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Wirrwarr in Spanien um neues Sexualstrafrecht - Fallen Vergewaltiger durch Gesetzeslücke?

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Von: Stephan Kippes

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Irene Montero
Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero. © I.Infantes./Pool/EUROPA PRESS/dpa

Verwirrung in Spanien um neues Sexualstrafrecht. Verurteilte Vergewaltiger kommen glimpflich davon. Das Oberste Gericht muss prüfen und eine Ministerin um ihren Job fürchten.

Madrid – Bei einem „lio“ verliert man sich in Spanien in einem verworrenes Durcheinander oder in einer emotionalen Geisterfahrt einer sporadischen Beziehung und in so etwas hat sich die Ministerin für Gleichberechtigung, Irene Montero, verfangen. Mit ihrem Gesetz „Nur ein Ja ist ein Ja“ kommt sie bei der Justiz überhaupt nicht an und erreicht bisweilen sogar das Gegenteil, was sie mit ihrem Gesetz zur sexuellen Gleichstellung – richtig Ley de la Garantía Integral de la Libertad Sexual – eigentlich beabsichtigte: Den Schutz der Frauen vor sexuellen Übergriffen. Nun aber sind in einigen Einzelfällen bereits gesprochene Urteile von sexuellen Übergriffen auch auf minderjährige Frauen auf Grundlage dieses neuen Gesetzes revidiert und die Haftstrafen gesenkt worden. Unter den Opfern herrscht Fassungslosigkeit: „Das ist wie eine eiskalte Dusche. Der ganze Kampf war für nichts“, sagt eine Frau gegenüber dem Fernsehen, deren Peiniger in die Freiheit kommen soll.

Wirrwarr in Spanien um neuen Sexualstrafrecht: Ministerin hält Richter für Machos

Die 34-jährige Ministerin der Linkspartei Podemos schäumte, unterstellte den Richtern Machismus und forderte eine in Geschlechtsfragen „sensiblere“ Justiz. Da blies der frische Wind wohl etwas zu forsch durch die Roben der Richter, die auf die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Rechtssprechung gar nicht erst hinweisen mussten. Ob der Attacken gegen die Richterschaft hagelte Rücktrittsforderungen von juristischen und politischen Rechtsverbänden, selbst linke Parteien verwiesen darauf, dass das Problem möglicherweise im Gesetzestext und nicht in seiner Anwendung zu suchen sei. Doch die Ministerin hält an ihrem Gesetz fest, will jede Strafminderung anfechten und macht Provinzrichter für die Rechtsunsicherheit verantwortlich.

Warnschüsse gab es schon bei Ausarbeitung des Textes, sogar vom Koalitionspartner. Die damalige Vizeministerpräsidentin Carmen Calvo (PSOE) hielt das ganze Vorhaben für so etwas wie eine juristische Ejaculatio praecox und fordert jetzt eine sofortige Überarbeitung des Gesetzes. Und auch die Volkspartei untermauert ihre Rücktrittsforderung mit der Erinnerung an die über 100 Änderungsanträge zu dem Gesetzesentwurf, von denen kein einziger berücksichtigt wurde. Die junge Ministerin wirbelt immer wieder mit ihren feministischen Vorstößen das politische Patriarchat durcheinander, ob mit dem Abtreibungsgesetz, mit dem Transsexuellengesetz oder jetzt mit dem Gesetz zur sexuellen Gleichstellung.

Wirrwarr in Spanien um neues Sexualstrafrecht: Oberste Gerichtshof prüft alle Fälle seit Oktober

Das bringt die ganze Regierung in einen „lio“, die sich nicht nachsagen lassen will, dass sie Frauen bis zu einer hypothetischen Reform in der Schutzlosigkeit zurücklassen will. Deswegen muss sich der Oberste Gerichtshof, das Tribunal Supremo, in einem Eilverfahren zu dem „solo un sí es und sí“ Gesetz äußern und zumindest eine einheitliche Anwendung des Gesetzes in spanischen Gerichten gewährleisten. Derweil prüft die Staatsanwaltschaft alle Fälle von sexueller Gewalt , bei denen es in dieser Übergangsphase seit Inkraftreten des neuen Gesetzes am 7. Oktober zu einer signifikanten Milderung des Strafmaßes gekommen ist. Bis das geschehen ist, will die Regierung auch das Gesetz nicht anfassen. „Jeder andere Schritt würde mir jetzt übereilt erscheinen“, meinte Vizeministerin Teresa Ribera.

