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Kein Paradies im Solarpark: Energiewende in Spanien walzt Fincas platt

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Von: Stephan Kippes

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Solarpark in Spanien.
Spanien will mit großen Solarparks die Energiewende bis 2030 schaffen. © Markel Redondo/Greenpeache

Die Energiewende soll Spanien eine ökologische Zukunft bescheren. Viele Solarparks werden in die unberührte Natur gebaut. Ein Deutscher fühlt sich von Modulen umzingelt.

Valencia – Von seiner Finca aus kann José Navarro Müller seinen Blick über Pfirsichbäume, Mandeln, Weinstöcke und Apfelbäume schweifen lassen, bis die Silhouette des Dorfs Turís auftaucht. Eine spanische Landidylle in den Bergen von Valencia, deren Tage gezählt sind. Am Horizont stehen die Bagger bereits bereit, um zwei Megasolarparks zu errichten. Sein 5.000 Quadratmeter großes Anwesen wird mittendrin stehen, umgeben von vier Meter hohen Solarmodulen, die bis an seinen Zaun reichen werden. „Wir werden auf einmal mitten in einem Industriegebiet leben“, meint er fassungslos.

Spanien und Europa wollen bis 2030 die Energiewende herbeiführen. Große Investitionen in erneuerbare Energien müssen verwirklicht werden, damit die aktuelle Produktionsleistung verdreifacht und 30.000 Megawatt erreicht werden können. Das Umweltministerium hat positive Verträglichkeitsstudien für 154 der 202 eingereichten Projekte für fast 28.000 Megawatt ausgestellt, wobei die Abteilung für ökologische Qualität und Evaluation unter der Leitung von Marta Gómez nur die Umweltverträglichkeit größerer Vorhaben von über 50 Megawatt prüft. 300 weitere Pläne liegen bei ihr auf dem Schreibtisch. Theoretisch kann ein Solarpark vor jedermanns Finca entstehen.

In Turís und Alborache wird auch über die Zukunft aus Silizium gesprochen. Große Investoren aus Norwegen versuchen, viele kleine Parzellen zusammenzukaufen. Viele von der Landwirtschaft frustrierte Bauern und ihre Familien sehen einen Ausweg aus dem Ruin oder wittern die Chance auf das schnelle Geld. „Spanien steht wieder vor dem Ausverkauf. Mich macht die Ignoranz und auch das Desinteresse fassungslos. Viele Leute können sich die Dimensionen gar nicht vorstellen“, meint Navarro.

Solarpark umzingelt Finca in Spanien: Riesige Projekte für Erneuerbare Energien mitten in der freien Natur

Solarmodule auf einer Fläche von 715 Hektar, was fast 1.000 Fußballfeldern von je 105 auf 68 Metern entspricht, zwischen zwei kleinen, nur 6,6 Kilometer voneinander entfernten Dörfern im Westen Valencias. Ein Einheitspreis von 1.800 Euro pro Hanegada – etwa 832 Quadratmeter – wird geboten, unabhängig davon, ob eine Plantage, ein Wald oder eine Finca auf dem Gebiet steht. „Wir sind Leute, die sich hier etwas aufgebaut haben. Wenn ich das schon räumen muss, dann sollten wir wenigstens angemessen entschädigt werden“, sagt Navarro. Bei ihm käme das rücksichtslose Vorgehen beinahe einer Enteignung gleich. „Das Mottoist friss oder stirb.“

Und doch stellt sich der 60-jährige Sohn eines Gastarbeiters aus Hamburg dieser Form der Energiewende in den Weg und nimmt den Kampf gegen Statkraft, Europas mächtigsten Konzern für Erneuerbare Energien, auf. Navarro hat mit 20 Gleichgesinnten Eingaben gegen die Megasolarparks eingereicht und versucht, mit der Bürgerinitiative Plaat über die Pläne zu informieren. Denn Anlaufstellen gibt es in Spanien nirgendwo, die Betroffenen sind kein einziges Mal vom Investor kontaktiert worden.

