In den Paragraphen 19 und 52 erklärt das aktuelle „Knebelgesetz“ praktisch die Unfehlbarkeit der Polizisten, ihre Aussagen über Einsätze und Vorfälle stehen im Gesetz nämlich unter „Wahrhaftigkeits-Annahme“. Das ist aus juristischer Sicht völlig aberwitzig und leistet dem Missbrauch durch Kameraderie Vorschub, verletzt Bürgerrechte bis ins Mark. Die linke Lösung dafür? Die „Wahrhaftigkeits-Annahme“ bleibt aufrecht, wenn die Aussagen der Polizisten „logisch, zusammenhängend und vernünftig“ sind oder klingen.
Spontane Versammlungen in der Öffentlichkeit sind laut Artikel 37 des „Knebelgesetzes“ verboten, Teilnehmer begehen bei unangemeldeten Manifestationen eine Ordnungswidrigkeit, den Organisatoren drohen hingegen hohe Haftstrafen. Hier will die linke Regierung deutlich einschreiten, die Versammlungsfreiheit soll nun nicht mehr nur in der Verfassung, sondern auch auf der Straße gelten, so lange administrativer Aufwand und Schaden verhältnismäßig bleiben. Spanien folgt hier dem deutschen Modell, wonach eine spontante Demonstration durch eine mündliche Absprache zwischen Organisator und Einsatzleiter vor Ort als „provisorisch angemeldet“ gilt.
Die Polizei wird außerdem künftig dazu verdonnert, den Einsatz von „Material“, das zur gewaltsamen Auflösung von Versammlungen dient, also Knüppel, Pfefferspray, Schilde, Räumfahrzeuge, „vorher laut und klar hörbar anzukündigen“ und nicht - wie derzeit möglich - unangemeldet in die Parade zu grätschen. Uneins ist man sich indes selbst in linken Kreisen, ob der Einsatz von Gummigeschossen und Elektro-Tasern mit ihren bekannten Risiken grundsätzlich als Option bleiben soll oder nicht.
Organisatoren von Demos wurden bis dato - theoretisch - für alle Straftaten verantwortlich gemacht, die während der von ihnen angemeldeten Veranstaltung begangen wurden. Dieser Passus im Paragraph 30 wird dahingehend geändert, dass diese Mithaftung entfällt, wenn der Veranstalter alle Sicherheitsauflagen erfüllt hat. Auch die „Einkreisung des Parlaments“ und anderer Gebäude in denen gewählte Volksvertreter tagen, wird nicht mehr als „schwere Straftat“ geahndet. Rajoy outete mit diesem Passus die panische Angst, die er anno dazumal vor der Wut von mit Zwangsräumung bedrohten Hypotheken-Schuldnern hatte, deren Banken er gerade mit 47 Milliarden Euro Steuergeldern gerettet hatte. Damals, 2011, entstand die Bewegung 15-M und die machte Rajoy noch mehr Angst. Zu Recht, wie die Geschichte zeigen würde.
Neben der Unterdrückung von Demonstrationen und Streiks, kümmert sich das Knebelgesetz auch gesondert um Aspekte, die eigentlich im normalen Strafrecht geregelt sind, was ihm den Charakter eines „Sonderpolizeigesetzes“ verleiht. Die linke Koalition will zum Beispiel die unmittelbare Sanktionierung von Straßenprostitution nur noch für Freier und Zuhälter aufrecht erhalten, die Prostituierten aber verschonen. Sie sollen nur aus Zonen verschwinden, die Minderjährigen zu nahe kommen könnten.
Der Besitz und der Anbau von Cannabis-Produkten und anderen „weichen“ Drogen zum Eigenkonsum soll weiter entkriminalisiert werden. Wie berichtet, ist in Spanien der Anbau und Besitz für den Eienbedarf legal, es genügte aber die schiere Sichtbarkeit einer Marihuana-Pflanze auf einem Balkon, um sich strafbar zu machen. Jetzt muss der Ort dafür mindestens „öffentlich zugänglich“ sein.
Ein besonders wichtiger Punkt ist das Verbot, Fotos oder Videos von Polizeieinsätzen zu machen. Dieses Verbot, das vor allem gedacht war, nichtpolizeiliche Beweismittel zu verhindern, fällt, aber nicht, weil die Politik es wollte, sondern weil es im Januar 2021 das Verfassungsgericht aufhob. Im Knebelgesetz betrifft dies den Artikel 37.1, der gestrichen werden muss. Lediglich bei der Publikation des Materials müssen „Sicherheit und Privatsphäre“ der Beamten gewahrt werden (verpixeln).
Reduziert werden auch Buß- und Strafgeldbemessungen, Polizisten, die an Demoeinsätzen teilnehmen, müssen an Lehrgängen zur „alternativen Vermittlung und Konfliktbeilegung“ teilnehmen. Keinen Konsens gibt es, so weiß es „El País“, beim Umgang mit „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Fehlendem Respekt gegenüber Beamten im Einsatz“ sowie bei den „heißen Abschiebungen“ an den tödichen Grenzzäunen von Ceuta und Melilla, für das „Knebelgesetz“ den dortigen Polizisten eine Art Freibrief ausstellte, der aber gegen internationales Recht verstößt. Die PSOE will ihn in Kraft lassen, bis ein kommendes „Ausländer-Gesetz“ hier Klarheit verschaffe. Linke Parteien fordern die umgehende Abschaffung.
Und es gibt doch einen Fortschritt: Das aktuelle Knebelgesetz behandelt in Paragraph 37.5 die bloße Nacktheit in der Öffentlichkeit, also auch jene ohne sexuelle Hintergedanken, als „obszönen Akt“, der unterbunden und bestraft gehört. Die Linken, wohl in einer nostalgischen 68er Aufwallung, wollen diesen Punkt streichen, „um den Lebensstil des Nudismus besser zu schützen“. Davon könnten die Bürger besonders profitieren, denn bekanntermaßen kann man einem nackten Mann/Frau nur schwer in die Tasche greifen.