend mit der latenten Drohung von Staatsstreichen durch Putschisten machten Spanien handlungsunfähig. Als die Sozialisten an die Macht kamen, mussten sie sowohl das Heer in den Dienst den Staats stellen als auch die ETA bekämpfen. So begann, was als der „schmutzige Krieg“ gegen ETA in die Geschichte einging.
Die erste Heeresreform führte ein Verteidigungsminister mit eiserner Hand durch, der erstens nicht gedient hatte und obendrein aus Katalonien kam. Wen das heute nicht mehr beeindruckt: Die Konservativen haben gerade erst jede Zusammenarbeit mit der PSOE aufgekündigt, weil die angestrebte Strafminderung für das Delikt des Aufruhrs als ein Zugeständnis an katalanische Separatisten gilt. Das ist ein Sturm im Wasserglas verglichen mit der damaligen faktischen Entwaffnung und Entmachtung der Offiziersgarde und potentieller Putschisten durch den ehemaligen Bürgermeister von Barcelona, Narcís Serra.
Gleichzeitig unterstützte das Innenministerium von 1983 bis 1987 die GAL, eine Art halbstaatliche Gegenterrorgruppe, die im Umfeld der ETA entführte und mordete. Der damalige Innenminister José Barrionuevo wurde 1998 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Auch das Ansehen von Felipe González litt in seinem letzten Mandat sehr unter der GAL, auch wenn ihm kein Gericht eine Beteiligung an oder Verantwortung für diesen „schmutzigen Krieg“ nachweisen konnte. Die Lehre daraus zog Zapatero, der seinen Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba auf die ETA ansetzte und die Bande mit allen rechtsstaatlichen Mitteln rigoros verfolgte, während man gleichzeitig versuchte, auf dem Verhandlungsweg den Waffenstillstand und die Auflösung der Bande zu erzwingen.
Die González-Regierung trug mit vielen Reformen dazu bei, dass Spanien sich in eine moderne und weltoffene Demokratie entwickeln konnte. Entsprechend groß ist das Ansehen, das González international genießt, so stand er dem Rat der Weisen zur Zukunft Europas vor. Felipe González zählte auch zu den wenigen Regierungschefs, die sofort und uneingeschränkt die deutsche Wiedervereinigung begrüßten. Zu der Zeit war sein Stern bereits im Sinken. Die Wahlen von 1989 gewann er nochmal, doch von nun an musste auch er auf die Hilfe kleiner Parteien aus Katalonien und dem Baskenland bauen. Kurioserweise kritisierte González Jahre später Pedro Sánchez für dessen Bündnispartner und unterstützte 2016 dessen Sturz von der Spitze der Sozialisten. Auch Zapatero zog mit an den Strippen, um die Machtergreifung von Pedro Sánchez zu verhindern.
Im Laufe der 1990er Jahre zehrten Wirtschaftskrise und Korruption immer mehr am Ansehen und an der Macht der PSOE und an Felipe González. Der Korruptionsfall Roldán, der Rücktritt des Vizeministerpräsidenten Alfonso Guerra, die Verbrechen der GAL – all das erforderte einen Politikwechsel und machte deutlich, dass Macht nur für eine begrenzte Zeit verliehen werden sollte. 1996 errang die konservative Volkspartei den Wahlsieg und José María Aznar wurde Ministerpräsident.