Damit bekommt es der gelernte Elektriker Navarro aber auch mit Geistern zu tun, die er selbst rief. José Navarro ist leidenschaftlicher Anhänger der Solarenergie, die nun sein Leben in Spanien auf den Kopf stellen wird. „Wir leben seit 18 Jahren auf unserer Finca mit Solarstrom. Es ist zum Lachen und Weinen.“

Solarprojekte in Spaniens Pampa: Kulturlandschaften werden umgegraben, Lebensweisen plattgewalzt

So wird eine Kulturlandschaft in Spanien umgegraben, eine mit Landbesitz verbundene Lebensweise für eine 90-Quadratmeter-Wohnung preisgegeben. Der Film Alcarràs beschreibt einfühlsam, wie eine Familie von Pfirsichbauern ihre Lebensgrundlage verliert, wie Bagger vor ihren Augen die Bäume ausreißen, um Fotovoltaikmodule zu pflanzen. „Es wird sehr viel über Biodiversität geredet, der Homo Sapiens taucht nie auf. Wir sprechen viel von Vögeln und Fröschen, aber wo bleibt der Mensch?“, meint Navarro.

Navarro weiß, dass ihm genau das droht, was im Film passiert ist. Viele seiner Nachbarn ahnen davon aber nichts. Sie sehen nur Bares für ungenutztes Land. Nur der Bürgermeister von Turís, Eugenio Fortaña, sorgt sich um die ländliche Zukunft, um die Landwirtschaft und die Kooperative. Das ist ja schön, auf der anderen Seite steht Europas größter Produzent nachhaltiger Energie.

Eine positive Umweltverträglichkeitsstudie gilt als ein Schritt auf dem langen Verwaltungsweg bis zur Verwirklichung dieser Projekte, weshalb Spanien im Einklang mit der EU-Kommission drastische Abkürzungen aufzeigt. Mit der Verordnung 6/22 vom März 2022 wurde ein Express-Verwaltungsweg ausgewiesen, der zwei Jahre gelten soll, falls keine Naturschutzgebiete betroffen sind. Einige meinen, das geht auf Kosten des Umweltschutzes und der Mitsprache der Bürgerschaft. Ihr bleibt nur der Rechtsweg – gegen internationale Investoren.

Landkarte mit der Markierung der Standorte für Solaranlagen.
Die roten Flächen geben die Standorte zwischen Turís und Alborache an, wo die Solarmodule installiert werden sollen. © Plaat

José Navarro findet bisher nicht einmal einen Anwalt. Das Umweltministerium aber fürchtet keine Verwässerung der Schutzkriterien. „Der Investor hat weiterhin die Pflicht, bei uns eine Umweltverträglichkeitsstudie einzureichen, einen Entwurf und eine Zusammenfassung all der Maßnahmen, die sich auf die Umwelt auswirken und wie deren Auswirkungen gelindert werden können. Damit entschieden wir in Rücksprache mit den Regionalregierungen, ob dieses Projekt über den schnellen Weg gehen kann oder ob die bisher übliche Überprüfung stattfinden muss“, so Marta Gómez.

Müssen es unbedingt unberührte Naturgebiete sein, wo es doch so viele Dächer, Industriegebiete, Parkplätze oder bereits erschlossene Landstriche gibt, in denen man die Solarpanele aufstellen könnte? Nicht nur Privathäuser und ihre Dächer, auch Bahntrassen, Kanäle und Gewächshäuser kämen für Solarenergie infrage, sodass man Studien zufolge bis zu 181.000 Megawatt produzieren könnte. Experten aber halten die Umsetzung der Theorie in die Praxis für kompliziert, zeitaufwendig und nicht ausreichend geregelt.

Auch José Navarro denkt so. „Spanien muss so vergehen, wenn das Land die Energiewende schaffen möchte.“ Dabei handelt es sich nicht zuletzt auch um einen ökonomischen Wettlauf, bei dem jedes Land die Nase vorn haben und keines zurückbleiben will. Auch deswegen werden die Megasolarparks in die Pampa geklatscht. Ein hoher Preis.

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