Zuerst muss der Oberste Gerichtshof sich bis 29. November den Fall eines Mädchens vornehmen, an dem sich Kicker des Arandina Club de Fútbol vergingen. Erst verurteilte das Landgericht von Burgos drei Angeklagte zu 38 Jahren Gefängnis wegen Vergewaltigung, dann sprach das Oberlandesgericht von Kastilien León einen Verurteilten frei und senkte die Haftstrafen der anderen beiden Verurteilten auf vier und drei Jahren wegen sexuellen Missbrauchs – einer damals 15-Jährigen, wohlgemerkt. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft den Obersten Gerichtshof angerufen, der das letzte Wort hat. Dieses Gesetz zur sexuellen Freiheit unterscheidet nicht mehr zwischen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch und es scheint zu unterschiedlichen Interpretationen des Strafbestands in den Provinzgerichten zu kommen.

Vor sechs Jahren verging sich bei den San-Fermines-Fiestas in Pamplona eine Horde Männer – das Quintett nannte sich Manada, was Rudel bedeutet - in einem klaustrophobischen Eingang eines Wohnblocks an einer 18-jährigen Frau. Die zutiefst frauenfeindliche Bande brüstete sich mit ihren „Eroberungen“ im Whatsapp und rechnete wohl nicht damit, dass eines ihrer Opfer Anzeige wegen Vergewaltigung erstatten würde. Zuerst erhielten die „Herren“ relativ hohe Haftstrafen wegen sexuellen Missbrauchs, weil ihr Opfer weder physischen noch verbalen Widerstand geleistet hatte. Weil sie diese brutale Übermacht wohl auch aus Angst und Terror über sich ergehen ließ, reichte es zwei Richtern nicht für eine Verurteilung wegen Vergewaltigung. Doch dieser Fall und die aus der Zeit gefallenen Urteilsbegründungen der Richter weckten die feministische Bewegung in Spanien. Es kam zu massiven Protesten und Demonstrationen im ganzen Land – aber leider eben auch zu einer ganzen Reihe von Gruppenvergewaltigungen. Erst der Oberste Gerichtshof verurteilte die Manada wegen Vergewaltigung. Der Fall an sich, die ersten Urteile und die Proteste gebaren gewissermaßen das Gesetz „Nur ein Ja ist ein Ja“.

Das Prinzip dieses Gesetzes ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Sexuelle Beziehungen haben auf dem gegenseitigen Einverständnis zu beruhen. Weder Schweigen noch Zweifel gelten als Einverständnis, sondern nur das ausdrückliche „Ja“. Das Wort „sí“ wird sehr sexy, sagte eine Podemos-Abgeordnete bei der Abstimmung im Parlament. Dieses Gesetz enthält die Essenz der feministischen Forderungen zur Bekämpfung der sexuellen Gewalt und gilt als Reaktion auf geschätzte 400.000 sexuelle Übergriffe pro Jahr, die wenig Zweifel an der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes lassen. Weil Frauen sich eben nicht überall sicher fühlen können. „Mir macht das jetzt Angst, ich fühle mich unwohl“, sagt eine Frau, die erfahren hat, dass der Mann, der sich an ihr verging, eine Überprüfung seines Falls beantragt hat.

Sicherlich liegt es nicht im Sinne des Gesetzes, dass Straftäter zu milde oder gar ungeschoren davonkommen. Ebenso wenig aber spiegelt die Höhe der Gefängnisstrafe seinen Geist wider, da dieses Gesetz eine neue „sexuelle Kultur“ propagiert und die etabliert sich nicht nur hinter Gittern, sondern eben auch entsprechenden pädagogischen Zentren. .

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